Landgrabbing in Ostdeutschland: Aldi-Erben greifen nach Agrarland

Immer mehr Großinvestoren steigen in ostdeutsche Landwirtschaftsbetriebe ein. Agraraktivisten sprechen sogar von illegitimer Aneignung von Land.

Mähdrescher auf dem Weizenfeld

Wer macht hier in Thüringen Kasse? Die reichen Erben aus dem Westen? Foto: imago images/Steve Bauerschmidt

Das Landgrabbing in Ostdeutschland geht ungebremst weiter – trotz aller Kritik. Denn immer mehr Äcker und Wiesen gelangen in die Hände von ortsfremden Großinvestoren, und immer mehr Gewinne fließen von armen Regionen im Osten in wohlhabendere im Westen.

Die Behörden schauen meist untätig zu. So verhinderten die Ämter in Sachsen-Anhalt zum Beispiel nicht, dass jetzt auch eine Stiftung der Aldi-Erben in ein Landwirtschaftsunternehmen eingestiegen ist. Ende Juni nahm die Genossenschaftsversammlung des Agrarbetriebs Kayna in Sachsen-Anhalt drei Firmen mit dem Namen Boscor im Titel als Mitglieder auf, wie aus dem Sitzungsprotokoll hervorgeht, das der taz vorliegt. Alleiniger Gesellschafter dieser Unternehmen ist laut Handelsregister die Lukas-Stiftung, eine der drei Eigentümerinnen des Discounters Aldi Nord. Die nunmehr acht Genossen wählten zwei Geschäftsführer der Boscor-Firmen zu ihren alleinigen Vorstandsmitgliedern. Die Aldi-Leute haben also die Führung des Agrarbetriebs übernommen. Es ist die erste bekannt gewordene Investition einer Aldi-Stiftung in einen Agrarbetrieb.

Die Firma erhielt laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung im vergangenen Jahr ungefähr eine halbe Million Euro Agrarsubventionen von der Europäischen Union, davon 350.213 Euro Basisprämie. Diese betrug dem Bundesagrarministerium zufolge in Sachsen-Anhalt pro Hektar 179 Euro. Der Betrieb bewirtschaftete also etwa 2.000 Hektar. Das ist sehr viel, selbst in Sachsen-Anhalt, wo der Flächendurchschnitt der Agrarbetriebe mit 273 Hektar im Vergleich zu Westdeutschland schon sehr hoch ist.

„Das ist ein Privatinvestment der Lukas-Stiftung“, sagte Florian Scholbeck, Sprecher der Unternehmensgruppe Aldi Nord, der taz. Er könne aber ausschließen, dass der Agrarbetrieb ein Zulieferer von Aldi werden solle. Eine Kontaktmöglichkeit der Stiftung für Nachfragen gebe es nicht. Deshalb bleibt zum Beispiel der Kaufpreis unbekannt. Der Agrarbetrieb selbst wollte sich auf taz-Anfrage nicht äußern. Aldi Süd ließ die Frage unbeantwortet, ob auch seine Stiftungen in landwirtschaftliche Betriebe investiert haben.

Agrarsubventionen versprechen sichere Rendite

Wahrscheinlich wollen die Aldi-Nord-Eigentümer ihr Milliardenvermögen nun auch in Agrarflächen investieren, weil Staaten und Banken kaum noch Zinsen etwa auf Anleihen zahlen. Wegen der Niedrigzinsphase kaufen zunehmend sogar Konzerne Äcker, die dank der größtenteils je Hektar gezahlten EU-Agrarsubventionen eine sichere Rendite versprechen.

Eine Studie des bundeseigenen Thünen-Forschungsinstituts für Ländliche Räume zeigt, dass immer mehr ostdeutsche Agrarunternehmen Ortsfremden gehören. Das traf Anfang 2017 auf 34 Prozent der 853 untersuchten Firmen in allen neuen Bundesländern zu. 2007 waren es nur 22 Prozent gewesen.

Agraraktivisten sprechen von Landgrabbing, also der illegitimen Aneignung von Land. Die Gewinne aus der Nutzung des Bodens und milliardenschwere Agrarsubventionen fließen aus den Gemeinden ab. So wird der Wohlstand immer ungleicher verteilt. Das trägt zur Frustration von Menschen auf dem Land bei, vor allem im Osten. Sie merken zum Beispiel: Die reichen Erben aus dem Westen machen hier Kasse und schaffen das Geld in den Westen. Den Gemeinden gehen Einnahmen verloren, denn überregionale aktive Kapitaleigentümer zahlen keine Ertrags- oder Einkommensteuer am Sitz ihrer Tochterunternehmen.

Zudem tragen die Käufer von außerhalb dazu bei, dass die Bodenpreise noch weiter steigen. Seit 2007 haben sich die Verkaufswerte von landwirtschaftlich genutztem Land laut Statistischem Bundesamt im Schnitt mehr als verdoppelt. Gerade kleine Bauern können in diesem Bieterkampf nicht mithalten. Dabei bieten ihre Höfe durchschnittlich mehr Arbeitsplätze pro Hektar und eine größere Vielfalt von Pflanzen und Tieren.

Die Kleinen kommen kaum zum Zuge

Selbst wenn ein Großinvestor in Schwierigkeiten gerät und Land wieder verkaufen muss, kommen die Kleinen kaum zum Zuge. Das belegt das Beispiel der Unternehmerfamilie Steinhoff aus Niedersachsen. Sie ist einer der größten Agrarlandbesitzer Deutschlands und an dem Möbelkonzern Steinhoff International Holdings beteiligt, der angibt, 12.000 Geschäfte in über 30 Ländern zu besitzen.

