Lieferung von Kampfpanzern an Ukraine: Es geht um mehr als den Leopard
Mit der Panzer-Entscheidung übernimmt der Westen erstmals das ukrainische Kriegsziel. Europäische Nato-Staaten binden die USA damit an den Konflikt.
Es ist so etwas wie ein zweiter Schritt der „Zeitenwende“. Ein großer. Die Ankündigungen der vergangenen Woche aus Berlin und Washington, die Ukraine mit schweren Kampfpanzern der Typen M1 Abrams und Leopard 2 auszustatten, ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein Einschnitt: Für den weiteren Kriegsverlauf und für das Binnenverhältnis zwischen den USA und den europäischen Nato-Partnerländern.
Es darf getrost bezweifelt werden, darauf haben trotz des ukrainischen Jubels über die Entscheidung viele Militärexpert*innen hingewiesen, dass die Entsendung von insgesamt rund 120 Panzern durch die USA, Deutschland und andere europäische Länder, die ebenfalls über den Leopard 2 verfügen, den Kriegsverlauf während vermuteter Frühjahrsoffensiven wesentlich beeinflussen kann – der Großteil der Panzer wird zu diesem Zeitpunkt noch längst nicht angekommen und die ukrainischen Soldaten werden noch nicht ausreichend geschult sein. Die US-amerikanischen Abrams werden sogar überhaupt erst noch gebaut.
Aber: Mit der Zusage haben die Nato-Länder erstmals das ukrainische Kriegsziel akzeptiert und letztlich übernommen, die russischen Truppen aus dem ukrainischen Territorium in Gänze herauszuwerfen.
Deutschland folgt der Kriegsdynamik
Die Bundesregierung ist der von Russland vorgegebenen Kriegsdynamik gefolgt – und geht die Eskalation mit. Es erscheint insofern als logisch nicht nachvollziehbar, wenn Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die lieferfreudige FDP-Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, jetzt der Forderung der Ukraine nach Kampfjets eine klare Absage erteilt. Denn dass die gebraucht werden, um ukrainisches Territorium von den Besatzungstruppen zu befreien, ist einleuchtend. Bleibt der Westen bei seiner neuen Definition des Engagements, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch diese selbstgezogene rote Linie fällt.
Fast noch bedeutsamer aber ist die Panzer-Entscheidung für den Zustand des Nato-Bündnisses. In den letzten zwei Jahrzehnten, über mehrere US-Regierungen hinweg, bestimmte vor allem ein Diskurs die Debatte: Die Forderung der USA an die europäischen Nato-Länder, ihre Militärausgaben deutlich zu steigern, auf mindestens 2 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts. Erstmals formuliert 2002, im Jahr nach dem Beginn des Afghanistankriegs, wurde es dann 2014 – nach dem russischen Einmarsch und der Annexion der Krim beschlossen.
Wirklich erfüllen aber wollten das nur die wenigsten europäischen Nato-Länder, und als der Präsident Trump 2018/19 polternd und rüpelhaft die Europäer beschimpfte, es sei vollkommen unfair, dass sie einfach nichts täten, drückte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz noch aus, was damals die Mehrheit Deutschland und der meisten europäischen Länder fand: Man lasse sich doch nicht von Trump in eine sinnlose Aufrüstung drängen.
Dabei ging es den USA vor allem darum, ihre seit Beginn des Kalten Kriegs ausgesprochene Sicherheitsgarantie für (damals zunächst West-)Europa lockern und die militärischen Kapazitäten umschichten zu können – weg von der Orientierung auf Europa und den Nahen und Mittleren Osten Richtung Asien.
Denn gleichzeitig zum Zerfall der UdSSR, zur Auflösung des Warschauer Pakts und zum Nato-Beitritt immer weiterer Länder aus dem ehemals sowjetischen Einflussgebiet stieg China zur Großmacht auf, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch mit rasanten Steigerungen des eigenen Militärhaushalts und einem massiven Ausbau des Waffenarsenals – und des politischen Einflusses. Präsident Barack Obama formulierte den geplanten geopolitischen Schwenk der USA in einer eigenen „Ostasienstrategie“.
