Landwirtschaft und Klima: Klimaretterin Kuh
Das Rind rülpst das Treibhaus voll und verdirbt dem Veganer den Appetit. Doch seine Freunde sind überzeugt: Die Tiere können dem Klima helfen.
C hristine Bajohr zeigt auf den Hang hinter ihrem Bauernhaus: „Wenn das mit dem Klimawandel so klappt, wie wir uns das vorstellen, dann können wir da oben bald Wein anbauen“, sagt sie. Eine wie Bajohr darf sich so eine Prise Sarkasmus zwischenrein schon mal erlauben, denn die Gefahr, dass er bei ihr in Fatalismus umschlägt, ist nicht sehr hoch. Im Gegenteil: Sie stemmt sich ja mit aller Kraft gegen das, was da auf sie zukommt – und wenn’s der ganze Berg ist.
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Natürlich will Christine Bajohr trotz der schönen Hanglage ihres Hofs, des Kugelsüdhanghofs, hier im Oberallgäu keinen Wein anbauen, sondern weiterhin Milchwirtschaft betreiben. Doch es wird nicht gerade leichter. Der Klimawandel ist hier längst angekommen. Mit einigen Mitstreitern will die Bäuerin jetzt auf ihrem und ein paar anderen Höfen zeigen, was man vielleicht noch alles anders machen kann in der Landwirtschaft, wie man die Sache vielleicht noch drehen kann.
Was Bajohrs Unterfangen ungewöhnlich macht, ist die prominente Rolle, die der Kuh darin zukommt. „KUHproKlima“ heißt das Projekt und dürfte schon allein aufgrund des Titels bei vielen ein reflexhaftes Kopfschütteln auslösen. Ist doch allgemein bekannt, dass die Kuh ein Klimakiller ist. Denn als Wiederkäuerin produziert sie das besonders fiese Treibhausgas Methan. Bei rund 1,5 Milliarden Rindern, die es weltweit geben soll, läppert sich da schon etwas zusammen, möchte man meinen. Öffentliche Sympathiebekundungen für die Rinderhaltung verlangen daher etwas Mut.
Bajohr hat zu Kaffee und Keksen geladen, draußen am Gartentisch vor dem 120 Jahre alten Bauernhaus. Sie hat sich im Schneidersitz auf das Sofa gesetzt, die Brille ins brünette Haar gesteckt. Eigentlich kommt sie aus der Stuttgarter Gegend, aus Vaihingen an der Enz. Mitte fünfzig ist sie jetzt, war viel unterwegs, in jungen Jahren auch mal eine Zeitlang in Neuseeland; aber erst im Allgäu, wohin es sie mit ihrem ersten Mann verschlagen hat, ist sie sesshaft geworden. Und hier ist sie auf die Kuh gekommen.
Neun Kilo Rindfleisch isst der Durchschnittsdeutsche
Den Kugelsüdhanghof führt sie gemeinsam mit ihrem jetzigen Mann, dem Hoferben Martin Wiedemann-Bajohr. Es ist ein kleiner Betrieb, idyllisch gelegen, 22,5 Hektar, gerade mal neun Milchkühe, Demeter. Ihr Mann, gelernter Karosseriebauer, arbeitet halbtags auch noch in einer Firma, die Schneefräsen herstellt. Sibratshofen heißt das Dorf, zu dem der Hof gehört, die Grenze zu Baden-Württemberg ist nicht weit.
Es ist später Vormittag, der Milchlaster hat gerade die Milch für die Schönegger Käsealm abgeholt, kritisch beäugt von Anton, dem Hofhund. Anton ist eine Promenadenmischung aus einem polnischen Tierheim, deren Beine etwas zu kurz geraten sind. Aber im tiefsten Inneren, versichert Bajohr, sei Anton ein Dobermann. Im Kaffee ist, was sonst, Rohmilch. Vom Gartentisch aus kann man auf eine der Weiden des Hofes hinunterschauen. Dort stehen acht Schumpen, wie man die Jungrinder im Allgäu nennt.
