Liberaleres Abtreibungsrecht: Keine Reform von Paragraf 218
Eine Teillegalisierung von Abtreibungen wird es nicht geben. Der Rechtsausschuss des Bundestages debattierte am Montag – ohne Ergebnis.
![Einige Frauen stehen nebeneinander und halten ein Band mit der Aufschrift „Weg mit dem §218 StGB“. Einige Frauen stehen nebeneinander und halten ein Band mit der Aufschrift „Weg mit dem §218 StGB“.](https://taz.de/picture/7523347/14/Aktivistinnen-des-Bundnisses-fur-sexuelle-Selbstbestimmung-1.jpeg)
Diskutiert wurde ein Gesetzentwurf von Abgeordneten der SPD, Grünen und Linken, der Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren und den Paragrafen 218 weitgehend abschaffen will. CDU und FDP lehnten den Entwurf ab. Insbesondere bei der FDP war im Vorfeld unklar gewesen, wie sie sich positionieren würde. Die Fraktion gilt in der Frage der Abtreibungsliberalisierung als gespalten. Ein von der FDP berufener Sachverständiger betonte demnach die Notwendigkeit der Reform, während eine andere Sachverständige den Entwurf als verfassungswidrig erachtete. Schon vor der Anhörung war allerdings bekannt geworden, dass die FDP-Abgeordneten eine Sondersitzung zur Abstimmung über den Gruppenantrag nicht unterstützen würden.
Die Initatorinnen Ulle Schauws (Grüne) und Carmen Wegge (SPD) zeigten sich enttäuscht. In einer gemeinsamen Erklärung kritisierten sie: „Dass Union und FDP nicht gewillt sind, übliche parlamentarische Vorgänge zu ermöglichen, ist der parlamentarischen Praxis unseres hohen Hauses nicht würdig und ein fatales Signal für unsere Demokratie.“ Der von 328 Abgeordneten unterzeichnete Gruppenantrag zeige eine ausgewogene, moderate und konsensfähige Lösung auf.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Abbrüche künftig in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft rechtmäßig sind. Krankenkassen sollen die Kosten übernehmen. Die Beratungspflicht bliebe bestehen, allerdings ohne die derzeit geltende Wartepflicht von drei Tagen zwischen Beratung und Abtreibung. Regelungen für Abbrüche nach drei Monaten sollen aus dem Strafgesetzbuch ins Schwangerschaftskonfliktgesetz verlagert werden. Paragraf 218 würde nur noch den Schutz vor nicht selbstbestimmten Abbrüchen regeln.
Kontroverse Anhörung
Die dreistündige Anhörung verlief kontrovers, selbst unter Fachleuten der gleichen Disziplin. Einige hielten den Entwurf mit Verweis auf den Schutz ungeborenen Lebens als verfassungswidrig, andere sahen ihn als grundgesetzkonform. Auch die Versorgungslage ungewollt Schwangerer in Deutschland war ein zentrales Thema.
Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf betonte, der Entwurf sei aus ihrer Sicht grundgesetzkonform. „Er trägt den Grundrechten der Schwangeren Rechnung, vor allem dem Persönlichkeitsrecht für einen Abbruch in der Frühphase.“ In dieser Zeit trete das Lebensrecht des Embryos hinter dem Recht der Schwangeren zurück, denn bis zur Lebensfähigkeit sei der Embryo existentiell vom Organismus der Schwangeren abhängig. Brosius-Gersdorf war Mitglied der von der Ampelregierung eingesetzten Kommission zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.
Arbeitsrechtler und Ethikratsmitglied Gregor Thüsing, Sachverständiger der Union, bezweifelte die Verfassungsmäßigkeit. Er verwies auf frühere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Brosius-Gersdorf hielt mehrmals dagegen: Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts stünden dem Gesetzgeber nicht im Wege.
Stigmatisierung könnte reduziert werden
Auch die Lebensrealitäten ungewollt Schwangerer spielten in der Anhörung eine Rolle. „Durch den Gesetzentwurf könnte Stigmatisierung für Schwangere und Ärzt:innen reduziert werden“, sagte Wissenschaftlerin Rona Torenz, die zu den Erfahrungen ungewollt Schwangerer forscht. Eine Entkriminalisierung würde Hürden abbauen. Gynäkologe Matthias David widersprach: Er und seine Kolleg:innen seien nicht von Stigmatisierung betroffen, auch eine verschlechterte Versorgungssituation in manchen Gebieten sei nicht erkennbar.
Auf die Frage nach dem Stand der Debatte sagte die Vorsitzende des Deutschen Fraunerates, Beate von Miquel: „Wir diskutieren seit über 150 Jahren über den Paragraf 218. Wichtige und wertvolle Debatten sind geführt worden, Argumente sind auf ausgetauscht, die Fakten liegen auf dem Tisch – ich denke wirklich wir können abstimmen.“ Hervorhob sie insbesondere die Rechte der Frauen in der DDR, die ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch hatten, bis dieses 1993 eingeschränkt wurde.
Neben den sachlichen Auseinandersetzungen fielen immer wieder Sachverständige der AfD auf. So sprach der Sachverständige Kristijan Aufiero von der Anti-Abtreibungsorganisation ProFemina beispielsweise von „linksextremistischen Organisationen“, die die Liberalisierung des Abtreibungsrechts befürworteten. Ein auf der Zuschauertribüne sitzender Medienvertreter mit Nähe zur Lebensschutzbewegung musste mehrfach zur Ordnung gerufen werden.
„Die AfD hat mit ihren populistischen Instrumentalisierungen gezeigt, dass es ihr nicht um eine sachlich-rechtliche Debatte geht, sondern darum, ihre rückwärtsgewandte Ideologie gegen alle Frauen in diesem Land durchzusetzen“, sagte Clara Bünger (Linke) nach der Anhörung. Auch Ulle Schauws kritisierte gegenüber der taz, die Äußerungen der von der Gegenseite berufenen Sachverständigen seien teilweise schwer auszuhalten gewesen. Anstatt evidenzbasiert zu argumentieren, sei ausschließlich von Einzelbeispielen gesprochen worden.
Schauws sieht den Entwurf dennoch nicht als gescheitert: „Dass wir bis an diese Stelle gekommen sind, ist eine bemerkenswerte Leistung.“ Sie verwies auf den breiten Rückhalt in der Zivilgesellschaft. Umfragen zufolge befürworten rund 80 Prozent der Menschen in Deutschland eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Bereits vor der Anhörung hatten zivilgesellschaftliche Organisationen am Montagnachmittag einen Eil-Appell mit über 300.000 Unterschriften an Frauenministerin Lisa Paus übergeben.
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