Ministerin verteidigt Abschiebung: Kirchenasyl braucht Asyl
Nach der versuchten Abschiebung aus einem Kirchenasyl verteidigt Schleswig-Holsteins Integrationsministerin Aminata Touré das Vorgehen der Behörden.
Im Innenausschuss des schleswig-holsteinischen Landtags verteidigte die Ministerin am Mittwochabend das Vorgehen der zuständigen Ausländerbehörde in Kiel, wo die Familie zuletzt gelebt hatte. Die Behörde habe nur die Entscheidung des Bundesamtes für Migration umgesetzt: Danach müssen die beiden 19 und 22 Jahre alten Brüder zurück nach Spanien gehen – das Land, in das sie zuerst in die Europäische Union eingereist sind – und dort Asyl beantragen. Genauso wie ihre beiden minderjährigen Geschwister sowie der Vater und die Mutter, eine Frauenrechtlerin und TV-Journalistin.
Das ist sachlich richtig – dennoch haben Ausländerbehörden einen Spielraum, welche Akte sie als Erstes vom Stapel ziehen. Üblicherweise sind das nicht die, bei denen sich eine Kirchengemeinde für die Betroffenen einsetzt, weil sie eine über das Gewöhnliche hinausgehende Härte erkannt hat. Das sagte im Ausschuss sogar der Kieler Stadtrat Christian Zierau, in dessen Verantwortungsbereich die Ausländerbehörde fällt. „Man muss schon sehr genau zuhören, wenn Kirchen Asyl aussprechen.“
Nicht rechtzeitig ein Visum ausgestellt
Für die Härte hatten in diesem Fall deutsche Behörden gesorgt, genauer die Dienststellen des Auswärtigen Amtes. Denn die sechsköpfige Familie war nur deshalb im April 2023 aus dem Iran nach Spanien gereist, weil Deutschland ihr – wie sehr vielen anderen – nicht rechtzeitig ein Visum ausgestellt hatte. Und das, obwohl die Bundesregierung zugesagt hatte, sie im Rahmen eines Programms für besonders gefährdete Afghan:innen aufzunehmen.
„Aber das hat die deutschen Behörden bei der Beurteilung des Falls nicht interessiert“, sagt Dietlind Jochims, Flüchtlingsbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. Genauso wenig habe das Bundesamt für Migration die gesundheitlichen Beeinträchtigungen berücksichtigt, die die Familie bewogen hatte, über Spanien – das schneller ein Visum ausstellte – nach Deutschland zu reisen. Die Mutter sei nach ihrer Ankunft im Mai hierzulande sofort operiert, der Zehnjährige wegen seiner Herzprobleme behandelt worden, so Jochims.
Diese Informationen hatte die Nordkirche in einem sogenannten Härtefall-Dossier für das Bundesamt zusammengestellt und um erneute Prüfung gebeten – erfolglos. Daraufhin hatte eine zur Nordkirche gehörende Schweriner Gemeinde die Familie Mitte Dezember aufgenommen. Sie war zu der Einschätzung gekommen, dass eine Abschiebung nach Spanien nicht zumutbar ist – und nicht notwendig gewesen wäre, wenn das Visum schneller erteilt worden wäre.
Die Argumente, mit denen Schleswig-Holsteins Integrationsministerin Aminata Touré am Mittwoch versuchte, die Darstellung der Nordkirche anzuzweifeln, lassen sich nicht anders als krude bezeichnen. So behauptete sie, es habe nur eine Zusage der Bundesregierung für die 47-jährige Mutter gegeben – der Nordkirche liegt eine E-Mail des Auswärtigen Amtes vor, nach denen alle sechs nach Deutschland kommen durften. Zudem geht aus der Aufnahmeanordnung der Bundesregierung hervor, dass Ehegatten sowie minderjährige Kinder in jedem Fall aufnahmeberechtigt sind – weitere Angehörige können aufgenommen werden. Außerdem bezeichnete Touré die Annahme, es habe eine Aufnahmezusage gegeben, als „fälschlich“. Schließlich sei diese nach der Ausreise nach Spanien zurückgenommen worden. Das aber nur, weil das Land die Aufnahme zugesagt hatte.
Über 450 Kirchenasyle
Als „völliges Missverständnis“ bezeichnete die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche Jochims die Behauptung der Ministerin, das Kirchenasyl sei „vereinbarungswidrig“ gewesen. Laut Aminata Touré hätte die Kirchengemeinde die Familie nicht aufnehmen „dürfen“, weil das Bundesamt für Migration nach Sichtung des Härtefall-Dossiers nicht zu einer Neueinschätzung gekommen war. Das würde ein Kirchenasyl ausschließen. Sie bezog sich dabei auf Vereinbarungen zwischen dem Bundesamt für Migration und den Kirchen in Deutschland. Sagte aber auch: „Wir kennen diese nicht.“
Tatsächlich haben sich die katholische und die evangelische Kirche seit 2015 mit dem Bundesamt für Migration auf Verfahrensabläufe und Kommunikationsstrukturen verständigt, um zu Lösungen im Vorfeld eines Kirchenasyls zu kommen. Dazu gehöre allerdings nicht, dass ein Kirchenasyl beendet wird, wenn das Bundesamt für Migration das Härtefall-Dossier ablehnt, sagt Jochims, die auch der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ vorsitzt. 99 Prozent dieser Härtefall-Dossiers würden abschlägig beschieden – danach dürfte es also gar kein Kirchenasyl mehr geben.
Die Arbeitsgemeinschaft schreibt auf ihrer Homepage von 455 aktiven Kirchenasylen mit mindestens 643 Personen, davon etwa 105 Kinder. Es bleibe „ein Akt des zivilen Ungehorsams“, hatte es Martin Dutzmann 2015 formuliert, der für die evangelische Kirche die Verhandlungen mit dem Bundesamt geführt hatte.
Wie es für die afghanische Familie weitergeht, ist offen. Die Kieler Ausländerbehörde hatte die Abschiebung kurz vor Weihnachten vorübergehend ausgesetzt. Der Stadtrat Christian Zierau hatte dies mit der psychischen Belastungssituation als Folge des Polizeieinsatzes begründet. In dessen Verlauf hatte die verzweifelte Mutter gedroht, sich und den jüngeren Kindern etwas anzutun, wenn ihre großen Söhne mitgenommen würden. „Diese hoch belastete Familie braucht jetzt Ruhe und Sicherheit“, sagt Dietlind Jochims. In den nächsten Wochen läuft die Frist ab, innerhalb der das Asylverfahren in Spanien geführt werden muss.
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