Gut elf Millionen Rinder gibt es in Deutschland, darunter knapp vier Millionen Milchkühe. Die schwarzbunte Holsteinkuh, das Simmentaler Fleckvieh, Braun- und Grauvieh et cetera. Sie stehen in Ställen, Laufställen und auf der Weide. Nett anzuschauen sind sie ja, die 600 Kilo Tier: die Augen groß, die Wimpern lang, das Wesen in der Regel freundlich und neugierig. Sollte man sie halten? Sollte man sie essen? Die Meinungen gehen auseinander. Der Rindfleischkonsum in Deutschland nimmt ab. Und doch isst der Durchschnittsdeutsche noch immer mehr als neun Kilo im Jahr. Dazu kommen über 80 Kilo Milchprodukte.
Es gibt Kritiker, die Nutztierhaltung grundsätzlich und ohne Ausnahme ablehnen. So argumentiert beispielsweise die Tierrechtsorganisation Peta auf ihrer Website, es sei nicht „normal“ für Menschen, Fleisch zu essen, und man solle sich ins Gedächtnis rufen, dass es in früheren Zeiten auch als „normal“ gegolten habe, andere Menschen als Sklaven zu halten. Unter dieser Prämisse wäre natürlich die Frage, ob eine Landwirtschaft, die auf maßvolle und durchdachte Nutztierhaltung setzt, einer rein vegan ausgerichteten Landwirtschaft in Sachen Klimaschutz und Welternährung überlegen sein könnte, moralisch nicht zu rechtfertigen.
Die landwirtschaftlichen Flächen werden knapp
Für Menschen mit einer weniger radikalen Haltung könnte die Frage aber durchaus interessant sein. Denn die meisten Argumente gegen den Konsum von Milch und Rindfleisch wenden sich bei näherer Betrachtung nicht gegen die Kuh als solches, sondern gegen die gravierenden Missstände, wie sie heute weltweit in der real existierenden Nutztierhaltung tatsächlich gang und gäbe sind. Es tut also Not, ein wenig zu differenzieren.
Wilhelm Windisch sollte dazu in der Lage sein – obwohl auch er einer dieser Kuhfreunde ist. Einer, der beispielsweise behauptet, das Rind sei evolutionär gesehen die erfolgreichste Spezies überhaupt. Wie sich dieses Tier in Sachen Eiweißversorgung unabhängig gemacht habe, einfach grandios!
Man trifft Windisch in einem schmucklosen Bau auf dem Weihenstephaner Campus der Technischen Universität München an. Es sind seine letzten Tage hier, mit dem Ende des Semesters geht der Professor in den Ruhestand. Sein repräsentatives und geräumiges Büro hat der Inhaber des Lehrstuhls Tierernährung schon verlassen müssen, jetzt sitzt er hier in einem schmalen Zimmer, das kaum Platz für einen Schreibtisch bietet. „Mein Austragsstüberl“, sagt er. Das Whiteboard an der Wand über dem Schreibtisch ist unbeschrieben. Windisch lehnt sich in seinem Drehsessel zurück, faltet die Hände über dem Bauch und legt los.
Seine Erläuterungen beginnen mit einem Fußballfeld. Windisch rechnet gern in Fußballfeldern. Eine landwirtschaftliche Fläche eben dieser Größe, erklärt er, benötige man heute, um drei Menschen zu ernähren. Aber 2050 müsse man auf demselben Feld schon mehr als fünf Menschen satt bekommen. Dabei seien nur die Strafräume Ackerfläche, also für den Anbau veganer Lebensmittel geeignet. Man muss kein Fußballexperte sein, um zu erkennen: Das wird eng.
Schuld daran sind in Deutschland etwa der Flächenfraß, der beispielsweise in Bayern täglich mehr als zehn Hektar beste Böden in Betonwüste verwandelt, aber weltweit fielen die Böden vor allem auch Erosion und Verwüstung anheim – Folgen des Klimawandels. Dazu kommt natürlich das Wachstum der Weltbevölkerung.
