Linkspartei am Ende: Wem die Stunde schlägt
Die Linkspartei steht in bundesweiten Umfragen bei 6 Prozent. Das ist die Todeszone. Vielleicht ist es Zeit für etwas Neues? Eine Grabrede.
L iebe Trauergemeinde, liebe Angehörige! Wir haben uns heute hier versammelt, um Abschied zu nehmen. Abschied von der Linkspartei.
Wieso, werden Sie jetzt sagen, die zuckt doch noch, schauen Sie, wie sie da vorne im Sarg aufgebahrt liegt. Mag sein. Aber es ist an der Zeit, da jetzt einen Deckel draufzumachen (einen, der auch hält, also keinen aus Berlin). Damit die Trauerarbeit beginnen und bald etwas Neues entstehen kann.
Bei 6 Prozent liegt die Partei bundesweit in Umfragen, in der Todeszone. In Sachsen-Anhalt wird sie am Sonntag noch die Hälfte der Stimmen der vorletzten Landtagswahl bekommen.
Es gab eine Zeit, sie ist gerade mal vier Jahre her, da wählten Großstädter*innen gern die Linke. Sie eroberte Berlin-Neukölln, Hamburg-Altona und verdoppelte sogar in Karlsruhe ihre Wählerstimmen. Bei einer Umfrage unter taz-Mitarbeiter*innen gab damals die Hälfte an, die Linke wählen zu wollen (Grüße an jene Genoss*innen, die die taz „Zentralorgan der Grünen“ nennen).
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Vier Jahre später ist die alte Basis im Osten tot, und die neue wendet sich ab. Nicht etwa, weil sich die Partei zu viel mit Gendersternchen beschäftigt. Sondern weil sie nicht versteht, welche Stunde geschlagen hat.
In dieser Woche griff die Linke die Grünen wegen der banalen Feststellung an, dass die Benzinpreise steigen werden. Das sei „unerträgliche Arroganz“, „während Reiche problemlos weiter volltanken“. Dass die Grünen die höheren Preise ausgleichen wollen, verschwieg sie. Offenbar merkt die Linke nicht, dass sie damit Benzin ins Feuer von AfD und CDU gießt, die die Grünen als scheinheilige Moralisten darstellen.
Wer 2021 noch mit dem Geldbeutel am Zapfhahn argumentiert, gehört in die Redaktion der Bild. Statt für Mehrheiten zu kämpfen, zerfleischt man jene, die einem nahe stehen. So will es die Tradition.
Klimapolitik als elitär zu verunglimpfen ist nicht mehr zeitgemäß. Die Linke hängt, nicht nur in der Außenpolitik, an alten Feindbildern. Aber wenn selbst der US-Präsident einen Green New Deal organisiert, wieso sollte in Deutschland alles so bleiben, wie es im 20. Jahrhundert war?
Vor vier Jahren war ein Wahlsieg von Merkels CDU unausweichlich, und viele Linken-Wähler*innen hatten kein Problem damit, Opposition zu wählen. Das ist heute anders. Wenn die nächste Regierung keine radikale Klimapolitik macht, können wir nicht noch mal vier Jahre warten und über Kuba-Solidarität diskutieren.
Es hätte eine Chance auf Grün-Rot-Rot gegeben. Die SPD hat sich verändert, das Wahlprogramm der Grünen ist links. Nur die Linke spielt lieber Kalter Krieg auf einer immer heißeren Erde. Und wird dafür bei der Wahl bestraft werden.
Mit diesem Schicksal hat sich die Partei abgefunden und greift deshalb nun die Grünen an. Hauptsache, raus aus der Todeszone. Wer ums Überleben kämpft, schaut nur auf sich.
Liebe Gemeinde, über Scheintote nur Gutes, heißt es. Deshalb beende ich meine Trauerrede mit etwas Hoffnung. Die Linkspartei mag tot sein, ihre Ideen leben weiter. Klingt kitschig, aber ist so: Es gibt mit Fridays for Future eine soziale Bewegung, die dafür sorgen wird, dass die Antwort auf den climate change ein system change sein wird.
Die SPD hat, 15 Jahre nach der Geburt der Linken, ihre Forderungen übernommen. Und im Herbst, wenn die Grünen mit der CDU koalieren, kann etwas Neues entstehen: eine Partei, die in Sachsen-Anhalt und Kreuzberg gewählt wird, Klasse und Klima zusammen statt gegeneinander denkt. Hauptsache, die Untoten erwachen nicht wieder zum Leben. Ruhe in Frieden!
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