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Merz erntet Kritik aus eigenen ReihenHat die CDU doch ein soziales Gewissen?

Der CDU-Politiker Dennis Radtke äußert sich zum Vorstoß seines Parteichefs, Mietzahlungen für Arme zu kappen. Für ihn liegt das Problem woanders.

Nimmt chauvinistische Hetze nicht so hin: Dennis Radtke aus der parteiinternen Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) Foto: Fabian Strauch/dpa

Berlin taz | Gegen den Vorschlag von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), die Mieten von Bür­ger­geldberechtigten nicht mehr sozialstaatlich zu finanzieren, wenden sich nun auch Stimmen aus den eigenen Reihen.

Der CDU-Europaparlamentarier und Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) Dennis Radtke findet deutliche Worte: „Vielerorts zahlen die Jobcenter horrende Mieten“, wie er der taz am Montagvormittag sagt. Er findet: „Diese Praxis ist nichts anderes als staatlich finanzierter Missbrauch. Nicht durch die Schwächsten der Gesellschaft, sondern durch Vermieter, die auf Kosten des Sozialstaats Geld machen.“ Dabei seien die Wohnungen, für die oft 20 Euro pro Quadratmeter verlangt werden, oft „heruntergewirtschaftet“, betont Radtke.

Den Anstieg der Wohnkosten sieht er durchaus. „Die jährlichen Ausgaben für Unterkunft und Heizung von Bürgergeld-Empfängern lagen 2023 erstmals über 20 Milliarden Euro. Wer glaubt, hier handle es sich um eine Luxussituation für Bürgergeldbeziehende, verkennt die Realität“, sagt er. Vielmehr sei die „Mietpreisexplosion, die von der Politik nicht eingedämmt wurde“, der Grund für steigende Kosten.

Dies habe mit politischen Versäumnissen zu tun. So sei in den vergangenen Jahren zu wenig in den sozialen Wohnungsbau investiert worden. „Die Quittung dafür zahlen nun Menschen mit kleinem Einkommen – und zwar doppelt: durch einen überhitzten Wohnungsmarkt und die Stigmatisierung als Kostenfaktor“, analysiert der CDU-Politiker. Er warnt davor, diese Menschen weiter an die Ränder der Städte zu verdrängen und so Verhältnisse wie in der Pariser Banlieue zu schaffen. „Die Grundsicherung ist ein Versprechen auf Teilhabe – nicht auf Verdrängung.“

Um die vom Staat zu zahlenden Wohnkosten zu senken, schlägt Radtke stattdessen vor, dass die Jobcenter „überhöhte Mietforderungen rechtssicher ablehnen – orientiert am geltenden Rechtsrahmen und den Instrumenten der Mietpreisbremse“. Eine Maßnahme, von der SPD und CDU sich eine Begrenzung steigender Mieten erhoffen, die allerdings nicht funktioniert: Seit Einführung der Mietpreisbremse im Jahr 2015 sind die Angebotsmieten in den 14 größten Städten trotzdem um 50 Prozent gestiegen.

Radtke spricht sich gegen chauvinistische Hetze aus

„Wir müssen aufhören, über die Bezieher der Grundsicherung herzuziehen, und stattdessen jene in den Blick nehmen, die durch das Bürgergeld einen Reibach machen. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit – und des Anstands“, sagt er mit Blick auf Merz' Äußerungen im ARD-Sommerinterview.

Darin hatte der Kanzler den Plan geäußert, Anspruch auf Wohnkosten, den Bür­ger­geldberechtigte haben, zu reduzieren. Stattdessen solle es Wohnkostenpauschalen geben oder die Wohnungsgröße überprüft werden. Ob Pauschalen das richtige Instrument sind, müsse sich laut Radtke noch zeigen.

Laut der Bundesagentur für Arbeit wurden im März dieses Jahres Wohnkosten in Höhe von 1,75 Milliarden Euro für Bürgergeldberechtigte übernommen – 24 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Wie die taz berichtete, liegt der Anstieg allein an den explodierenden Mieten: Weder die Zahl der Bürgergeldbeziehenden noch die von ihnen genutzte Wohnfläche sind gestiegen.

Schon jetzt erhält ohnehin jeder achte Haushalt im Bürgergeldbezug nicht die tatsächlichen Wohnkosten vom Amt, wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im August vergangenen Jahres ergab. Im Schnitt mussten Bürgergeld-Empfänger 103 Euro aus ihrem Regelsatz, der eigentlich für den Lebensunterhalt gedacht ist, an Vermieter überweisen.

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9 Kommentare

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  • Ich als Vermieter - und ja, ich vermiete auch an BürgergeldbezieherInnen - bin gegen die sozialdarwinistischen Ideen von Herrn Merz. Sie würden niemandem nützen. 1,75 Mrd. Euro im Monat für Wohnkosten ist nicht besonders viel. Dort lässt sich auch nicht wirklich viel sparen, außer wenn man BürgergeldbezieherInnen zwingt, in andere, wesentlich billigere Regionen, z. B. ins Vogtland oder das Burgenland, umzuziehen. In München würden dann innerhalb kurzer Zeit nur noch Vermögensmillionäre leben. Wollen wir eine solche Entmischung von Arm und Reich?

  • Mehr davon, gegen die AfDisierung und den neoliberalen Durchmarsch. Das war leider stets so, auch gegen Geflüchtet haben die rechten CDUler, die am meisten gehetzt hatten, auch am meisten an deren Unterbringung mit verdient, indem sie sie in überteuerte Pensionen schlecht und repressiv unterversorgten. Von denen sind jetzt sicher auch wieder welche am verdienen durch den Bau von Abschiebeknästen. Die Leute,die so lange nicht hier arbeiten durften, wo sie es wollten und die dann abgezockt wurden/werden. Anders wars für eine ganze Anzahl Syrer, die willkommen geheissen wurden, von denen haben so einige das nutzen können und sind nun Dienstleister in der medizinischen und Pflege-versorgung geworden. Es sins nie alle, auch sind Kriegsverbrecher auszu sortieren und vor Gericht zu stellen. Migration legal zu regeln, das wollen rechte Hetzer die dran verdienen nicht, auch die aus der CDU nicht, die nutzen die Unklarheit und die Verelendung, die dann Gewalt befördert, auch weil die Leute of traumatisiert sind und kaum Therapie finden können.

  • Die CDU rutscht in ein Dilemma und das kann man täglich in der FAZ nachlesen wo es Leute gibt, die sich eine Koalition mit der AfD wünschen und andere, die den CDA zu Wort kommen lassen, Dazwischen immer wieder Umfragewerte, die bei 28 % verharren. Es ist dieselbe Situation, die die SPD nach der Agenda 2010 erleben durfte, das Ergebnis ist bekannt. Wenn nun kleine Einkommen mit CDU Parteibuch wg. Pflege und Mietwucher in die Insolvenz rutschen weil niemand sich rührt wird wird es spannend. Wir stehen wie gesagt am Anfang (!) einer Entwicklung (!). Verfolge den Prozess war mal ein Schlachtruf in den 90zigern. Die Gewerkschaften haben sich bis heute nicht ganz vom „ Neue Heimat“ Skandal erholt. Was nicht dagegen spricht zur Entlastung mal schnell Hochhäuser hochzuziehen. Fände ich gut.

  • Der letzte echte Christ in der CDU...

  • Huch ein CDUler mit Empathie. Möchte Merz mehr Obdachlose?

  • Vermietern, die 30 - 50 % unter der ortsüblichen Miete, ihre Immobilien an Leistungsemfänger vermieten, könnte auch der Differenzbetrag als Ausserordentliche Belastung ( z. B. Spenden für einen guten Zweck ) bei der Einkommenssteuererklärung eingeräumt werden.

  • Danke, dass da welche zumindest für die Galerie protestieren.



    Die Union hatte früher da deutlich mehr Stimmen aus der Richtung und sollte wieder mehr haben, denn Neoliberalismus gebiert rechtsextremes Wahlverhalten.

  • Es gibt also doch noch CDU-Leute, die die wirklichen Probleme sehen.

    • @Ciro:

      Eher als Medialwirksammes Gezeter zu verbuchen...