Weizen als Tierfutter, das geht gar nicht
Schön und gut, aber was hat das nun mit der Kuh zu tun? Hat da nicht der Professor mit seinem Strafraum-Beispiel den Gegnern jeglicher Nutztierhaltung gerade das beste Argument an die Hand gegeben? Schließlich weiß doch jeder: Um ein Kilo tierisches Eiweiß herzustellen, braucht man ein Vielfaches an pflanzlichem Eiweiß. Je nach Quelle unterscheiden sich zwar die Angaben, aber selbst die niedrigsten Berechnungen gehen noch vom Fünffachen aus. Sprich: Jeder Fleck des Fußballfeldes, den wir Tieren abtreten, ist doch reinste Verschwendung.
Einspruch, ruft da Windisch, so einfach sei es nun auch wieder nicht. Was man da oft an Argumenten aufgetischt bekomme, sei ein „Konglomerat von Narrativen, von Verkürzungen“. Eine dieser Verkürzungen beispielsweise ist die Annahme, man müsse Tiere mit denselben Lebensmitteln ernähren wie Menschen. Eine Annahme, die darauf fußt, dass es ja zu einem Großteil tatsächlich so praktiziert wird. In Deutschland, erzählt Windisch, werde etwa die Hälfte der Ackerfläche für den Anbau von Tierfutter verwendet, zum Großteil Silomais. Die Hälfte!
Zwei andere Zahlen: Ein Drittel der globalen Getreideernte und über drei Viertel der Sojaernte landet im Futtertrog. „Wir haben tatsächlich eine intensive Tierproduktion, die enorme Mengen an Lebensmitteln verbraucht“, so Windisch. An das heutige Hochleistungsgeflügel zum Beispiel würden fast ausschließlich hochwertige Ackerprodukte verfüttert. Bei der Kuh sei der Anteil deutlich niedriger, aber auch rund 30 Prozent des Rinderfutters in Mitteleuropa bestünden aus Getreide und anderen Ackerpflanzen. Ein Unding, das findet auch Windisch. „Da bin ich völlig d’accord mit dem veganen Konzept: Was wir selbst essen können, sollten wir nicht an Tiere verfüttern.“ Das Stichwort lautet: Nahrungskonkurrenz.
Nur: Was, wenn das Tier dem Menschen gar nichts wegfrisst? So wie die Kühe der Bajohrs. Sie ernähren sich ausschließlich von Gras und Heu, Pflanzen, die der härteste Veganermagen nicht verwerten könnte. Und damit kommt Windisch zurück auf die Kuh als Geniestreich der Evolution. Kuh und Grasland hätten sich gleichzeitig entwickelt – vor über 30 Millionen Jahren. Ohne Gras kein Rind, ohne Rind aber auch kein Gras.
Umwandlung von Grünland? „Geht gar nicht!“
Und schon sind wir tief drin im Pansen, dessen Funktionsweise zu erklären sich Wilhelm Windisch nicht zweimal bitten lässt: „So eine Kuh, die frisst ja gar kein Gras“, erklärt der Wissenschaftler mit seinem leicht fränkischen Einschlag dann auch gleich, „sondern die füttert ihren Pansen mit Gras.“ In dem prominentesten der vier Mägen der Kuh seien Bakterien, die das ansonsten nicht verdaubare Gras zu Eiweiß verarbeiteten. Erst dieses Produkt sei dann die eigentliche Nahrung der Kühe, die sie beim Wiederkäuen fräßen und ihrerseits wieder in Milch und Fleisch überführten. Das Ergebnis: Der Mensch erhält zusätzliche Lebensmittel, ohne dafür auf eine einzige Kartoffel, eine Weizenähre oder ein Salatblatt verzichten zu müssen.
Aber könnten wir nicht einfach die Wiesen und Weiden zu Äckern machen und für den Anbau von veganen Lebensmitteln nutzen, anstatt Kühe darauf zu stellen? Nein, sagt Windisch. Zum einen werde bei der Umwandlung von Grünland in Acker unglaublich viel CO2 freigesetzt. „Das ist wie das Abholzen von Wald oder das Trockenlegen von Mooren. Geht gar nicht.“ Zum anderen seien alle Flächen, die sich als Acker eigneten, längst Ackerland.
