Letzte Generation orientiert sich um: „Die Straßenblockaden hatten eine strategische Funktion“
Aktivist Raphael Thelen spricht im Interview über den neuen Namen und die neue Strategie der Gruppe. Er verteidigt aber auch die früheren Aktionen.
taz: Herr Thelen, die Letzte Generation benennt sich um und heißt jetzt Neue Generation, außerdem wollen Sie Ihre Aktionen ändern. Warum?
Raphael Thelen: Wir haben – wie viele andere Akteure der Klimabewegung – bewiesen, dass die Politik unsere Lebensgrundlagen nicht schützt. Wenn die Regierung zwischen Profit und Klimaschutz wählen muss, entscheidet sie sich immer für den Profit. Das liegt nicht daran, dass in der Politik nur schlechte Menschen sitzen. Sondern an einem System, in dem Geld Macht bedeutet und sich in den Händen weniger konzentriert. Das führt zu einem systematischen Problem: Unsere Stimmen werden nicht gehört – die von Unternehmen und reichen Menschen dagegen überproportional oft.
ist Autor und Aktivist der Gruppe Neue Generation, vormals Letzte Generation. Bis Anfang 2023 arbeitete der 39-Jährige als Journalist für verschiedene Medien wie die Süddeutsche Zeitung und den Spiegel, widmete sich dann aber dem Aktivismus. Ebenfalls 2023 erschien sein Roman „Wut“, in dem er aus dem Inneren der Klimabewegung erzählt.
Wohin das führt, sehen wir in den USA: Jemand wie Elon Musk kann mit einem Vermögen von 400 Milliarden Dollar einen Präsidentschaftskandidaten finanzieren, der dann an die Macht kommt – und dafür gibt es Steuererleichterungen für Reiche und der Planet wird immer weiter ausgebeutet. Dagegen wehren wir uns, das ist unser Kern. Und wir sagen: Wir brauchen eine neue Generation der Demokratie. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen in der Politik wieder gehört werden.
taz: Wie wollen Sie das anstellen?
Thelen: Wir starten mit Protestaktionen in ganz Deutschland, dezentral über die nächsten Monate. Wir gehen auf die Straße, um auf die unheilige Allianz zwischen Rechten und Reichen aufmerksam zu machen. Ende Mai stellen wir zum ersten Mal unser eigenes „Parlament der Menschen“ auf die Bundestagswiese. Man kann sich das wie ein großes Kuppelzelt vorstellen. Dort bringen wir Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft zusammen, um zu beraten, wie der Einfluss von Geld und Lobbyismus zurückgedrängt werden kann.
taz: Es gab in Deutschland 2021 schon mal einen „Bürgerrat Klima“ unter der Schirmherrschaft des gerade verstorbenen ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, organisiert vom Verein Bürgerbegehren Klimaschutz und der Gruppe Scientists for Future. Und auch zum Programm der Letzten Generation gehörte schon lange die Idee eines Gesellschaftsrats. Was ist jetzt neu?
Thelen: Das Problem der Bürger- oder Gesellschaftsräte in der Vergangenheit war nicht, dass sie nicht funktionierten. Im Gegenteil, der Klimarat in Frankreich, in Irland und auch die ganzen Bürgerräte in Deutschland zeigen: Wenn die Menschen sich demokratisch zusammensetzen, kommen sie mit Lösungen um die Ecke, die für die Probleme unserer Zeit angemessen sind. Die Ergebnisse gehen meistens über alles hinaus, was die Regierungen je vorgeschlagen haben. Das Problem ist, dass sie bisher immer ignoriert wurden.
taz: Warum sollte sich das mit Ihrer Idee und unter einem Kanzler Friedrich Merz ändern?
Thelen: Bisherige Bürgerräte hatten eine Bekanntheit von 6 Prozent in der Bevölkerung. Die Letzte Generation hat eine Markenbekanntheit von 80 Prozent. Wenn wir eines richtig gut können, dann ist es, Aufmerksamkeit zu erzeugen
taz: Warum geben Sie dann Ihren Markennamen auf?
