Linke-Politikerin Heidi Reichinnek: Auf die Barrikaden!
Die Linkenpolitikerin Heidi Reichinnek zeigte im Bundestag, wie man seinen Wähler*innen sagt, dass man sie verteidigt – koste es, was es wolle.
E ndlich, endlich Licht im Bundestag. Ja, an diesem historischen Mittwoch ging ein neuer Stern am Abgeordnetenhimmel auf. Ja, es gibt eine Alternative zu den Schluffis, den Behäbigen, den Trantütigen und Trutschigen, den an Beamtitis und Ideenlosigkeit leidenden und in gestanztem Politikerphrasendeutsch um den heißen Brei herumredenden, bei einer entscheidenden Abstimmung fehlenden Volksvertreter*innen, und den rechten Populist*innen. Es gibt eine neue Queen im Bundestag: Heidi.
Heidi Reichinnek, 36, ostdeutsch sozialisiert, bekennende Metallerin, crazy Tattoos am Unterarm, Pony über der ganzen Stirn, Abgeordnete und Gruppenvorsitzende der Linken. Und seit Mittwochabend die Einzige im Bundestag, von der ich glaube, dass ich mich im Notfall auf sie verlassen kann.
Was für ein Auftritt. Was für eine Rede. Obwohl: Das, was sie gesagt hat, hätte auch jeder andere Abgeordnete sagen können. Hat aber keiner.
Heidi Reichinnek war am Mittwoch im Bundestag die Einzige, die ohne Einschränkung klarmachte: Du kannst auf mich zählen. Ich kämpfe auf deiner Seite, wenn sie kommen, uns zu holen. Die einzige, die klar sagte: Ich kämpfe gegen die Rechten und für die Rechte von dir und aller deiner Freunde, Bekannten und nichtrechtsradikalen Feinde, koste es, was es wolle.
Heidi for president – why not?
Ich muss zugeben, weder kannte ich Heidi Reichinnek bis Mittwoch, noch war mir klar, dass sie auf Tiktok unter Jugendlichen mega populär ist. Für mich war der Mittwoch wahrlich ein historischer Tag: Ich habe die Zukunft im Kanzleramt gesehen. Heidi for president – why not?
Ob ich wegen ihres Auftritts zum ersten Mal der Linken im Bundestag meine Stimme geben werde, weiß ich nicht – auch wenn ich zu den vielen gehöre, die sich fragen: Was zum Teufel soll ich eigentlich wählen, die sind doch alle Mist!
Ich weiß aber, dass ich im Bundestag schon lange niemand mehr so kämpferisch gesehen habe und erst recht nicht an diesem Mittwochabend. Und das war das eigentlich Beschämende in dieser an Abgründen nicht armen Bundestagsdebatte. Wir sahen die Vorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, die bedröppelt und mit brüchiger Stimme hilflos sich Gehör zu verschaffen suchte und nicht ihrer Empörung, sondern ihrer Bedröppeltheit Ausdruck verlieh.
Ähnlich wie später die zweite grüne Vorsitzende Katharina Dröge. Die Gesichter der beiden waren so kunstvoll bedröppelt, dass ich fürchte, statt sich auf das Absehbare vorzubereiten, um ordentlich auf den Tisch zu hauen, haben die beiden lieber vorher noch ’ne Coachingstunde genommen: Wie sehe ich besonders bedröppelt aus, halte aber trotzdem die Option offen, sofort Ja zu sagen, wenn Friedrich Merz nach der Bundestagswahl fragt: „Willst du mit mir gehen?“
Und dann auch noch Rolf Mützenich
Den krönenden Abschluss dieser verzagten und gehemmten Auftritte machte dann auch noch der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der mit hängenden Schultern nur noch sagen konnte: Wir brauchen eine Pause.
You had one chance, liebe SPD, liebe Grüne, wenn man wie ihr der Meinung seid, der Mittwoch war ein historischer Tag, war ein Tabu- und Wortbruch des CDU-Kanzlerkandidaten, war der Tag, an dem die Brandmauer gefallen ist, dann wäre der Bundestag der Ort gewesen, kämpferisch aufzutreten. Gegen rechts hilft kein erbärmlicher Pastorenton mit geknickter und entmutigter Miene. Man muss den Verantwortlichen in die Augen gucken, auf den Tisch hauen und ihnen ins Gesicht sagen, was sie sind: erbärmlich. So wie es Heidi Reichinnek in Richtung Friedrich Merz getan hat.
„Auf die Barrikaden!“ – lauteten Heidi Reichinneks letzte Worte an diesem historischen Mittwoch. Na gut, diesem Spruch könnte sie auch mal ein Update verpassen. Aber dennoch! Ein Mensch, ein Wort, sagen die Grünen. Seit Mittwoch ist klar: Heidi, du hast das Wort.
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