Wilhelm Windisch, TU München
Und selbst dort fällt noch Futter für Nutztiere an. „Auf einem Getreidefeld wachsen ja keine Körner“, sagt Windisch. „Da wachsen ganze Pflanzen.“ Pro Kilogramm pflanzliches Lebensmittel fielen vier Kilogramm für den Menschen nicht essbare Biomasse an. Verfüttert man auch diese, erhält man nach Windischs Berechnungen ein weiteres Kilo tierische Lebensmittel. „Sie verdoppeln über die Nutztiere praktisch die vegane Basisproduktion – ganz ohne Nahrungskonkurrenz.“
Auf diese Weise, so Windisch, könne man die Bevölkerung mit Hilfe von Wiederkäuern auch weiterhin gut ernähren. Dass das unter dem Strich jedoch bedeuten würde, dass wir dann deutlich weniger tierische Produkte auf dem Teller hätten, steht für Windisch außer Frage. Er klappt sein Laptop auf, öffnet eine Powerpoint-Präsentation. Auf einer Folie ist ein von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften für die Schweiz berechnetes Szenario dargestellt: Würde man dort Nutztiere nur noch mit nicht essbarer Biomasse füttern, müsste man den Konsum von Schweinefleisch um 70 Prozent, den von Geflügel sogar um 99 Prozent und den von Eiern um 95 Prozent reduzieren. Bei Milch wären es nur 30, bei Rindfleisch 40 Prozent.
Bleibt dennoch das Problem der Klimakillerkuh. Klar, ohne Methanbildung geht es nicht, sagt Windisch. „Es ist der Preis, den ich bezahlen muss, damit ich sehr große Mengen an nicht essbarem Material in etwas Essbares überführen kann.“ Die unmittelbare Treibhauswirkung des Gases sei rund 85-mal so stark wie die von CO2. Ein klimatischer Hufabdruck, der es in sich hat. Aber immerhin: Während CO2 Jahrtausende in der Atmosphäre verweile, habe Methan eine relativ kurze Halbwertszeit und sei schon nach wenigen Jahrzehnten kaum noch nachzuweisen. Dadurch akkumuliere sich das Methan in der Atmosphäre nicht.
Es gebe aber einen ständigen Sockel, der sich immer wieder erneuere. Daher sei es wichtig, die Methanbürde so gering wie möglich zu halten, den Sockel ein wenig abzutragen. Eine Stellschraube hierfür sei beispielsweise das Tierwohl. Wenn die Milchkühe gesund seien und vor allem länger lebten, reduziere sich auch die Methanlast pro Liter Milch. In Deutschland sinke der Methanausstoß der Rinder infolge der niedrigeren Bestandszahlen ohnehin seit mehreren Jahrzehnten. Inzwischen produzierten die Rinder hierzulande weniger Methan als vor der Industrialisierung.
Christine Bajohr führt runter auf die Weiden. Anton läuft schon mal voraus. Die Schumpen haben sich hingelegt. Nach der morgendlichen Graserei walten sie nun ihres Amtes und käuen wieder. Mit der Lässigkeit eines Kaugummi kauenden Teenagers verwandeln sie Unverdauliches in beste Proteine.
„Also ich denke, ohne Tiere auf der Weide geht es nicht“, sagt Bajohr. „Das ist unser großer Fehler, dass wir sie aus der Gleichung rausgenommen haben, denn das Ökosystem Grünland funktioniert nur mit biologischer Vielfalt – mit Kühen, Insekten und anderen Tieren.“ Am besten auch mit Hecken und Bäumen – eines der nächsten großen Projekte der Bajohrs.
