Mehr Radikalität bei Klimaprotesten: Seid Sand im Getriebe!

Um das Klima zu retten, reichen Appelle nicht. Deshalb muss Fridays for Future radikaler werden. Eine Antwort auf Luisa Neubauer und Carla Reemtsma.

Klimaaktivisten ziehen an einem Seil

An einem Strang: Luisa Neubauer und andere KlimaaktivistInnen im August in Lützerath (NRW) Foto: David Young/dpa

Gemeinsam radikal die Verantwortung übernehmen, so endet der Text von Luisa Neubauer und Carla Reemtsma von Fridays for Future zum IPCC-Bericht in der taz vom 9. August. Der Titel lautete „1,5 Grad sind möglich“. Das klingt erst mal gut, doch was genau heißt das? Nach drei Jahren Streik fehlen vor allem konkrete Veränderungen. Nicht durch freundliche Appelle, sondern durch direkte Aktion bauen wir den notwendigen politischen Druck auf, um das zerstörerische Nichtstun endlich zu beenden.

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Klar, ihr ruft zum 24. 9. die gesamte Gesellschaft zu einem weiteren globalen Streik auf. Allerdings gab es schon ein paar solcher Streiks. Sie zwingen die Verantwortlichen nicht zum Handeln. Natürlich wurdet ihr Fridays öffentlichkeitswirksam in jede Fernsehshow und zu Gesprächen mit Spit­zen­po­li­ti­ke­r*in­nen eingeladen. Man dankt euch viel für euer Engagement.

Zugegeben, ihr habt in der Zivilgesellschaft viele Menschen erreicht, und darauf könnt ihr stolz sein. Dennoch sind für 2021 wieder steigende CO2-Emissionen prognostiziert und eure Streiks sind mittlerweile kaum mehr als eine symbolische Mahnwache, die keinerlei Druck erzeugt.

Sicher, ihr ruft auch zum Wählen am 26. 9. auf. Natürlich sind Mehrheiten im Bundestag wichtig. Wir werden in Deutschland vermutlich bald eine Koalition haben, die sich mit Mühe auf einen Kohleausstieg 2034 einigen kann. Das reicht bei Weitem nicht für das Einhalten des 1,5-Grad- Ziels und erst recht nicht für Klimagerechtigkeit. Was ist also unser strategischer Plan, diesen Druck auszuüben?

Die Reaktion muss sein dem parteipolitischen Nichthandeln, dem Status quo, unsere Unterstützung zu entziehen, anstatt ihn durch Appelle doch endlich zu handeln, weiter zu legitimieren. Es müssen sich, wie ihr in der taz schreibt, „Gott und die Welt in Bewegung setzen“.

Wir brauchen direkte Aktionen

Aber sich in Bewegung zu setzen fängt bei euch, Fridays, und eurer Bewegung an. Statt weiter stur die Taktik des mittlerweile symbolischen Protests zu verfolgen, solltet ihr ehrlich reflektieren, was dadurch (nicht) erreicht wird, und euch von dieser lähmenden Taktik lösen. Ihr habt die Reichweite und die Verantwortung, direkte Aktion nicht nur in Worten zu unterstützen, sondern selbst umzusetzen und damit den Handlungsdruck massiv zu erhöhen.

Das große Verdienst von Fridays for Future ist es, die Dramatik der Klimakatastrophe in das Bewusstsein sehr vieler Gesellschaftsteile getragen zu haben. Weil die ökologischen Krisen ihre Ursache in sozialen Verhältnissen hat, geht es der Klimagerechtigkeitsbewegung nicht um eine Serie kleiner Reformprojekte, sondern um grundlegende gesellschaftliche Veränderung.

Mit Macht gegen den Status quo

Dafür müssen wir insbesondere die Wirtschaft, welche ihre Profite auf dem Rücken des Globalen Südens erwirschaftet, radikal demokratisieren. Doch der Status quo ist träge und seine Profiteure wehren sich mit aller Macht gegen jede ausreichende Kurskorrektur. Wenn wir als Bewegung eine Chance haben wollen, dann müssen wir taktisch klug handeln. Wir müssen uns dem Status quo mit all unserer Macht in den Weg stellen und ihn verändern.