Dass mit dem russischen Angriff auf den ukrainischen Donbass und die Annexion der Krim 2014 plötzlich doch wieder eine militärische Bedrohung in Europa zurück war, ließ Obama umso lauter ein stärkeres Aufrüsten Europas fordern. Trump nahm den Faden auf seine Art auf: Mit seiner tendenziell isolationistischen „America First“-Haltung schimpfte er zwar auf die Europäer und drohte ihnen, zeigte aber gleichzeitig keinerlei Willen, Präsidenten Putin wegen der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion politisch ernsthaft zu konfrontieren.
Die unter Obama formulierte Umorientierung auf Asien und die Auseinandersetzung mit China als wichtigstem Gegenspieler findet sich auch in der vergangenes Jahr formulierten Nationalen Sicherheitsstrategie der Biden-Regierung. Deren Veröffentlichung war eigentlich für Herbst 2021 geplant und dann wegen des russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine verschoben worden. Darin heißt es sinngemäß: Zwar sei Russland mit seinem Versuch, das Völkerrecht auszuhebeln und militärisch innerhalb Europas Grenzen zu verschieben, die akut größte Bedrohung.
„China hingegen ist unser einziger Konkurrent, der sowohl die Absicht hat, die internationale Ordnung zu verändern, als auch mehr und mehr die wirtschaftliche, diplomatische, militärische und technologische Macht, diesem Ziel näher zu kommen.“ Der Besuch der damaligen Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan und die darauffolgenden militärischen Machtdemonstrationen Chinas waren gerade erst ein paar Wochen her.
Vor diesem Hintergrund sind zumindest US-Militärstrategen nicht unbedingt glücklich über die massiven Lieferungen von US-Kriegsgerät an die Ukraine. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht des Center for Strategic and International Studies, des vielleicht wichtigsten militär- und sicherheitspolitischen US-Thinktanks, beklagt, wie wenig Waffen bestimmter Arten den USA nur noch zur Verfügung stünden: So seien allein bis August 2022 so viele Javelin-Panzerabwehrsysteme in die Ukraine geliefert worden, wie in sieben Jahren produziert werden könnten.
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Bei den Stinger-Boden-Luft-Raketen entspreche die gelieferte Menge der Produktion für den internationalen Markt von 20 Jahren. Autor Seth Jones kommt zu dem Schluss: Im Fall eines militärischen Konflikts mit China um die Straße von Taiwan würde den USA für bestimmte Waffen binnen einer Woche die Munition ausgehen.
Auch deshalb hat die Biden-Regierung schon damit begonnen, die europäischen Nato-Staaten tief in die Verteidigung der Ukraine einzubinden, als die ersten Aufklärungsbilder erst den von Moskau als „Manöver“ deklarierten Truppenaufmarsch an der Grenze anzeigten. Zwar hatten die USA schon seit Langem Waffen in die Ukraine geliefert, dennoch versuchte Biden jetzt, den Europäern demonstrativ die politische Führung zu überlassen – eine Rolle, die diese weder gewohnt waren noch auszufüllen wussten.
Der Streit um die Kampfpanzer-Lieferungen in der vergangenen Woche spricht da Bände: Die USA wollten Deutschland vorne sehen und selbst diesen Eskalationsschritt nicht mitgehen – erst nach Scholz’ Sturheit willigten sie in die Lieferung eigener Abrams-Panzer ein und teilen so die Verantwortung auch für die Konsequenzen.
Bei aller in vielen Medien und von manchen europäischen Staatschefs geäußerten Kritik an Scholz’ Haltung: Letztlich dürften die meisten europäischen Nato-Länder dankbar dafür sein, dass er die USA auch an dieser Stelle einbezogen hat. Der Druck, mehr Geld für das Militär auszugeben, bleibt trotzdem – aber damit auch das gemeinsame Interesse, diesen Konflikt zu einem Ende zu bringen. Denn ein unendlicher Krieg, das hat ein gerade veröffentlichter Report der Rand Corporation noch einmal deutlich gemacht, liegt definitiv nicht im Interesse der USA.
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