Linkspartei in der Krise: Nah am Abgrund
Die Linkspartei verzettelt sich in einem internen Richtungsstreit. Ihr fehlen Strategien und Zuversicht. Daran wird auch der Parteitag wenig ändern.
D ie Linkspartei lädt am Wochenende zum Wahlprogrammparteitag, Ein Aufbruch soll es sein, das Spitzenkandidatenduo Janine Wissler und Dietmar Bartsch soll öffentlich gekrönt werden. Doch statt des berauschenden Wahlkampfstarts wird es vermutlich zäh werden. Die Partei ringt um die Außenpolitik, um eine mögliche Regierungsbeteiligung, vor allem aber ringt sie mit sich selbst. Sie steht gefährlich nah am Abgrund.
Bei Umfragewerten von 6 Prozent ist es nicht mehr unmöglich, dass die Linkspartei dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören wird. Wie konnte es so weit kommen?
Um das zu verstehen, reicht es nicht, auf den Parteitag zu schauen. Er ist nur Ausdruck einer tieferen Lähmung, die auch in die gesellschaftliche Linke hineinreicht. Die Linkspartei ist in Deutschland derzeit im Grunde bedeutungslos. Ihre Debatten drehen sich weitgehend um sich selbst. Man zerfleischt sich lieber selbst als den politischen Gegner.
Das wurde deutlich, als auf Sahra Wagenknechts zur Unzeit erschienenes Buch „Die Selbstgerechten“, eine Abrechnung mit der eigenen Partei im Wahljahr, manche GenossInnen mit einem Antrag auf ein Ausschlussverfahren reagierten. Hier das egozentrische Verhalten Wagenknechts, dort Linkssektierertum. All das sind Zeichen der Schwäche. Es scheint, als würde man lieber bereitwillig im Besitz der reinen Wahrheit untergehen, als dem anderen einen Punkt zuzugestehen.
Und das passiert während einer Gesundheitskrise mit sozialen Folgen. Es passiert in einer Zeit, in der Fragen der sozialen Sicherheit hoch im Kurs stehen und sich mit Fridays for Future eine Jugendbewegung formiert hat, die nach einem Systemwechsel ruft.
Vor uns steht die Mammutaufgabe, den anstehenden sozial-ökologischen Umbau der Industrie anzugehen und die schwarze Null zu kippen. Ein grün-rot-rotes Bündnis schneidet, wenn in Umfragen nach Koalitionen gefragt wird, gar nicht schlecht ab. Von alldem müsste die Linkspartei eigentlich profitieren.
Sterile Scheindebatten
Doch das tut sie nicht. Statt konkrete Vorhaben ins Zentrum zu rücken, führt sie Debatten um Klasse und Identitätspolitik, um eine „Lifestyle-Linke“ und „Bewegungslinke“. Das Paradoxe an diesen sterilen Debatten ist, dass sie durchaus einen realen Kern haben. Denn natürlich teilt sich die Gesellschaft in Milieus auf, die einer spezifischen Ansprache und Politik bedürfen. Das Problem ist vielmehr, dass diesen Debatten der Bezug zu den realen Menschen fehlt.
In Sachsen-Anhalt haben jene, die sich selbst als Arbeiterinnen und Arbeiter bezeichnen, eher die AfD als die Linkspartei gewählt. Diesen Trend gibt es nicht nur im Osten – und er muss die Partei beunruhigen. Die alte soziale Basis stirbt förmlich weg oder wendet sich von der einstigen Protestpartei ab.
Weder Fisch noch Fleisch
Die Partei gewinnt zwar in den urbanen Milieus, doch dies macht diese Verluste nicht ausreichend wett. Die Ironie ist, dass man am Ende weder Fisch noch Fleisch ist, weder Arbeiterpartei noch eine moderne, bewegungsnahe linke Partei. Der Linkspartei geht damit ein Stück Identität verloren.
Das müsste nicht so sein. Jede sozialistische Partei tritt mit dem Anspruch an, für die Geknechteten einzustehen und eine menschliche Gesellschaft für alle anzustreben. Eigentlich müssten sich sowohl die Jüngeren, die sich um das Klima sorgen, wie die Älteren, die sich von der Wende noch betrogen fühlen, bei der Linken sammeln.
Jede erfolgreiche sozialistische Partei lebt von einer Bewegung, die sie trägt. Es gibt also keine bewegungslose Linkspartei, so wie es keine ohne die Schwächsten geben kann. Die Debatten, die die Partei und auch die gesellschaftliche Linke so umtreiben, sind so lange Scheindebatten, wie sie keinen Kontakt zur realen Welt haben.
Gespaltene Sammlung
Ein Beispiel, wie es nicht geht, war die von Wagenknecht unterstützte Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Sie scheiterte vor zwei Jahren an eigenen Verfehlungen – und nicht daran, dass es keine gesellschaftliche Notwendigkeit für eine solche oppositionelle Bewegung gegeben hätte. „Aufstehen“ war von Anfang an mehr Instrument im innerparteilichen Machtkampf als alles andere. Das war politisch verantwortungslos. Die Beteiligten manövrierten das Projekt schnell ins Aus.
Am erfolgreichsten sind linke Parteien und Bewegungen, wenn sie konkrete Probleme mit brauchbaren Strategien bearbeiten. So ist es beim Klimawandel und der Sorge um Jobs und der Mietenkrise in Großstädten. Der Mietendeckel oder eine Kampagne wie „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ zur Vergesellschaftung von Wohnraum in Berlin – der Inbegriff revolutionärer Realpolitik – ist in der Lage, zu mobilisieren.
Die Probleme liegen also auf der Straße, die Partei hat nur Schwierigkeiten, sie zu heben. Dazu müsste sie weniger Nabelschau betreiben – und raus in die Welt. Peter Mertens, Vorsitzender der belgischen Partei der Arbeit „PTB“, bringt den Erfolg der Partei auf die Formel, man habe den Menschen schlicht zugehört und dann gefordert, was sie wollten. Das allein reicht nicht, ist aber ein guter Anfang.
Ohne Strategie
Eine anderes Beispiel war die Kampagne von Bernie Sanders. Sie war erfolgreich, weil sie eine authentische Führungsfigur mit einem ambitionierten Programm verband, das auch den einfachen Leuten deutliche Verbesserungen für ihr Leben versprach, etwa eine Krankenversicherung.
In Deutschland fehlen solche populären Kampagnen, obwohl alle Bereiche der Daseinsvorsorge massiv unter Beschuss stehen. Kampagnenfähig wäre die Linkspartei, wenn sie bei Wohnen und Gesundheitsvorsorge, Mobilität und sozialer Absicherung konkrete Vorschläge macht, inhaltlich zuspitzt und intern eine Arbeitsteilung zulässt.
Davon ist die Partei weit entfernt. Ihr fehlen Strategien und Zuversicht. Und der Aufbruch, den sie braucht, lässt sich kaum auf der Bühne eines Parteitages inszenieren.
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