In Lützerath kursiert aktuell der vielsagender Aufkleber: „2018 hat angerufen, es will seine Bewegung zurück“. Damals haben tausende Ak­ti­vis­t*in­nen auf den Bäumen und in Sitzblockaden die Räumung des Hambacher Forst verhindert. Zehntausende Wald­spa­zier­gän­ge­r*in­nen kamen jedes Wochenende und störten die Räumungsarbeiten.

Am Ende kamen 50.000 Menschen zu einer Großdemo, einen Tag nachdem sich die Regierung durch den entschlossenen vielfältigen Widerstand gezwungen sah, den Hambacher Forst auf rechtlicher Ebene zu retten. Das war der Erfolg einer Bewegung, die sich außerpalamentarisch organisiert hat und entschlossen für ihre Ideale eingestand.

Grenzen des Reformismus

Im Gegensatz dazu sind die Erfolgschancen von reformistischer Dialogpolitik klar am Beispiel der Kohlekommission zu erkennen, deren Beschlüsse wir bis heute bekämpfen. Deswegen müssen wir situativ angemessenen Aktionsformen nutzen, die die Zivilgesellschaft im Hambacher Forst schon lange unterstützt hat.

Dieses Jahr ist für das Ende der Kohleverstromung in Deutschland entscheidend. Die Ausweitung des Tagebaus Garzweiler 2 wird aktuell nur durch Ak­ti­vis­t*in­nen im Dorf Lützerath blockiert. Bereits jetzt muss RWE aufwendig um Lützerath herumbaggern, da der letzte verbliebene Landwirt sich weigert, sein Elternhaus zu verkaufen. Sollte sein Haus diesen Herbst enteignet und zerstört werden, dann kann RWE ohne Widerstand bis 2026 weiterbaggern. Wenn wir es aber mit Klimaschutz und Klimagerechtigkeit wirklich ernst meinen, dann darf diese Kohle unter keinen Umständen verbrannt werden.

Das zu verhindern, ist gar nicht so schwer. Spätestens am 27. 9. packen alle ihre Sachen und reisen nach Lützerath. Wenn wir entschlossen und gut organisiert sind, dann kann RWE nicht weiter baggern und selbst die Polizei wird uns machtlos gegenüber stehen. Nur durch direkte Aktion können wir den Kohleausstieg erstreiten.

Niemand sagt, dass es angenehm ist politisch unbequem zu sein. Es kann persönliche Konsequenzen haben, doch diese sind im Vergleich zur Klimakrise marginal. Weiterhin nur freundlich zu appellieren hat für die Bewegung und den Klimaschutz weitreichende Folgen.

Das Haus brennt

Im Globalen Süden stehen – um Greta Thunberg zu zitieren – die Häuser schon lange in Flammen. Die Machtverhältnisse, welche den Kohleausstieg verhindern, werden sich niemals ohne Konfrontation ändern. Fridays, wir müssen den Mut haben ernsthaft Sand ins Getriebe der Politik zu streuen. Echte Veränderung wird nur von einer Bewegung kommen, die politischen Druck ausübt.

Gemeinsam mit vielen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung werden wir diesen Herbst in Lützerath sein, um der Braunkohle ein Ende zu setzen. Wir warten dort auf euch. Die akute Klima­krise erfordert es.

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34, ist Aktivistin und Naturschutzökologin. Sie wurde international bekannt, als sie 2019 als Kapitänin des Seenotrettungsboots Sea-Watch 3 mit 53 aus Libyen stammenden Flüchtlingen gegen den Willen der italienischen Behörden den Hafen von Lampedusa anlief. Derzeit ist sie mit einem Forschungsprojekt über Finnwale in der Antarktis unterwegs.

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