Thelen: Wir sind die Neue Generation, weil wir Bock haben auf einen Aufbruch. Das Problem der Linken ist gerade stark, dass wir keine Zukunftserzählung haben. Das Einzige, was die Linke zusammenhält, ist gegen rechts zu sein. Wir setzen dem eine Vision entgegen. Wir wollen die Menschen langfristig einbinden: Ein Parlament der Menschen kann es in jeder Stadt geben. Du kannst dich vor jedes Rathaus setzen und vor Ort miteinander austauschen.
taz: Die Abgeordneten des Bundestags wurden demokratisch gewählt. Wie soll ein Bürgerrat aus Ihrer Gruppe legitimiert sein?
Thelen: Wir losen doppelt aus. Zuerst eine Stichprobe von 600 bis 1.000 Menschen aus unserem Unterstützerkreis, danach wird noch einmal nach Alter, Geschlecht, Bildungsgrad und so weiter gelost, um eine möglichst repräsentative Gruppe zu bilden.
Wir wissen, dass es am Anfang nicht perfekt sein wird. Aber mit der Zeit kommen immer mehr Menschen dazu, aus denen gelost wird und das Parlament der Menschen kommt Schritt für Schritt einem repräsentativen Mini-Deutschland näher. Am Ende werden wir trotzdem schneller repräsentativ sein als der Bundestag – das ist ja auch nicht schwer, so weiß, akademisch und männlich geprägt, wie der ist.
taz: Ihre Gruppe ist durch Tausende Gerichtsprozesse geschwächt. Sie selbst wurden für eine Blockadeaktion wegen Nötigung verurteilt. Was hat es gebracht, sich auf die Straßen zu kleben?
Thelen: Die Straßenblockaden hatten eine strategische Funktion – und die haben sie erfüllt. Wir haben gezeigt, dass die Regierung selbst dann keinen Klimaschutz umsetzt, wenn es eine klare Bevölkerungsmehrheit für einfachste Maßnahmen wie ein Tempolimit, ein Lebensmittelrettungsgesetz oder ein 9-Euro-Ticket gibt. Wir haben die Klimakrise auf jeden Abendbrottisch gebracht. Niemand kann mehr sagen, er habe es nicht gewusst, das war der Erfolg der Straßenblockaden.
taz: Haben Sie nicht eher die Gräben in der Gesellschaft vertieft?
Thelen: Nein. Ein Beispiel: Ein Spiegel-Redakteur, der uns kritisiert, hat ein ganzes Buch über Klimaschutz geschrieben. Mit Tech-Optimismus, den ich nicht teile. Aber ohne uns hätte er das Thema vielleicht nie so tief durchdacht. Natürlich hat die Springer-Presse uns diffamiert – genau wie sie Habecks Heizungsgesetz torpediert hat. Dann kommen noch die Lobbys wie die INSM oder der Rat der Familienunternehmer dazu und zerschießen uns. Aber das zeigt nur, welche mächtige wirtschaftliche Interessen gegen uns arbeiten.
Wir haben bewiesen, dass selbst eine fortschrittliche Regierung mit den Grünen keinen ausreichenden Klimaschutz macht. Offensichtlich geht es dann um Systemfragen. Jetzt gehen wir den nächsten Schritt, hören, auf Forderungen zu stellen, und machen es einfach selbst.
taz: Warum sollte Ihr neues Modell mit Bürgerräten und Widerstand – denn ein Teil Ihrer Mitstreiter:innen von der Letzten Generation will jetzt ein sogenanntes Widerstandskollektiv für direkte Aktionen bilden – erfolgreich sein?
Thelen: Weil es bereits in der Geschichte funktioniert hat. Revolutionen wie die in Ägypten oder Serbien sind langfristig gescheitert, weil sie zwar Druck aufbauten, aber keine alternative Struktur hatten. Nach dem Sturz eines Regimes übernahm dann einfach eine andere Machtgruppe. Ich habe das selbst als Reporter vor Ort miterlebt. Wir sagen: Es braucht beides – Protest und eine demokratische Alternative. Wir wollen die Demokratie demokratischer machen.
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