Nach Räumung der Habersaathstraße 46: Anzeige gegen den Innensenator
Besetzer*innen der Habersaathstraße zeigen den Innensenator an: Mit der Räumung sei eine Corona-Infektion der Besetzer*innen forciert worden.
„Mit der Räumung wurde bewusst in Kauf genommen, dass die Anzeigeerstatter und weitere Hausbesetzer:innen aufgrund der Wetterlage und der dazu kommenden besonderen Verschärfung der Situation aufgrund der Pandemie schweren körperlichen Schaden nehmen können“, heißt es in der Begründung der Anzeige, die voraussichtlich am Montag der Staatsanwaltschaft übergeben wird. „Geisel muss klar gewesen sein, dass wir auf der Straße oder in den Obdachlosenunterkünften einer wesentlich größeren Gefahr ausgesetzt gewesen sind“, begründet Besetzer Fabian Jung gegenüber der taz seine Entscheidung, die Anzeige zu stellen.
Zwei Tage vor dem Inkrafttreten des zweiten Lockdowns besetzten Ende Oktober 20 Aktivist:innen einen größtenteils leerstehenden Plattenbau in der Habersaathstraße 46. Zahlreiche voll möblierte Wohnungen stehen dort seit Jahren leer, weil der Eigentümer das Haus abreißen und durch einen Neubau ersetzen will. Dagegen wehrt sich der Bezirk Mitte, die Bezirksverordnetenversammlung beschloss sogar, dass Gebäude zu rekommunalisieren. Auch heute steht das Gebäude weiterhin leer, die Streitigkeiten um den Abriss dauern an.
Die Besetzung wurde noch am selben Tag von der Polizei geräumt. Dabei gab es während der Besetzung Verhandlungen mit dem Bezirk, der erwog, das Gebäude nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) zur Unterbringung für Obdachlose zu beschlagnahmen. Noch während die Verhandlungen liefen, räumte die Polizei überraschend das Gebäude. Die obdachlosen Besetzer:innen landeten wieder auf der Straße.
Vor dem Nichts
Jung berichtet, wie er und andere Besetzer:innen nach mehreren Stunden Aufenthalt in einer Gefangenensammelstelle mitten in der Nacht in Lankwitz auf die Straße gesetzt wurden. „Ein Polizist meinte noch spöttisch: Ihr könnte ja sehen wie ihr jetzt nach Hause kommt“, erinnert sich Jung. Acht Monate nach der Räumung sind viele der Besetzer:innen weiterhin obdach- oder wohnungslos. Auch Jung hat immer noch keine eigene Wohnung, hangelt sich seit Monaten von Couch zu Couch bei Bekannten: „Ich werde langsam müde.“
Andere Besetzer:innen, die in Camps an der Rummelsburg oder der Frankfurter Allee lebten, wurden ebenfalls geräumt und stünden mit dem Ende der Kältehilfeangebote jetzt wieder vor dem Nichts. „Eine Gesellschaft kann so nicht mit Menschen umgehen“, kritisiert auch Valentina Hauser von „Leerstand Hab-ich-Saath“, dem anlässlich der Besetzung gegründeten Bündnis, die Räumung.
Nach der Räumung bekamen viele der Besetzer:innen selbst eine Anzeige wegen schwerem Hausfriedensbruch. Jung selbst bekam einen Strafbescheid in Höhe von 600 Euro. „Mit unserer Anzeige können wir den Spieß mal umdrehen“, freut sich Jung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus