Mehrwegverpackungen für Online-Handel: Das Paket der Zukunft?
Der Verpackungsmüll nimmt zu, Tchibo, Otto und Avocadostore testen deshalb Mehrwegversandtaschen. Über die Tücken einer neuen Öko-Idee.
Die Onlineshops von Tchibo, Otto und Avocadostore haben getestet, ob mit Verpackungen funktioniert, was mit den Bechern für Coffee-to-go geht: Mehrweg. Erstes Ergebnis: Die Sache hat Haken, obwohl die Idee bestechend einfach wirkt.
Alles hat 2013 begonnen. Der finnische Designer Juha Mäkelä arbeitet für ein Projekt mit der finnischen Post zusammen, sieht die Berge an Paketen und Verpackungsmüll, fragt sich: Warum lassen sich Verpackungen nicht zurückgeben wie Pfandflaschen? Er überzeugt zwei Kollegen, sie gründen Repack.
So gibt es nun eine Verpackung, die aussieht wie ein überdimensionierter Briefumschlag, recycelter Kunststoff, ein schwarzer Klettverschluss, in drei verschiedenen Farben – gelb, schwarz, weiß – und Größen. Der Kunde faltet die Tasche auf normales Briefformat zusammen, hat er sein Kleidungsstück, Elektroteil oder Buch bekommen, klebt ein Rücksendeetikett auf, steckt sie in den Briefkasten oder liefert sie beim Paketversand ab. Dann geht sie Retour zum Hersteller. Theoretisch lässt sie sich bis zu zwanzigmal wiederverwenden, ohne kaputtzugehen.
Extraanfertigung für Möbel
Kleinere Firmen, bei denen Öko zum Geschäftsmodell gehört, stellen bereits auf Mehrweg um. Es liegt im Trend. Andere sind schon länger dabei. Die Memo AG, ein Fachhändler für nachhaltigen Bürobedarf aus dem bayerischen Greußenheim, zum Beispiel liefert seinen Kunden Waren in einer grünen, stabilen Mehrwegbox aus Recyclingkunststoff, der Onlineshop Fairfox bietet die graue „Foxbox“ an. Selbst Sperriges wird schon in Mehrweg verpackt.
Kiezbett, ein Berliner Unternehmen für nachhaltig produzierte Schlafmöbel, hat seine Betten so designt, dass sie sich für den Transport in Einzelteile zerlegen lassen, und liefert sie nun in robusten, länglichen Taschen aus Recyclingkunststoff aus – eine Extraanfertigung von Repack. In Berlin werden sie von Lastenradlern transportiert, die die Verpackung zumeist wieder direkt mit zurücknehmen. Kunden außerhalb Berlins müssen die Taschen zurückschicken und bekommen dann 80 Euro Pfand zurück. Nur im großen Stil? Da ist alles anders, schwieriger.
Till Zimmermann begleitet als Wissenschaftler den Mehrweg-Probelauf, den Avocadostore mit 2.000 Repack-Taschen, Otto mit 4.000 und Tchibo mit 7.500 gemacht haben. Die erste Testphase fand im vergangenen Jahr von August bis Oktober statt. Die Unternehmen schicken derzeit wieder alles in Einweg, während Zimmermann, der bei der Hamburger Umweltberatung Ökopol arbeitet, mit seinen Kolleginnen und Kollegen die Erfahrungen auswertet.
Kaufe ich aus Umweltsicht lieber nur vor Ort ein? Dieser Frage ist das Umweltbundesamt nachgegangen. Ergebnis: Sich ein Produkt aus dem Internetkaufhaus nach Hause liefern zu lassen, ist für das Klima besser, als mit dem eigenen Pkw mehrere Kilometer zu einem Geschäft zu fahren.
In Zahlen: Eine Einkaufsfahrt von fünf Kilometern im eigenen Pkw erzeugt 600 bis 1.100 Gramm CO2, die Fahrt mit dem Fahrrad: 0. Und für eine Lieferung per Onlinedienst fallen im Schnitt zwischen 200 und 400 Gramm an.
Der Grund für die im Vergleich zur Autofahrt geringe Klimabelastung: Die Lieferfahrzeuge sind besser ausgelastet, die Routen sind effizient geplant. Zudem werden immer mehr Elektrofahrzeuge eingesetzt. Die Versandverpackung, die im Müll landet, ist im Onlinehandel aber laut den Experten ein besonders umweltbelastender Faktor. (HG)
Die Ökobilanz im Vergleich zum klassischen Pappkarton oder Plastikbeutel? Im Test wurden die Taschen in Estland gesäubert, bevor sie wieder neu verteilt wurden. „Das ist günstiger als sie in Deutschland zu reinigen“, erklärt Zimmermann. Die langen Wege kosten jedoch Energie und erhöhen damit den CO2-Ausstoß. Das heißt, so Zimmermann: „Mehrwegverpackungen sind frühestens dann ökologischer, wenn sie zwei bis sieben Umläufe gemacht haben, je nachdem was für eine Einwegverpackung sie ersetzen.“
Die Verpackung zurückschicken? Ungewohnt
Allerdings schickten nicht alle Kunden die Verpackung zurück – bislang waren es nur 75 Prozent. Das ist nicht schlecht, reicht aber nicht für die gute Umweltbilanz. „Dafür brauchen wir Rücklaufquoten von 80 bis 90 Prozent“, sagt Zimmermann. Mancher habe die Mehrwegtasche womöglich aus Versehen in den Müll geworfen, die Bitte um Rücksendung übersehen. Bei Avocadostore mussten die Kunden Mehrweg bewusst gegen einen Aufpreis von 3,95 Euro buchen. Bei Tchibo und Otto wurden sie aber zufällig ausgesucht, also überrascht.
Und niemand ist daran gewöhnt, die Verpackung zurückzuschicken. Vielleicht erschien es ihnen aber auch einfach zu umständlich. Oder die Verpackung war zu schön. „Das darf sie auch nicht sein“, sagt Zimmermann. Kunden nutzten sie dann womöglich als Tasche für den Laptop, anstatt sie zurückzusenden. Nur: Auch Versandtaschen seien eine Visitenkarte des Unternehmens. Ganz ohne Design geht es auch nicht. Die Sache ist kompliziert.
Entscheidender ist aber wohl ein anderes Problem: die Kosten. Pro Versandtasche lägen sie bei zwei bis drei Euro, plus Aufwand für den Onlinehändler selbst. Der müsse zum Beispiel eine extra Software einbauen, die erkennt, welche Repack-Tütengröße die Richtige für eine Bestellung ist, so der Forscher. In dem umkämpften Onlinemarkt zähle aber jeder Cent, der Kunde gehe sonst schnell zur Konkurrenz.
Wie sieht dann das Paket der Zukunft aus? Onlineshops nutzten schon heute recyceltes Material für ihre Kartons und Tüten, sagt Zimmermann. „Erreicht der Anteil 100 Prozent, wäre das ein Schritt.“ Wer aber einen großen Schritt machen wolle, komme an Mehrweg nicht vorbei, müsse dann aber in Deutschland „das gesamte System“ aufbauen, den Kreislauf von Verpacken, Säubern, Neuverteilen. Und das zu einem Preis, der niemanden aus dem Wettbewerb katapultiere.
Zimmermann sieht „für den Einsatz von Mehrweg in der Breite noch große Hindernisse, außer die Politik greift ein und verpflichtet die Onlinehändler neben Einwegtüte oder -karton immer auch das Mehrwegpendant anzubieten“. Das sei dann ähnlich wie in Restaurants, Cafés und Supermärkten, die ab 2023 für Essen und Getränke zum Mitnehmen immer auch die Mehrwegalternative haben müssen.
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