Meldeportal für „linke“ Lehrer: Die Denunziationsliste der AfD
Die AfD will in mehreren Bundesländern die Namen von Lehrern sammeln, die „linke Ideologien“ verbreiten. Wie gehen Lehrer damit um?
Ein Gymnasium in Heilbronn, Stadtteil Böckingen-Schanz. Gemeinschaftskundeunterricht, hitzige Diskussionen in der Klasse. „Der Islam ist Faschismus“, sagt ein Schüler. Türkische Mitschüler fühlen sich beleidigt. Lehrer Tobias Henrichs muss eingreifen, „das mache ich aber nur, wenn ein Argument nicht faktenbasiert ist.“ Nach der Stunde fragt ihn der Schüler, ob er in der Klausur für eine falsche Meinung eine schlechtere Note bekäme? Und der 34-Jährige merkt einmal mehr, dass er im Schützengraben einer AfD-Hochburg unterrichtet.
In Böckingen-Schanz holte die AfD bei der letzten Bundestagswahl 31,6 Prozent der Zweitstimmen. Unter Tobias Henrichs Schülern sind viele Russlanddeutsche, deren Eltern zu großen Teilen treue AfD-Wähler. „Natürlich spürt man da, welches Gedankengut in die Schule getragen wird.“ Islam, Kopftuch, Flüchtlinge. Was vor der Schule tobt, finde auch seinen Weg in die Klassenräume. „Nicht immer leicht, dabei neutral zu bleiben“, meint Henrichs. Aber er weiß auch, genau das ist sein Job. Seine politische Meinung hat im Unterricht keinen Platz. Es sei denn, die Schüler fragen ihn danach, aber auch dann sei sie nur ein Diskussionsangebot.
Die AfD Baden-Württemberg hat vorletzte Woche begonnen, die Namen von Lehrerinnen und Lehrern zu sammeln, die im Unterricht angeblich gegen die AfD hetzen. Gezielt werden Schüler und Eltern aufgerufen, „linke Ideologien“ zu melden. Das Meldeportal heißt www.mein-lehrer-hetzt.de, registriert auf den AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Räpple. Die Seite war nach nur vier Stunden wegen eines Hackerangriffs wieder abgeschaltet. Jetzt wird sie offline gegen weitere Angriffe gewappnet. Die Namen der Lehrer sollen dann offen zugänglich sein.
Wer dort gemeldet wird, hat die AfD „thematisiert oder dämonisiert“, schreibt Räpple in einer Pressemitteilung auf Facebook. Schüler erhielten schlechte Noten, „nur weil sie sich positiv über die AfD äußern“. Unsinn, sagt Tobias Henrichs. „Natürlich greifen wir die AfD auf, wenn es thematisch passt. Das ist aber keine Dämonisierung, sondern reine Diskussion.“
Im Kern geht es bei diesem Streit um den „Beutelsbacher Konsens“, den Grundsatz der politischen Bildung an Schulen. Nach dem sogenannten Überwältigungsverbot dürfen Lehrer ihren Schülern keine Meinung aufzwingen. Schüler müssen an deutschen Schulen zu mündigen Bürgern erzogen werden. Parteipolitische Zurückhaltung ist Pflicht. Mehrere AfD-Landesverbände halten schon offene Diskussionen im Unterricht für Verstöße gegen diese Prinzipien.
Mehr als 10.000 Meldungen gingen bereits ein
Auch die Junge Alternative Sachsen-Anhalt, der Jugendverband der AfD, hat vergangene Woche bereits gezeigt, wie ernst sie das Thema Neutralität an Schulen nimmt. Über Nacht hissten die Jung-AfDler Deutschlandfahnen an 20 Schulgebäuden. Werte wie „nationales Gemeinschaftsempfinden“ würden „von oben herab systematisch aberzogen“.
Die Idee zu dem Onlinepranger für Lehrer kommt von der AfD in Hamburg, dort läuft die Aktion „Neutrale Schule“ bereits seit Ende September. Weit mehr als 10.000 Meldungen gingen bereits ein. Ähnliche Meldeportale sind für insgesamt zehn Bundesländer geplant. In Brandenburg startete die Aktion am Freitag, Auftakt für Berlin ist der heutige Montag.
Lehrer aus der Hauptstadt sendeten der AfD-Fraktion am Freitag aus Protest eine „Selbstanzeige“. In ihrem Brief heißt es: „Wir greifen auf das Mittel der Selbstanzeige zurück, damit wir auf Ihrer Denunziationsliste von Berliner Lehrer*innen erscheinen. Wir möchten nicht, dass sich andere die Mühe machen müssen, uns bei Ihnen anzuzeigen – wir melden uns freiwillig.“
Tobias Henrichs, der Lehrer aus Heilbronn, fürchtet vor allem den Druck der Eltern. „Natürlich würde ich mich dann verändern.“ Besonders junge Kollegen werden seiner Ansicht nach verunsichert. Neutralität könne nicht heißen, sich jeden Irrsinn anzuhören. In der Praxis sei das oft eine Gratwanderung, sagt Henrichs. „Wenn ich mich einmische, bekommt eine Seite immer das Gefühl, dass ich parteiisch sein könnte.“
Falsche Auffassung von politischer Bildung
Für Matthias Schneider von der Lehrergewerkschaft GEW beweist dies das vergiftete Klima an den Schulen. Er spricht von „Spitzelmethoden, wie sie zuletzt vor 75 Jahren in Baden-Württemberg angewendet wurden“. Die GEW vertritt in Baden-Württemberg über 50.000 Frauen und Männer im Bildungsbereich. Ein „Sammelbecken links-grüner Ökolehrer, die keine Meinung außer ihrer eigenen zulassen“, sagt Stefan Räpple von der AfD. Schneider kontert: „Die AfD kann sich sicher sein, dass wir uns davon nicht einschüchtern lassen.“ Die Aktion zeige eine völlig falsche Auffassung von politischer Bildung, wenn Diskussionen so verhindert werden sollen. „Kinder und Jugendliche werden für die Politik der AfD instrumentalisiert.“
Die baden-württembergische Landesregierung ist besorgt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) spricht von „Bausteinen ins Totalitäre hinein“. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) sagt, diese Denunziation zeige nur, wer hier die „politische Bildung bitter nötig habe“. „Selbstverständlich sind Lehrkräfte zuallererst dazu verpflichtet, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten“, heißt es in einem Schreiben der Landeszentrale für politische Bildung. Die notwendige Überparteilichkeit sei aber „nicht mit Wertneutralität zu verwechseln“. Helmut Holter, Vorsitzender der Kultusministerkonferenz, sagt, „alle Warnglocken sollten in uns läuten“, wenn eine Partei das öffentliche Anschwärzen von Lehrern für adäquat erkläre. Die AfD testet derzeit aus, wie weit sie die Konturen dieser Unterschiede verwischen kann.
Patrick Thalacker hat das bereits deutlich zu spüren bekommen. Der 44-Jährige lehrt Gemeinschaftskunde an einem Gymnasium in Breisach am Rhein an der Grenze zu Frankreich. Viele Fächer unterrichtet Thalacker auf Französisch. Aus der Zeitung Le Monde brachte er seinen Schülern eine Karikatur zum Syrienkonflikt mit. Die zeigt eine machtlose UN. Und ein Russland, das Interesse daran hat, dass das so bleibt. Kritisch also in jede Richtung. Am nächsten Tag stand der Vater eines Schülers vor Thalacker und redete von Falschinformationen, Mainstream und Lügenpresse. Man kennt sich in Breisach. Der Vater: Russlanddeutscher und AfDler.
„Ich bin nicht bereit, mit der AfD über die Inhalte meines Unterrichts zu diskutieren. Die haben hier nix verloren“, sagt Thalacker. Ob die Karikatur seine persönliche Meinung darstelle? Selbst wenn, das spiele keine Rolle. „Es geht um Diskussion, das versucht die AfD aber in Einflussnahme umzudeuten.“ Seinen Eid habe er nicht auf ein Parteibuch abgelegt, sondern auf die Landesverfassung. „Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen“, heißt es da. Die AfD mache daraus „Gutmenschentum und verkehrt den Inhalt“, sagt Thalacker.
Dicke Autos, neue Handys, krumme Geschäfte
Sich gegen die AfD an den Schulen zu wehren funktioniere nicht immer. Vor rund einem Jahr stellte sich heraus, dass sein damaliger Lehramtspraktikant auch AfD-Kreissprecher ist. „Meine Schüler entdeckten ein Video von einer Demo im Internet. Der junge Mann wetterte gegen Homosexuelle und die Ehe für alle.“ Anschließend stand er wieder vor der Klasse. „Ich musste keinem Schüler sagen, was er davon zu halten habe. Das wussten die schon selbst“, sagt Thalacker. Die weitere Zusammenarbeit war „fachlich-sachlich“ und „menschlich distanziert“.
Birgit Kanngießer wiederum beobachtet Veränderungen in ihrer Schülerschaft. Die 59-Jährige unterrichtet Religion an einer Gewerbeschule in Lörrach. „Seit Jahren höre ich immer mehr demokratiefeindliche Aussagen von Schülern, auch Menschenverachtendes. Die Schüler äußern sich viel direkter und unverblümter.“ Besonders Flüchtlinge sind Dauerthema: dicke Autos, neue Handys, krumme Geschäfte. Nur eine Auswahl der Vorurteile, die Kanngießer regelmäßig hört. „Da komme ich nicht immer gegen an.“ Zurückhaltung könne auch falsch sein. „Es gab immer schon Schüler, die mit rechtem Gedankengut geliebäugelt haben, aber durch solche Aktionen wird so etwas immer legitimer und sagbarer. Die werden momentan richtig beflügelt.“
Ein Gutes habe der Wirbel um die AfD-Aktion aber: Lehrer und Lehrerverband solidarisierten sich. „Junge Lehrer brauchen jetzt jede Unterstützung.“ Sonst werde die Schule ein unpolitischer Raum, und dann habe die AfD ihr Ziel erreicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen