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Missbrauch in der katholischen KircheSchwerer Vorwurf gegen Ratzinger

Ein unabhängiges Gutachten zu sexualisierter Gewalt im Erzbistum München kritisiert den emeritierten Papst. Er soll mehr gewusst haben, als er vorgab.

Wie viel hat der emeritierte Papst Benedikt XVI. mitbekommen? Foto: Sven Hoppe/dpa

Berlin taz | Es muss endlich weitergehen mit der Aufklärung der sexualisierten Gewalt in der katholischen Kirche. Seit Jahren versichert die katholische Kirche, den strukturellen Missbrauch aufarbeiten und Opfer entschädigen zu wollen. Im Sommer 2021 war dafür ein wichtiges Gutachten über Fälle von sexualisierter Gewalt im Erzbistum München und Freising erwartet worden. Mit dem Verweis auf die Prüfung von neuen Erkenntnissen wurde die Vorstellung jedoch verschoben.

An diesem Donnerstag hat die Münchner Anwaltskanzlei Westphal Spilker Wastl das Gutachten im Haus der Bayerischen Wirtschaft in München und im Livestream vorgestellt. Der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx nahm trotz expliziter Einladung nicht an der Vorstellung teil. Das bedauerte die Anwältin Dr. Marion Westphal zu Beginn und sagte, dass es für die Betroffenen sexualisierter Gewalt auch wichtig wäre, öffentlichkeitswirksam die Bereitschaft zu zeigen, sich mit dem sexuellen Missbrauch zu konfrontrieren. Die Vertuschung, die über Jahre stattgefunden hat, bezeichnete sie als „Verrat an den Grundlagen des christlichen Glaubens.“

Statement von Kardinal Marx

Marx äußerte sich am Donnerstagnachmittag in einem kurzen Pressestatement zu dem Gutachten. Er bat erneut um Entschuldigung für das Leid, dass so vielen Menschen im Rahmen der Kirche passiert sei, er sei „erschüttert und beschämt.“ Die Gespräche mit Betroffenen sexualisierter Gewalt hätten seine Wahrnehmung von Kirche verändert. Das umfangreiche Gutachten müsse jetzt ausgewertet und dann über Konsequenzen beraten werden. Am kommenden Donnerstag, 27. Januar, wollen die aktuellen Verantwortlichen ausführlicher Stellung beziehen. „Die Missbrauchskrise ist eine tiefe Erschütterung für die Kirche“, sagte Marx. Die Erneuerung der Kirche und die Perspektive der Betroffenen müsste jetzt im Mittelpunkt stehen.

Laut dem Rechtsanwalt Martin Pusch sei Marx' Beschäftigung mit Fällen sexualisierter Gewalt im Verhältnis zu den vielen gemeldeten Fällen gering gewesen. Außerdem sei Marx in zwei Verdachtsfällen ein konkretes fehlerhaftes Verhalten vorzuwerfen. Die Gutachter haben Fälle sexuellen Missbrauchs im Erzbistum im Zeitraum von 1945 bis 2019 untersucht. Marx habe sich zu lange auf eine „moralische Verantwortung“ zurückgezogen und sich erst seit 2018 aktiver für die Aufarbeitung der Fälle eingesetzt. Vergangenes Jahr bot Marx seinen Rücktritt an, Papst Franziskus lehnte diesen aber ab.

In dem Gutachten wird auf 1.700 Seiten dargestellt, inwieweit systematische Defizite sexuellen Missbrauch durch Priester begünstigt haben. Die Studie listet mindeststens 497 Opfer und mindestens 235 mutmaßliche Täter auf. Darunter 173 Priester und 9 Diakone. 40 Kleriker seien ungeachtet der Vorwürfe gegen sie wieder in der Seelsorge tätig gewesen. Ein Großteil der Betroffenen von sexualisierter Gewalt im Bistum München und Freising sollen Jungen sein. „Die Dunkelziffer der Betroffenen ist deutlich größer“, sagte der Rechtsanwalt Martin Pusch bei der Vorstellung am Donnerstag.

Besonderes Interesse gab es schon im Vorfeld an der Frage, was der emeritierte Papst Benedikt XVI. über die Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen Kleriker gewusst hat. In den Zeitraum der untersuchten Fälle fällt auch die Amtszeit von Kardinal Joseph Ratzinger, der von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising war.

