Landrat aus Sachsen über Brandmauer zur AfD: „Wir alle entscheiden, wie es ausgeht“
Dirk Neubauer ist seit 2022 Landrat in Mittelsachsen, vorher war er Bürgermeister in einer Kleinstadt. Er schafft es, die AfD klein zu halten. Was ist sein Erfolgsrezept?
wochentaz: Herr Neubauer, Sie sind seit einem Jahr Landrat in Mittelsachsen und haben es davor neun Jahre lang als Bürgermeister im sächsischen Augustusburg hinbekommen, dass die AfD kaum eine Rolle spielt. Wie haben Sie das gemacht?
Dirk Neubauer: Ich gehe klar und offensiv in Gegenrede in öffentlichen Auseinandersetzungen. Menschen richten sich an Debatten aus. Man muss sich in der Sache klar distanzieren und gute Argumente bringen. Im offenen Streit zeigt sich, wo Lösungen sind und wo Spaltung das Geschäftsmodell ist.
Jahrgang 1971, parteilos, ist seit einem Jahr Landrat von Mittelsachsen. Davor war der gelernte Journalist neun Jahre Bürgermeister der Stadt Augustusburg. 2021 erschien sein Buch „Rettet die Demokratie! Eine überfällige Streitschrift“ (Rowohlt).
Jemand sagte mal: Mit Rassisten diskutieren ist wie mit einer Taube Schach spielen. Egal, wie schlau man zieht – am Ende kackt die Taube aufs Brett und stolziert herum, als hätte sie gewonnen.
Ich rede ja nicht verständnisvoll mit der AfD, sondern suche die öffentliche Debatte. Natürlich ist eine Brandmauer wichtig, aber sie funktioniert nicht da, wo die AfD schon zweitstärkste Kraft im Kreistag ist oder den Landrat stellt. Wir haben schon viel Land verloren, Ausgrenzung untermauert die Underdog-Position. Wir müssen inhaltlich dagegenhalten: Wenn jemand von der AfD im Kreistag am Mikro vom Leder zieht, bin ich der Nächste, der da steht und dagegenhält. Wir haben die besseren Argumente und tun uns keinen Gefallen, wenn wir dieses gesellschaftliche Problem nicht angehen. Ich glaube auch nicht, dass die AfD unser Problem ist.
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Sondern?
Die sind austauschbar, morgen könnten das die DVU, die NPD oder die Freien Sachsen sein. Die AfD ist der Schaum auf der Welle. Die Welle ist die Frage: Wie entsteht sie und warum? Und vor allem: Wie bricht man sie? Die AfD ist ein Symptom für den Zustand unserer Gesellschaft. In unserem Kreistag kam von der AfD noch keine einzige konstruktive Idee. Das sage ich den Wählern: Leute, guckt, wo ihr euer Kreuz macht. Die sollen eure Interessen vertreten und Probleme lösen. Stattdessen stellen die jede Woche sinnlose Nachfragen zur Zusammensetzung von Asylsuchenden. Dabei brauchen wir dringend Zuwanderung.
Wie erklären Sie das denen, die das anders sehen?
Ich sage: fragt in den Unternehmen, fragt in der Handwerkerschaft, überall fehlen Leute. Es wandern immer noch Menschen im erwerbsfähigen Alter ab. Wir müssen daran arbeiten, dass Menschen, die zu uns kommen und sich integrieren wollen, auch wirklich Hilfe dabei bekommen. Deswegen haben wir zusammen mit Betrieben ein neues Integrationskonzept aufgelegt, das übrigens nicht auf Menschen mit Migrationshintergrund begrenzt ist, sondern sich an alle richtet – auch an Schulabbrecher etwa.
Wie häufig wiederholen Sie diese Sätze?
Ich gehe bei jeder Einladung zu Bürgerinitiativen und versuche da zu sein, auch wenn es nicht vergnügungssteuerpflichtig ist. Beim Anti-Windkraft-Stammtisch werde ich als jemand, der für Erneuerbare spricht, danach sicher nicht zum Auto getragen, aber am Ende gebe ich eben doch dem ein oder anderen einen Denkanstoß. Dafür mache ich das.
