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Krieg in der UkraineGeschenk mit Eskalation

International bröckelt die Solidarität mit der Ukraine. Die neue US-Administration könnte für etliche Staaten sogar eine Erleichterung sein.

Noch ist ungewiss, welchen politischen Ansatz zum Ukrai­ne­krieg Donald Trump verfolgen wird Foto: Julia Demaree Nikhinson/ap

Diese Woche schien die Woche der Entscheidungen zu sein. Die USA sagten nach langem Zögern zu, dass die Ukraine Mittelstreckenraketen US-amerikanischer Herkunft auch auf russischem Territorium einsetzen darf – wenn auch nur auf dem Kursker Gebiet. Der erste Einsatz folgte unmittelbar. Russland antwortete mit Oreschnik, einer experimentellen Mittelstreckenrakete, deren Reichweite die Ukraine so sehr übersteigt, dass ihr Einsatz offenbar vor allem als Zeichen an den Westen gedacht war.

Die Zusage aus den USA wirkt wie ein Abschiedsgeschenk des noch amtierenden US-Präsidenten Joe Biden. Und fast schon wie Resignation – denn die internationale Solidarität bröckelt. Besonders eindrücklich zeigte sich dies beim G20-Gipfel in Brasilien. Ein paar dürre Sätze zur Kriegslage in der Ukraine schafften es ins Abschlussdokument. Keine fulminante Verurteilung der Gewalt durch Russland, kein Appell für eine Friedensinitiative, keine Positionierung zu Aggressor und Opfer. Brasilien, Indien, Indonesien sehen dies nicht als Topthema auf ihrer politischen Agenda.

Treiber der neuen Eskalation und Diskussion ist die Ungewissheit, welchen politischen Ansatz zum Ukrai­ne­krieg Donald Trump verfolgen wird. Im Raum steht seine Behauptung aus Wahlkampfzeiten, er werde den Krieg „binnen 24 Stunden beenden“. Wie das gehen soll, bleibt offen.

Die vermutlich klarste Sicht auf einen möglichen Trump-Ansatz bietet ein im April diesen Jahres von dem Trump nahestehenden America First Policy Institute veröffentlichter Report. Die Autoren Keith Kellog und Fred Fleitz gehörten beide zum Nationalen Sicherheitsteam der ersten Trump-Präsidentschaft. Einerseits kritisieren sie umfangreich die Regierung Biden. Die habe vor Beginn der russischen Großoffensive im Februar 2022 weder ausreichend militärische Hilfe an die Ukraine gesandt, noch harte diplomatische Anstrengungen unternommen, um Putin von der Invasion abzuhalten.

Anschließend habe sie zu zögerlich, zu langsam und zu wenige Waffen geschickt. Vor allem daran habe es gelegen, dass seit Ende 2022 ein blutiger Stillstand eingetreten sei, der nunmehr mit immer weiteren Waffenlieferungen verlängert werde. Die Analyse hat Plausibilität: Der vor wenigen Wochen von dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj vorgestellte „Siegesplan“ stieß bei keinem einzigen westlichen Partnerland auf offene Ohren.

Der Vorschlag von Kellog und Fleitz: sofortiger Waffenstillstand, Einfrieren des derzeitigen Frontverlaufs, abgesichert durch eine demilitarisierte Zone, Verzicht der Ukraine auf eine Nato-Mitgliedschaft für mindestens 20 Jahre – und gleichzeitig die militärische Ertüchtigung der Ukraine, um Russland an erneutem Wortbruch zu hindern. Was genau den russischen Präsidenten außer ein paar weniger Sanktionen dazu bringen sollte, sich angesichts seiner derzeitigen Geländegewinne auf Verhandlungen mit einem derartigen Ergebnis einzulassen, führen die Autoren nicht weiter aus.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Rolle Deutschlands ist nach Ampel-Aus unsicher

Zwei weitere Aspekte fallen in dem Papier auf: Es wird betont, wie wichtig die Unberechenbarkeit Trumps sei, um außenpolitisch etwas zu erreichen. Und zweitens: Für eine Trump’sche Außenpolitik sei es essenziell zu verhindern, dass sich die Achse zwischen Russland, China, Nordkorea und Iran weiter etabliert. Der Biden-Regierung werfen die Autoren vor, den Ukrainekrieg von der legitimen Verteidigung zum Stellvertreterkrieg gegen Russland verwandelt und damit eine funktionierende Arbeitsbeziehung zwischen den USA und Russland verunmöglicht zu haben.

Diese Analyse passt zur aktuellen Stimmung in den USA. Man könne angesichts der diversen eigenen Probleme nicht immer weiter Geld in die Ukraine pumpen, finden viele. Hinzu kommt, dass die USA ihre eigenen Munitionsbestände nicht auf Jahrzehnte ausdünnen wollen. Auseinandersetzungen mit China könnten bevorstehen.