Ratzinger weist Verantwortung von sich

Während Ratzingers Amtszeit wurde der des sexuellen Missbrauchs in mehreren Fällen strafrechtliche verurteilte Priester Peter H. im Jahr 1980 von Essen nach München versetzt. H. wurde 30 Jahre lang in immer neuen Gemeinden eingesetzt, obwohl Vorgesetzte seine Pädophilie kannten. Das Gutachten wirft dem späteren Papst Benedikt XVI. vor, dass er als Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger in vier Fällen nichts gegen des Missbrauchs beschuldigte Kleriker unternommen habe. In einer Stellungnahme bestritt Ratzinger seine Verantwortung „strikt“, die Gutachter halten dies aber nicht für glaubwürdig. Ratzinger habe laut dem Gutachten in zwei Fällen kirchenrechtlich nichts unternommen, obwohl den betreffenden Klerikern mehrere begangene und auch von staatlichen Gerichten attestierte Missbrauchstaten vorgeworfen wurden. Ein Interesse an den Missbrauchsopfern sei bei Ratzinger „nicht erkennbar“ gewesen, so die Gutachter.

Besonders brisant ist in dem Gutachten die Erkenntnis, dass Ratzinger 1980 bei der Sitzung anwesend gewesen sein soll, in der entschieden wurde, dass der pädophile Priester Peter H. in das Erzbistum München übernommen wird und wieder in der Seelsorge eingesetzt werde. Ratzinger hatte bestritten, an der Sitzung teilgenommen zu haben, die Gutachter konnten aber ein Sitzungsprotokoll präsentieren, wonach Ratzinger aufgrund von Äußerungen teilgenommen haben muss. Dem Protokoll nach habe er unter anderem von Gesprächen mit Papst Johannes Paul II. berichtet.

Fehlverhalten in 21 Fällen wirft das Gutachten auch Kardianal Friedrich Wetter vor, der von 1982 bis 2008 Erzbischof von München und Freising war.

Die Anwaltskanzlei Westphal Spilker Wastl hatte im Dezember 2010 auch eine Untersuchung für das Erzbistum München und Freising erstellt. Damals hatten den gesamten Text aber aus Datenschutzgründen nur der Erzbischof Marx und der damalige Generalvikar Peter Beer lesen dürfen. Das aktuelle Gutachten stellt die Kanzlei jedoch der Presse und der Öffentlichkeit auf ihrer Webseite zur Verfügung. In ihrer Vorstellung des Gutachtens kritisierten die Anwälte den Umgang der Kirche mit den Betroffenen und forderten, dass es für die Aufklärung der sexualisierten Gewalt einen geschützen Raum für die Opfer geben muss. Über die Versetzung von Menschen innerhalb der Kirche, gegen die es Beschuldigungen sexualisierter Gewalt gibt, sollte nach Ansicht des Anwalts Dr. Ulrich Wastl ein unabhängiges Gremium entscheiden.

Die Kanzlei Westphal Spilker Wastl hatte auch das erste Gutachten zu sexualisierter Gewalt für das Bistum Aachen erstellt. Außerdem erstellte die Kanzlei ein Gutachten für das Erzbistum Köln. Für Aufsehen und starke Kritik sorgte, dass dieses von Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki zurückgezogen wurde. Woelki berief sich damals auf rechtliche Bedenken. (mit afp, epd)

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15 Kommentare

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  • Nach der erfolgreichsten BILD-Headline aller Zeiten ("Wir sind Papst") erwartet man nun ungeduldig die Fortsetzung "Wir sind Kinderschänder".

  • Schauerlich - ein mutmaßlicher Lügner und Vertuscher übelster, traumatisierender Straftaten an Jugendlichen und Kindern stellt sich dumm, ließ sich aber als Stellvertreter Christi auf Erden feiern und bejubeln. Nebenbei galt und gilt für den Pabst in katholischer Lehre immer noch die Unfehlbarkeit.

  • Da sollte sich jedes Mitglied in diesem Verein fragen, ob dieser reformierbar ist. Ich kann es mir nicht vorstellen.