Und wie oft machen Sie das?
Ich den letzten Wochen hatte ich fast jeden Abend eine Veranstaltung. Ich spüre da keinen Schmerz mehr. Die AfD-Kreistagsfraktion hat gerade Unterlagen über Flüchtlingsunterbringung aus einer nichtöffentlichen Sitzung veröffentlicht und mobilisiert zu Demos. Ich habe dazu direkt einen Beitrag für meinen Youtube-Kanal aufgenommen und die Hetze eingeordnet, weil es mich momentan wirklich wütend macht.
Braucht es mehr Wut? Einen Aufstand der Anständigen?
Ja, wir alle entscheiden, wie die Geschichte ausgeht! Man darf niemanden aus der Verantwortung lassen. Ich sage den Leuten immer wieder: wenn euch nicht gefällt, was die AfD macht, müsst ihr laut sein, das selbst in die Hand nehmen und überlegen, wie ihr dem begegnet. Ich kann helfen, mich aber auch nicht um alles kümmern. Das größte Problem ist, dass auf kommunaler Ebene ein Leerraum entstanden ist und es überhaupt nur noch wenige gibt, die den Rechten entgegentreten. Diese Aktivierung ist unglaublich schwer – auch weil es Bedrohungen gibt.
Sie sind digitalaffin, betreiben neben einem Videokanal auf Youtube noch den Podcast „Dorffunk Ost“. Inwiefern hilft das?
Man muss mit den Informationen dahin gehen, wo die Leute sind. Ich nutze digitale Kanäle schon länger ganz bewusst, um Transparenz herzustellen und Leute zu erreichen. Ich merke, dass der direkte Draht hilft. Insbesondere freuen sich viele über konkrete Gedanken zu einer Zukunftsperspektive.
Wie kann man das Ruder herumreißen?
Wir brauchen Ehrlichkeit in der Politik. Gute Politik beginnt da, wo ich Bürgern erklären muss, was sie vielleicht nicht machen wollen. Dass es nach 30 Jahren Transformation eine gewisse Müdigkeit gibt, kann ich verstehen. Aber trotzdem muss man dann Wege finden, um zu sagen: kommt, Leute, da ist der Punkt am Horizont. Wenn wir jetzt noch mal die Ärmel hochkrempeln und die Region für die Zukunft aufbauen, können wir unseren Kinder mal sagen: ihr habt auch hier eine Perspektive, ihr müsst nicht weggehen. Das sind Ziele, auf die hin man Menschen vereinen kann.
Was kann die große Politik tun, um zu unterstützen?
Es hilft nicht, dass wir es landespolitisch nicht auf die Reihe bekommen, Kommunen finanziell so auszustatten, dass sie Dinge gemeinsam mit den Bürgern umsetzen können. Das ist der Krebsschaden schlechthin: Ich kenne viele Leute, die sich einbringen wollten, die aber irgendwann frustriert aufgegeben haben.
Was meinen Sie?
Als ich Bürgermeister in Augustusburg war, hatten wir ein Budget von 50.000 Euro im Jahr für Bürgerbeteiligung. Wir haben damit einfach einen Wettstreit der Ideen gemacht und die besten Projekte teilten sich die Förderung. Wir hatten immer 10 Projekte pro Jahr vom Spielplatz bis zum Instrumentenmuseum, bei denen Bürger in Eigenleistung gegangen sind und öffentlich Resonanz bekommen haben. Man konnte zuschauen, wie sich Leute kennengelernt haben, wie sich Zusammenhang bildete und auch Heimatstolz in einem positiven Sinne. Aber eine Kommune muss auch in der Lage sein, das machen zu können – und das ist in mindestens 90 Prozent der Fälle nicht möglich. In der Konsequenz muss ich jedem sagen, der sich engagieren will: tut mir leid, kein Geld, können wir nicht machen – und das erzeugt Ohnmachtsgefühle.
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