Motorradlärm in Deutschland: Wo das Geknatter nervt
An mindestens 170 Orten fühlen sich Anwohner durch extralaute Krafträder oder Autos gestört. Die wichtigsten Lärmtests sind nur freiwillig.
Umfragen zufolge fühlt sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung durch Straßenverkehrslärm gestört oder belästigt, also in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Dabei können chronische Lärmbelastungen Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfälle verursachen, warnt das bundeseigene Robert-Koch-Institut.
Dennoch bauen BMW und andere Konzerne Motorräder oder Autos so, dass sie lauter sind als zum Fahren nötig. Die Unternehmen bestätigten der taz, dass sie in den Auspuff mehrerer Modelle Klappen einbauen. Diese verringern den Lärm bei den im amtlichen Zulassungstest geprüften Motordrehzahlen. Insbesondere bei höheren Geschwindigkeiten sind die Fahrzeuge aber lauter. Das gilt auch für zahlreiche Zubehörauspuffe spezialisierter Hersteller wie Kesstech oder Dr. Jekill & Mr. Hyde.
Der Trick mit den Klappen funktioniert, weil die Geräuschemissionen bei der Zulassung durch die Behörden nur bei ungefähr 50 Kilometern pro Stunde gemessen werden. Zusätzlich müssen die Hersteller zwar erklären, dass Fahrzeugtypen die Grenzwerte bei Geschwindigkeiten von 20 bis 80 Stundenkilometern einhalten; aber in den Vorschriften für die Motorradzulassung steht noch nicht einmal, dass die Modelle diesen Lärmtest auch absolvieren müssen.
Schöne Landschaft, viel Protest
In der EU-Verordnung Nummer 540/2014 über die Autozulassung heißt es: „Es besteht keine Pflicht, bei der Beantragung der EU-Typgenehmigung die tatsächlichen Prüfungen durchzuführen. Eine schriftliche Versicherung, dass die Modelle die Norm einhalten, genügt.“
Ob diese Versicherungen zutreffen, kontrolliert etwa das in Deutschland zuständige Kraftfahrtbundesamt kaum. Es teilte der taz nun mit, es habe 55 Motorradtypen genehmigt, seit die Vorschriften über die zusätzlichen Geräuschprüfungen im Januar 2017 für diese Fahrzeugklasse in Kraft getreten sind. Überprüft hat es nach eigenen Angaben nur 1 Motorrad und 3 Austauschschalldämpfer. Sanktionen wegen falscher Herstellerangaben habe es bislang weder für Motorräder noch für Autos verhängt.
Die meisten Proteste gegen Motorradlärm gibt es der taz-Übersicht zufolge in landschaftlich schönen Gegenden wie dem Schwarzwald, der Eifel oder der Elbtalaue und in Naherholungsgebieten der Großstädte. Laut Anwohnern fahren etwa auf der kurvenreichen Bundesstraße 14 im Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald in Stoßzeiten abends und am Wochenende stündlich oft 50 bis 60 Motorräder am Ortsausgang von Sulzbach an der Murr vorbei. Denn die Biker wollen entweder die Natur oder das Kurvenfahren genießen.
Empfohlener externer Inhalt
Beim Beschleunigen heulen die Motoren auf, was viele Anwohner und Wanderer stört. Zahlreiche Motorradfahrer dagegen legen Wert auf einen möglichst mächtigen „Sound“, der meist auch mit einer großen Lautstärke einhergeht.
Illegale Rennen
Beschwerden nicht nur über Motorräder, sondern auch besonders über zu laute Autos werden vor allem aus Städten bekannt, zum Beispiel aus Mannheim, Hamburg oder Berlin. Teilweise kontrolliert die Polizei hier gezielt Verkehrsteilnehmer, die mit Fahrzeugen der Marke Mercedes AMG oder anderen in der Szene der „Autoposer“ beliebten Modellen auf und ab fahren.
Brrrrm Kennen Sie Orte, wo es Proteste gegen unnötigen Motorrad- und Autolärm gibt, die auf unserer Karte fehlen? Dann schicken Sie bitte Ortsname, Postleitzahl und Quellenangabe (zum Beispiel Link zu einem Medienartikel) an kfzlaerm@taz.de.
Dabei geht es auch oft um illegale Rennen, die schon unbeteiligte Menschen das Leben gekostet haben. Die Proteste häufen sich in Baden-Württemberg unter anderem deshalb, weil dort die Arbeitsgemeinschaft gegen Motorradlärm entstanden ist, die das Problem seit Jahren thematisiert.
Das Umweltbundesamt fordert, dass die EU Lärmgrenzwerte für Geschwindigkeiten über 80 Kilometer pro Stunde sowie für alle Motordrehzahlen festlegt. Bisher hat die EU-Kommission aber keinen entsprechenden Verordnungsentwurf präsentiert.
Immerhin unterstützt die Kommission einen Vorschlag, die Geräuschprüfungen bei 20 bis 80 Stundenkilometern für Motorräder obligatorisch zu machen. Zudem wies sie auf taz-Anfrage darauf hin, dass die nationalen Behörden schon jetzt die Lärmtests selber durchführen dürften. „Aus diesem Grund können wir nicht die Zahl der Überprüfungen kommentieren, die das Kraftfahrtbundesamt ausgeführt hat“, so eine Kommissionssprecherin.
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