Ab 2017 wurde der Konzern von einem Skandal um milliardenschwere Bilanzmanipulationen erschüttert. Nun bestätigen Eintragungen im Handelsregister nach Recherchen der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, dass die Familienholding drei Tochtergesellschaften mit insgesamt rund 2.700 Hektar verkauft hat. Nicht an viele Kleinbauern, sondern an einen einzelnen Investor beziehungsweise sein Firmengeflecht: an den Milliardär Ludwig Merckle, Erbe von Adolf Merckle, der den Arzneimittelhersteller Ratiopharm gegründet hat.

Eigentlich können die Behörden laut Grundstücksverkehrsgesetz Käufe von Agrarland verhindern, wenn der Erwerber nicht Landwirt ist und ein Bauer die Fläche­ benötigt. Aber diese Regeln werden umgangen, wenn der Käufer nicht das Land allein, sondern Anteile einer Firma kauft, der die Fläche gehört.

Die Behörden erlaubten den Deal

Genau so einen Share Deal fädelten Steinhoff/Merckle ein. Hinzu kommt, dass der Käufer bei solchen Verträgen die Grunderwerbsteuer in Höhe von je nach Bundesland 3,5 bis 6,5 Prozent spart, wenn er nur maximal 94,9 Prozent der Firma erwirbt. Der Rest geht typischerweise an einen Strohmann.

Doch auch wenn die Flächen zunächst nicht per Share Deal verkauft werden, schaffen es die Behörden zuweilen nicht, diese Geschäfte zu verhindern: 2015 verkauften mehrere Tochterfirmen der Holding KTG Agrar an eine weitere Tochter namens ATU rund 2.800 Hektar Acker. Das mussten sie sich von den jeweiligen Landkreisen nach dem Grundstücksverkehrsgesetz genehmigen lassen. Die Behörden erlaubten den Deal, denn die ATU war ja tatsächlich ein Agrarbetrieb. Nachdem aber das ganze Land der ATU gehörte, wurde die Firma von dem weltgrößten Rücksicherungskonzern Munich Re gekauft – per Share Deal, der nicht genehmigt werden musste. Als die Behörden das merkten, fühlten sie sich getäuscht und hoben die Erlaubnisse für die Verkäufe an die ATU auf.

Der in Sachsen-Anhalt zuständige Landkreis Börde begründete das damit, dass ein 1.453 Hektar großer Betrieb aus der Region das Land dringend benötige. Die Munich Re zog daraufhin vor das Amtsgericht Magdeburg – und gewann. Im Juni urteilten die Richter, dass der Verkauf an die ATU legal war. Denn der 1.453-Hektar-Betrieb zähle „zu den größten Betrieben des Bundeslandes“, schrieben sie. Rund 45 Prozent des Landes seien sein Eigentum, also nicht nur gepachtet – eine überdurchschnittlich gute Quote in der Region. Der Landkreis hat gegen das Urteil innerhalb der gesetzten Frist keine Rechtsmittel eingelegt, wie das Gericht der taz mitteilte. Er hat also aufgegeben.

Die Brandenburger Behörden dagegen haben nach Angaben des Agrarministeriums in Potsdam vor dem Amtsgericht Neuruppin gegen die Munich Re weitgehend gewonnen, doch geht der Fall jetzt in die nächste Instanz. Egal wie er ausgeht: Die Munich Re wird das meiste KTG-Land behalten dürfen. Denn Brandenburg hatte laut Ministerium die Verkaufsgenehmigungen nur für 463 Hektar der dortigen 2.263 Hektar aufgehoben. Lediglich für diese 20 Prozent der Gesamtfläche hätten sich Bauern gefunden, die das Land benötigen. Dem Vernehmen nach waren die Preise einfach zu hoch.

Und was tut die Politik?

Der Deutsche Bauernverband schweigt zum Thema Landgrabbing meist, offenbar auch, weil mehrere aktuelle oder ehemalige Funktionäre der Organisation vom Ausverkauf der Landwirtschaft profitieren, wie die taz im April 2018 aufdeckte. Aber Kurt-Henning Klamroth, Präsident des Deutschen Bauernbunds, kritisiert: „Die Länder sind häufig mit der Aufgabe überfordert, das Grundstücksverkehrsrecht durchzusetzen oder zu reformieren.“ Sie sollten laut Bauernbund vorschreiben, dass auch für Share Deals von landwirtschaftlichen Unternehmen Genehmigungen von den Behörden erforderlich sind.

Kurt-Henning Klamroth, Präsident des Deutschen Bauernbunds

„Die Länder sind häufig damit überfordert, das Grundstücks­verkehrsrecht durchzusetzen“

Und was tut die Politik? Sachsen-Anhalts grüne Landwirtschaftsministerin Claudia Dalbert will handeln, doch hat sie den Widerstand ihrer Koalitionspartner SPD und CDU bisher nicht brechen können. „Ich warte täglich auf den geeinten Entwurf des Agrarstrukturgesetzes“ der Fraktionen, sagte sie der taz. Auf die Frage, ob Sachsen-Anhalt im Fall Munich Re versagt habe, antwortet sie nicht. Neue Hoffnung gibt es in Brandenburg, wo bald über die künftige Regierung verhandelt wird. „Ein Agrarstrukturgesetz ist eine wichtige Kernforderung in unseren letzten beiden Wahlprogrammen“, sagte Grünen-Fraktionschef Axel Vogel der taz. „Es wird in möglichen Verhandlungen eine wichtige Rolle spielen.“ Die Grünen würden sich nicht mit Prüfaufträgen oder den Verweis an den Bund abspeisen lassen, „in der Erwartung, dass es nie zu einem Landesgesetz kommen wird“.

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