Landgrabbing in Brandenburg: Immobilienhai will Bauern ausstechen
Eine Beteiligungsfirma der Deutsche Wohnen will einen Agrarbetrieb in Brandenburg kaufen. Es wäre das erste Investment dieser Art.
Dem Vernehmen nach will der interessierte Landwirt, Tobias Lemm, 8 Millionen Euro für den Betrieb in dem Dorf Bönitz zahlen. Die Deutsche-Wohnen-Beteiligungsfirma Quarterback Immobilien kündigte demnach aber an, 10 Millionen Euro zu bieten. Es wäre das erste bekannte Investment eines Wohnungskonzerns in Deutschlands Agrarbranche. Die Quarterback ließ Fragen der taz bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
„Wenn ich den Betrieb übernehme, kommt jemand mit Stallgeruch und nicht jemand, der überhaupt nicht verbunden ist mit Kühen“, sagt Lemm, ein studierter Agrarmanager, der aus einer Bauernfamilie in der Prignitz in Brandenburg stammt. Lemm hat bisher große Landwirtschaftsbetriebe anderer Eigentümer geleitet und wohnt derzeit in Berlin. Er würde die Milchviehhaltung und den Ackerbau erhalten und nicht nur auf besonders lukrative Photovoltaikanlagen auf dem Land setzen.
Vor allem würde Lemm mit seiner Familie in die Region ziehen wollen: „Wir hätten kein Interesse, Ärger mit den Menschen dort zu bekommen“, sagt Lemm. Das sei anders als bei einem orts- und branchenfremden Großunternehmen. Die Quarterback Immobilien sitzt in Leipzig und gehört zu 40 Prozent der Deutsche Wohnen aus Berlin, die wiederum mehrheitlich im Besitz des Wohnungskonzerns Vonovia ist. Dessen Aktien wurden nach den letzten verfügbaren Daten von Mitte Februar vor allem von Banken und Fonds wie BlackRock aus den USA gehalten.
Reichtum noch ungleicher verteilt
„Die Steuern werden sowieso woanders gezahlt, wenn ein auswärtiger Konzern den Betrieb kauft“, kritisiert Lemm. Auch Gewinne und die Agrarsubventionen der Europäischen Union würden so vom Dorf in die Stadt abfließen. Laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung sind das Mittel im Wert von jährlich rund 750.000 Euro. Kritisiert werden Übernahmen von großen Landwirtschaftsbetrieben durch Konzerne außerdem, weil solche Aufkäufe den Reichtum noch ungleicher verteilen. Linke Agraraktivisten sprechen von Landgrabbing, also der illegitimen Aneignung von Land, wenn reiche Vermögensbesitzer ortsansässige Bauern verdrängen.
Andere Großunternehmen, die eigentlich nichts mit Landwirtschaft zu tun haben, kaufen seit einigen Jahren Agrarland oder Betriebe mit solchen Flächen: Eigentümer des Discounters Aldi Nord oder der Rückversicherungskonzern Munich Re haben bereits in Ostdeutschland Agrarbetriebe übernommen. In der Niedrigzinsphase ab der Finanzkrise 2008 wurden sie vor allem durch die teils durch die EU-Agrarsubventionen garantierten Renditen landwirtschaftlicher Betriebe gelockt.
Jetzt stehen hohe Gewinne durch Photovoltaik- oder Windkraftanlagen auf den landwirtschaftlichen Flächen sowie die rasante Wertsteigerung des knappen Bodens im Vordergrund; besonders seit der Gesetzgeber im Januar die Genehmigung von Solaranlagen 200 Meter links und rechts von Autobahnen und bestimmten Bahnlinien erleichtert hat. Zwei solcher Schienenwege verlaufen auch durch das Gelände der Röderland-Gruppe.
Eine Studie des bundeseigenen Thünen-Forschungsinstituts für Ländliche Räume zeigt, dass immer mehr ostdeutsche Agrarunternehmen ortsfremden Investoren gehören. Das traf Anfang 2017 auf 34 Prozent der 853 untersuchten Firmen in allen neuen Bundesländern zu. 2007 waren es nur 22 Prozent gewesen. Betroffen sind vor allem sehr große Betriebe, von denen es wegen der Kollektivierung zu DDR-Zeiten viele in Ostdeutschland gibt. Unternehmen mit viel Land und Umsatz sind für Investoren interessanter als kleine Höfe.
Auch die Röderland-Gruppe hat sehr viel Land: Ihre 35 MitarbeiterInnen bewirtschaften ungefähr 2.500 Hektar. Rund 600 Hektar davon stehen in ihrem Eigentum, für den Rest hat sie langfristige Pachtverträge.
