IPCC-Klimabericht: 1,5 Grad sind möglich

Der neue Klimabericht ist ein Report über politisches Versagen in historischem Ausmaß. Die Frage ist, was wir als Gesellschaft jetzt daraus machen.

Angela Merkel und Armin Laschet unterwegs im teilweise zerstörten Münstereifel

Entscheiden sich Parteien, ihre Wahlprogramme zugunsten des Klimaschutzes zu überarbeiten? Foto: Wolfgang Rattay dpa

Es ist nicht mal mehr eine Überraschung. Über 40 Jahre lang hat die Politik die Warnungen der Wissenschaft ignoriert und jetzt verkündet diese, dass ihre Warnungen nun Wirklichkeit sind. Wir haben uns in eine Welt hin­­ein­emittiert, die heißer und gefährlicher ist als das, was seit mindestens 100.000 Jahren auf dem Planeten los war. Man hat die Ozeane versauert, die Atmosphäre verstopft und Gletscher zum Schmelzen gebracht. Zusätzlich präsentiert der Weltklimarat in seinem neuen Bericht Erkenntnisse über das, was uns in diesem Jahrzehnt erwarten könnte, und verfeinert Berechnungen über die wenige Zeit, die bleibt, um das Schlimmste zu verhindern.

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In den nächsten Tagen wird man viel über den prognostizierten Meeresspiegelanstieg sprechen, die zu erwartenden Extremwetterlagen und die Emissionsbudgets, man wird Wis­sen­schaft­le­r:in­nen hören, deren schlimmste Erwartungen übertroffen wurden. Im Kern aber ist der neue Klimabericht keine Zusammenfassung wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern ein Report über politisches Versagen in historischem Ausmaß. Man hat es schlicht verpasst, die skizzierte planetare Extremsituation zu verhindern. Man hat die ökologische Zerstörung erst möglich gemacht, indem man Warnungen ignoriert und Wissenschaft degradiert hat.

Für uns, Aktivistinnen einer Generation, die aller Voraussicht nach noch das Jahr 2080 erleben wird, ist das eine skurrile Situation. Man fragt uns freundlich, wie wir den neuen Bericht finden, und wir antworten fernsehtauglich und ruhig. Aber innerlich beben und wüten wir. Seit Jahren kämpfen wir für ein Ende der ökologischen Krisen, seit Jahren erklären politische Vertreter uns, dass wir doch ein bisschen mehr Geduld und etwas weniger schlechte Laune haben sollen – und seit Jahren überschlagen sich die Hiobsbotschaften über den Zustand unserer Welt und die Perspektiven unserer Zukunft. Und diesen Sommer kommt alles zusammen, die Klimakrise auf dem Höhepunkt, die Wissenschaft auf einem Tiefpunkt. Wir haben Angst um Zukunft, um Gegenwart, um unsere Hoffnung. Und was tut ihr jetzt, ihr Mächtigen in Politik und Wirtschaft? Was, verdammt, tut ihr?

Im schlimmsten Fall bedienen sich jetzt alle Beteiligten bewährter Routinen: Regierungsmitglieder versprechen eilig, dass man sich künftig besonders anstrengen werde. Vergangenheitsverteidigende Politiker, die seit Jahrzehnten die Klimakrise herunter-, und die Interessen der fossilen Industrien hochspielen, werden aus diesem Report herauslesen, dass es sich gar nicht mehr lohnt, sich ins Zeug zu legen für 1,5 Grad. Einige werden sagen: „Wir haben es euch doch gesagt“, und verschweigen, dass man es womöglich hätte so sagen müssen, dass es auch wirklich ankommt. Wir werden melancholische Gespräche darüber erleben, dass man jetzt auch nicht mehr überrascht ist, weil das Klima halt immer schlechter wird. So wie die Haut faltig wird, nutzt sich auch der Planet im Lauf der Jahre ab. Und nach ein paar Tagen passiert etwas anderes in der Welt, man wendet sich ab und der Bericht verschwindet in der Masse erschreckender Erkenntnisse.

sind Sprecherinnen von Fridays For Future in Deutschland.

Vielleicht kommt diesmal aber auch alles anders. Vielleicht entscheiden sich die Parteien infolge der Hochwasserkatastrophe und des neuen IPCC-Berichts, ihre Wahlprogramme zu überarbeiten, um der Klimakatastrophe in vollem Umfang zu begegnen. Vielleicht sprechen sich breite politische Mehrheiten für einen vorgezogenen Kohleausstieg, das Ende von Nord Stream 2 und ein Moratorium für neue fossile Projekte aus. Vielleicht werden wir überrascht von einer politischen Landschaft, die sich entscheidet, mit dem Report so umzugehen, als würde es wirklich um alles gehen. Vielleicht.

Ein Vielleicht reicht aber nicht. Die Politik des fossilen Weiter-so wird nicht von Katastrophen oder drastischen Berichten geändert werden. In den letzten 40 Jahren war Politik ja auch ohne Klimabewusstsein möglich. Das wiederum ging, weil Machterhalt und die Motivation, das Klima zu bewältigen, sich bisher nicht gegenseitig bedingt haben. Das ging, weil Politiker befreit von jedem Verständnis über die ökologische Krise Karrieren verfolgen konnten.

Ändern können dies nur Menschen, die das nicht mehr mitmachen. Die sich organisieren, auf der Straße, in Institutionen, aus allen Generationen und allen Ecken des Landes. Weil sie ihre Zukunftsperspektiven nicht allein an die Möglichkeit knüpfen wollen, dass eine Politik, die 40 Jahre Katastrophe und Berichte ignoriert hat, nun von selbst auf die Idee kommt, die größte Katastrophe der Menschheit auch als solche zu behandeln.

Wir haben den Bericht des Weltklimarates gelesen und mit Wissenschaftlern gesprochen, die daran beteiligt waren. Wir wissen jetzt erstens, dass es nach wie vor möglich ist, den globalen Temperaturanstieg langfristig bei circa 1,5 Grad zu stabilisieren. Es wird hart, aber der Kampf lohnt mehr denn je. Zweitens: Nichts, was wir jetzt in Bewegung setzen, um jede Tonne Emissionen zu verhindern, die zu verhindern ist, kann so mühsam werden, wie das, was uns in einer Welt der ungebremsten ökologischen Eskalation bevorsteht. Denn drittens: Wenn wir nicht Gott und die Welt in Bewegung setzen, wird das Leben im Laufe dieses Jahrhunderts immer mehr zum Überleben in einer Welt, für die weder Menschen noch unsere Infrastruktur gebaut sind.

Manche Klimablockierer werden den Bericht als Anlass nehmen, klimabewegten Menschen abzusprechen, für ein sinnvolles, erreichbares Ziel zu kämpfen. Dabei sagt der Bericht deutlich: Wir sind richtig, wo wir sind, wir werden gebraucht. Wir müssen jetzt mehr als je zuvor um jedes Zehntelgrad kämpfen. Statt auf die nächste Katastrophenmeldung, den nächsten Klimabericht zu warten, sind wir gefragt, radikal die Verantwortung zu übernehmen, die die Politik schon vor Jahren abgegeben hat. Und das nicht zu zweit oder zu zehnt – sondern alle gemeinsam.

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