    Ist da nicht die Kündigung der Vereinsmitgliedschaft die richtige Konsequenz?

    Auch sollte man für eine Abschaffung der Alimentierung der ganzen Clique auf Staatskosten kämpfen . Jeder Bürger zahlt mit an den Millionen aus allgemeinen Steuereinnahmen, die die ganzen Bosse monatlich auf ihrem Konto einstreichen. Das stammt aus einer Absprache im 19. (!) Jahrhundert, als den Kirchen ein Teil ihres vom Volk geraubten Vermögens entzogen wurde.

    Warum soll man einen Ex-Bimbam aus dem Vatikan nicht kritisieren dürfen?

  • Bin im Sommer 2021 ausgetreten, nach 63 Jahren Mitgliedschaft. Gottseidank. Spende jetzt lieber sozial, als der katholischen Kirche noch einen Cent zu überweisen.

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Meiner Ansicht nach ein durch und durch krimineller Verein - schon immer gewesen, auch wenn es durchaus positive Dinge gibt, wie etwa die Hilfsorganisationen.

    • @47202 (Profil gelöscht):

      „Hilfsorganisationen“? Unnötige Relativierung. Mit dem finanziellen Background könnten das andere besser.

  • RS
    Ria Sauter

    Wer noch irgendeine Religion verteidigt muss völlig fernab jeglicher Realität sein.



    In allen Religionen sind Frauen, Kinder und Uñgläubige die Opfer.



    Trotzdem bleibt der Hokuspokusüberall gegenwärtig.



    Man küsst den Tätern noch die Hand und lässt sich von ihnen segnen.

    • @Ria Sauter:

      Ich denke nicht, dass sexualisierte Gewalt und Gewalt gegen Schwächere oder als anders Wahrgenommene ein Problem von Religionen ist. Ich nenne ein paar Beispiele: sexuelle Ausbeutung der US-amerikanischen Turnerinnen, Gewalt bis hin zur Tötung von indigenen Kindern in kanadischen Heimen, Internieurung und Schikanierung von unliebsamen Kindern in DDR-Erziehungsanstalten, und und und. Das Problem ist einer Ansicht eine Machtposition, in der sich asoziale Elemente befinden und unkontrolliert oder weltanschaulich legitimiert ausleben können. Kirchen sind da genauso gefährdet wie andere von Menschen organisierte Sozialstrukturen.

    • @Ria Sauter:

      Volle Zustimmung. Es ist unglaublich, dass nicht sofort alle Katholiken aus der Kirche austreten.

      • RS
        Ria Sauter
        @Gnutellabrot Merz:

        Es sind nicht nur die kath. Pfaffen, die sich an Kindern vergehen.



        Bei den evang. Gibt es auch genügend Übergriffe um dem kriminellen Verein insgesamt das Handwerk zu legen.

    • @Ria Sauter:

      // In allen Religionen sind Frauen, Kinder und Uñgläubige die Opfer. //

      Aber fast nur bei den beiden großen monotheistischen Religionen.

      Bei anderen, ich nenne jetzt nur mal beispielhaft den japanischen Shinto/Buddhismus, ist das nicht der Fall.

      • RS
        Ria Sauter
        @Der Cleo Patra:

        Was ist in dieser Religion anders?

        • @Ria Sauter:

          Religion ohne Gott . . . glaube ich. Einfach mal goggeln

  • Mißbrauch Schutzbefohlener => Woelki-Urlaub

    Mitnahme eines Bürostuhles für´s Homeoffice => Strafanzeige

    • @Jürgen aus Nürnberg:

      das "I Tüpfelchen" in der Sache ist ja, dass gerade diese Frau (die Justitiarin der Kölner Kirchenprovinz und diejenige die alldie Akten sichten musste) jetzt im Missbrauchsprozess nicht aussagen konnte wegen Krankheit.

      Sie ist zu sehr traumatisiert wegen des Verhaltens der Kirche gegenüber ihr (fristlose Kündigung wegen des Bürostuhls) und weil sie wohl keinerlei psychologische Rückendeckung bei der Aufarbeitung der Akten durch ihren Arbeitgeber erhalten hat.

      Keine Aussage => ist hier wieder mal Entlastung für die Institution und den Täter.