Investoren steigern indirekt Bodenpreise
Die branchenfremden Investoren können meist mehr Geld für die Betriebe zahlen. Das trägt dazu bei, dass die Bodenpreise noch weiter steigen. Seit 2007 haben sich die Verkaufswerte von landwirtschaftlich genutztem Land laut Statistischem Bundesamt im Schnitt mehr als verdoppelt. Gerade kleine Bauern können in diesem Bieterkampf nicht mithalten. Dabei bieten ihre Höfe durchschnittlich mehr Arbeitsplätze pro Hektar als größere Agrarbetriebe.
Eigentlich können die Behörden nach dem Grundstücksverkehrsgesetz Käufe von Agrarland verhindern, wenn der Erwerber nicht Landwirt ist und ein Bauer die Fläche benötigt. Aber diese Regeln gelten nicht für „Share Deals“, bei denen der Käufer nicht das Land direkt, sondern die Firma kauft, der die Fläche gehört.
Brandenburgs Agrarminister Axel Vogel will das für sein Bundesland ändern. Der Grünen-Politiker arbeitet gerade an einem Gesetz, das den Behörden ein Vetorecht auch bei Share Deals einräumen würde. Ob Vogel das bei den Koalitionspartnern CDU und SPD durchsetzen kann, ist allerdings ungewiss. Ähnliche Versuche in anderen Bundesländern sind gescheitert oder stocken. Das geschah ausgerechnet auf Betreiben der Landesbauernverbände. Denn zu ihren Mitgliedern zählen die Agrarunternehmen, die jetzt verkauft werden. Deren Gesellschafter profitieren von den steigenden Kaufpreisen.
Auch Steffen Höppner, Geschäftsführer und Mit-Eigentümer der Röderland-Gruppe, könnte die Preisrallye nutzen. Er liefert Argumente für die Pläne von Investoren wie der Quarterback Immobilien. „Wenn zum Beispiel eine Immobiliengruppe kommt, die auch grüne Energie produzieren will – ich weiß nicht, was da verwerflich sein soll“, sagte er der taz. „Man kann es auf klassische Art mit Landwirtschaft weiter hier versuchen oder mit Innovationen, die zum Beispiel mit einem Investor kommen können“, so Höppner. Davon, dass die Quarterback dort Wohnungen bauen könnte, ist übrigens nicht die Rede.
Der 56-Jährige deutete an, dass er um seinen eigenen Chefposten fürchtet, wenn Landwirt Lemm den Betrieb kaufen sollte. „Mit einer Investorentruppe bleibt alles, wie es ist“, glaubt Höppner jedenfalls. Er hofft, dass dann alle Mitarbeitenden ihre Jobs behalten können.
Deutsche Wohnen dementiert
Gesellschafter Freund merkte an, dass Lemm wahrscheinlich nicht so viel Geld in den Betrieb investieren könne wie die Quarterback, um beispielsweise Solarzellen zu installieren. Natürlich sei auch der höhere Erlös für die Gesellschafter ein Argument für Quarterback, sagt Freund.
Am Montag will die Quarterback Immobilien dem Vernehmen nach bei den 29 Gesellschaftern für sich werben. Ob sie den Zuschlag bekommt, ist offen. Laut Satzung der „Röderland landwirtschaftliche Unternehmensgesellschaft mit beschränkter Haftung“ – so der offizielle Name der Mutterfima – ist eine Mehrheit von 75 Prozent der Anteile für einen Verkauf erforderlich.
Die Deutsche Wohnen teilte der taz mit, das Unternehmen sei „nicht im Bereich Agrar unterwegs“. Pressesprecher Matthias Wulff ergänzte auf Nachfrage aber, dass die Deutsche Wohnen mit 40 Prozent an der Quarterback Immobilien beteiligt sei – die ja nun doch versucht, in die Agrarbranche zu investieren.
Zwar schreibt Wulff, die Quarterback handele „eigenständig“. Die Verbindungen zwischen der Deutsche Wohnen und der Quarterback sind aber außergewöhnlich eng: „Die wesentlichen Geschäftsbeziehungen von Deutsche Wohnen bestehen im 1. Halbjahr 2022 mit der Quarterback-Gruppe“, steht im aktuellen Sechsmonats-Bericht für die Aktionäre des Immobilienkonzerns. Er halte jeweils 44 bis 50 Prozent an 11 Beteiligungsfirmen der Quarterback. Alle seine Neubauaktivitäten habe er in der Leipziger Firma gebündelt, heißt es im Geschäftsbericht für das Jahr 2021. In dem Report wird die Quarterback gleich 110-mal erwähnt; zum Beispiel kamen die Quarterback-Vorstandsmitglieder Andy Herrmann und Henrik Thomsen direkt von der Deutsche Wohnen.
Der Konzern ist vor allem in Berlin umstritten. Insbesondere linke AktivistInnen werfen ihm vor, seine Rendite auf gegenüber Mietern unfaire Art und Weise zu erhöhen. Die Berliner Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gewann im September 2021 einen Volksentscheid für die Enteignung und Vergesellschaftung des Konzerns und anderer großer, privater Wohnungsunternehmen.
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