Ein ausgefeiltes Weidemanagement für das Klima
Die Bäuerin zeigt noch schnell die benachbarte Weidefläche, auf der die Tiere vier Tage zuvor waren. Das Gras steht noch zehn bis zwanzig Zentimeter hoch – und das ist Absicht. „Wenn sie nur einmal abgebissen haben, ist es ideal“, erklärt Bajohr. Die Pflanze werde dadurch in ihrer Photosyntheseleistung gefördert und müsse nicht an ihre Reserven gehen. Zudem bleibe mehr Biomasse zurück, höhere Halme und Stängel, die ein hervorragendes Habitat für Insekten böten. „Der Boden trocknet auch nicht so schnell aus, es ist ein ideales Mikroklima.“ Das ist der Grund, warum die Rinder auf dem Kugelsüdhanghof immer nur auf einer vergleichsweise kleinen Fläche weiden dürfen, dafür aber recht häufig den Platz wechseln. Es ist ein Mehraufwand, aber es deutet alles darauf hin, dass er sich lohnt.
Bajohr lässt das Gras jetzt drei, vier Wochen nachwachsen, dann wird hier gemäht und Heu gemacht. Nach 45 Tagen dürfen dann wieder die Rinder auf die Weide. Mit einem ausgefeilten Weidemanagement lässt sich viel für Kuh und Klima erreichen. Deshalb ist es auch ein zentrales Anliegen des Projekts „KUHproKLIMA“, das Bajohr vor drei Jahren initiiert hat und jetzt leitet. Wird Grünland vernünftig beweidet, so der Gedanke, ist der Humusaufbau größer, als wenn nur gemäht wird. Insgesamt sieben landwirtschaftliche Betriebe im Allgäu wollen in dem Projekt „verschiedene Herangehensweisen hin zu einer standortgerechten, klimafreundlichen, resilienten Grünlandbewirtschaftung erproben“, so die Projektbeschreibung.
Wie können Emissionen und Betriebskosten zugleich gesenkt werden? Welche Rahmenbedingungen sind nötig, damit die Kuh ihre Qualitäten voll ausspielen kann? Um diese Fragen geht es. Am Ende soll ein Best-Practice-Leitfaden stehen, der interessierten Kolleginnen und Kollegen, die sich „auf eine klimafreundlichere, existenzsichernde Grünlandbewirtschaftung“ einlassen wollen, eine Fülle von Fallbeispielen und Tipps liefern soll.
Das Ganze wird wissenschaftlich flankiert; Kartierungen und Bodenproben sollen etwa belegen, welche Maßnahmen das Biotop Weide durch eine größere Artenvielfalt bereichern oder auch den Aufbau von Humus und damit die Einlagerung von Kohlenstoff befördern. Das Projekt wird von der EU gefördert, für die übrige Finanzierung sucht Bajohr Unterstützer via Crowdfunding.
Weniger Fleisch vom Schwein und Huhn
Ein abendlicher Abstecher in den Chiemgau: Der Saal des Gasthofs Alpenblick in Weibhausen ist voll. An die hundert Leute sind gekommen. Hinter Ulrich Mück stieren zwei große Rindsköpfe in den Saal. Es ist das Startbild seiner Präsentation. Mück, Agraringenieur, Berater für Ökolandbau und Vortragsreisender in Sachen Kuh, trägt ein Sakko mit Ärmelschonern. Brille, grauer Bart, sehr schlank. Mehr so Typ Hochleistungsmilchkuh ohne Fleischansatz, scherzt er selbst. Gerade hat er noch einen Tafelspitz mit Kartoffelsalat verspeist. Ein Vertreter des Bauernverbands kündigt den Referenten an, „der wo sich mit dem beschäftigt, was der Grund alles Bösen ist“. Gemeint ist die Kuh, und gemeint ist es natürlich ironisch.
Was folgt, ist ein zweistündiger Parforceritt durch Evolution, Kulturgeschichte und Verdauungstrakt der Wiederkäuer im Allgemeinen und des Rindes im Speziellen. Seit 34 Jahren ist Mück jetzt im Auftrag der Kuh unterwegs. Wie Christine Bajohr und Wilhelm Windisch plädiert er für einen radikalen Umbau der Landwirtschaft – unter tatkräftiger Beteiligung der Kuh. Die Fleischreduzierung sollte bei Geflügel und Schwein ansetzen, fordert er, die zusammen 82,5 Prozent des Schlachtgewichts in Deutschland ausmachten.
Besteck klappert, Bedienungen wuseln durch den Saal: Wer kriegt den Schweinsbraten, wer das Pfeffersteak? Und wer die Rindersuppe? Es ist ein typisches bayerisches Wirtshaus, Blümchen auf Tischdecken und Vorhängen – und auf der Speisekarte, wie es sich gehört, reichlich Fleisch.
Mück erzählt seinem Publikum, wie die Kuh den Humusaufbau befördert. Jedes Mal, wenn eine Pflanze verbissen wird, stirbt ein Teil des Wurzelsystems ab, hinterlässt organische Substanz und Kohlenstoff im Boden, und die Pflanze treibt neu aus. Mück erzählt auch von der Artenvielfalt auf einer Weide. Welches Labsal etwa ein Kuhfladen für Insekten sei und welche Bedeutung er somit für ganze Nahrungsketten habe. So habe man in der Oberpfalz durch spezielle Beweidungsprojekte die letzten deutschen Exemplare der Großen Hufeisennase, einer Fledermausart, vor dem Aussterben bewahrt. Gülledüngung könne das Meisterwerk eines Kuhfladen nicht ersetzen.
„Wer Milch trinkt, muss auch Rindfleisch essen“
Und Mück hat noch eine weitere Botschaft für seine Zuhörer: Wer Milch trinkt, muss auch Rindfleisch essen. Er hat es ausgerechnet: Damit die Kälber der Milchkühe im Ökolandbau artgerecht aufgezogen und als Ökomastrind gehalten werden können, müssen für jeden Liter Milch 25 bis 30 Gramm Rindfleisch gegessen werden. Denn andernfalls müsse man sich nicht wundern, wenn die Kälber aus der Biomilchproduktion unter fragwürdigen Bedingungen bis nach Tunesien oder Usbekistan gekarrt würden. Nicht gerade das, was sich der Biokunde wünscht. „Die Kälbertransporte, für die wir immer kritisiert werden, an denen ist der Verbraucher schuld“, ruft prompt ein Bauer in den Saal. „Früher haben wir die Kälber halt an den Bullenmäster gegeben. Aber die machen jetzt Biogas, weil sie das Fleisch nicht mehr loskriegen. Und seiba kömmas ned essen.“
Zum Schluss schaut Christine Bajohr noch schnell bei den Milchkühen und ihren Kälbern nach dem Rechten. „So möchte ich sie sehen: eine zufriedene, entspannte Herde“, sagt die Bäuerin und stellt die Tiere vor. Da wäre gleich am Gatter Liane, mit ihren 14 Jahren die älteste der neun Milchkühe. Ihre Urgroßmutter wurde schon auf dem Hof geboren. Sie ist nicht die Hellste, etwas orientierungslos, aber ein lieber Charakter. Dann Gladini, die Leitkuh, ihre Freundin Annika, Frau Holle, Hummel, Birketta, die nichts anbrennen lässt, und, und, und … 2014 haben die Bajohrs auf muttergebundene Kälberaufzucht umgestellt, das heißt, die Kälber bleiben die ersten Monate an der Seite ihrer Mütter.
Und irgendwann, da hat Christine Bajohr dann beschlossen: Lebend gibt sie kein Tier mehr her. Deshalb werden jetzt auch die Jungrinder hier aufgezogen, bis sie im Alter von zwei bis zweieinhalb Jahren für die Direktvermarktung geschlachtet werden. Bajohr ist es nicht nur wichtig, wie die Tiere leben, sondern auch, wie sie sterben. Die Bauern der Umgebung haben sich schon vor Jahrzehnten gemeinsam ein kleines Schlachthaus gebaut, in dem Metzger aus der Gegend bei Bedarf für sie schlachten. Gerade mal 900 Meter ist es vom Hof entfernt. „Die Tiere denken, sie fahren auf die Weide, weil wir ja das mit denen als Jungvieh geübt haben.“ Natürlich gibt es Schöneres im Alltag einer Bäuerin. Aber: „Das gehört dazu“, sagt Bajohr. Wer Rinder haben will, muss sie töten.
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