Alarmiert durch die Ausführungen Trumps macht der polnische Premier Donald Tusk Druck. Kurz nach dem Wahlsieg des erratischen Republikaners kündigte Tusk an, sich mit führenden EU-Staats- und Regierungschefs treffen zu wollen.

Welche Rolle Deutschland in dieser Runde spielen wird, ist nach dem Ampel-Aus unsicher.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in puncto Ukrainehilfe ein Riss durch Europa gehen könnte. Für die Nachbarn Russlands bleibt es eine Herzensangelegenheit, keinerlei russische Gebietsansprüche anzuerkennen – auch für ihre eigene Sicherheit. Andere Länder könnten sich hinter Trump verstecken.

Die Perspektive, Millionen Geflüchtete aufnehmen und auf Jahre hinaus einen blutigen Stellungskrieg finanzieren zu müssen, ist schlicht nicht attraktiv.

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6 Kommentare

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  • "Die Perspektive, Millionen Geflüchtete aufnehmen und auf Jahre hinaus einen blutigen Stellungskrieg finanzieren zu müssen, ist schlicht nicht attraktiv."



    Das ist falsch. Der Satz müsste lauten:



    "Die Perspektive, Millionen Geflüchtete aufnehmen ODER auf Jahre hinaus einen blutigen Stellungskrieg finanzieren zu müssen, ist schlicht nicht attraktiv."



    Denn wenn der russische Faschismus sich durchsetzen sollte, dann werden Millionen Menschen die Ukraine, Moldau und die Baltischen Staaten verlassen. Ich kenne niemand mehr in der Ukraine, der sich auf Papierfetzen wie das "Budapester Memorandum" (Die Sicherheitsgarantie von Russland, USA, GB und FR für die Unverletzlichkeit der Grenzen der Ukraine im Gegenzug für die Abgabe der ukrainischen Atomwaffen) verlassen würde. Und ich wage die Vorhersage, dass ein einseitiges "Einfrieren" des Krieges nicht nur zu Millionen Flüchtlingen führen wird - eben weil jeder weiß, dass Russland wieder angreifen wird - sondern auch dazu, dass sich die Ukraine Atomwaffen zulegen wird. Weil nur darin Sicherheit zu finden ist: "Eine Atommacht kann man nicht besiegen" ( Wagenknecht , Putin, Mützenich). Nehmen wir sie beim Wort!

  • Die schlicht nicht attraktive Perspektive ist aber schlicht realistisch.



    Ich habe den Eindruck, dass es schrecklicherweise erst passieren muss. Erst dann können und müssen neue Denk - und Handlungsräume entstehen.



    Ich wünschte, der Mensch wäre anders gestrickt!

    • @poesietotal:

      Ich glaube zu wissen, was Sie mit "Der Mensch" meinen.



      Gottseidank gibt es einige mit einem schönen Strickmuster, aber die Mehrheit richtet sich nach der vorherrschenden Mode. Und die ändert sich zur Zeit halt nicht laufend, sondern entwickelt sich stur in Richtung absoluter Geschmacklosigkeit.



      Die am meisten zutreffende Beschreibung m. M. n. in Sachen "Mensch" lieferte Hannes Jaenicke am 20. Sept. 2018 bei Maischberger.

  • "...die Ukraine Mittelstreckenraketen US-amerikanischer Herkunft auch auf russischem Territorium einsetzen darf..."

    Die USA haben der Ukraine keine Mittelstreckenraketen geliefert. Geht auch nicht, da sie USA im Zuge des INF Vertrages ihre vernichtet haben und erst dabei sind, wieder welche zu beschaffen. Was die Ukraine bekommen hat, sind Kurzstreckenwaffen. Womit sich auch das Thema "Schläge tief in Russland" von selbst erledigt. Russland ist 9000 km tief. Da könnte man übrigens auch mit Taurus nur an der Oberfläche kratzen.

    "Was genau den russischen Präsidenten außer ein paar weniger Sanktionen dazu bringen sollte, sich angesichts seiner derzeitigen Geländegewinne auf Verhandlungen mit einem derartigen Ergebnis einzulassen, führen die Autoren nicht weiter aus."

    Genau da liegt das Problem. Auch Trumps Berater sind der irrigen Ansicht, dass sie Staaten und Politiker wie Schachfiguren auf der Erde bewegen können. Putin müsste es schon sehr schlecht gehen, wenn er auch nur darüber nachdenkt, die Vorschläge anzunehmen...

  • "A lässt B kollabieren", "Ein C zwingt A und B zum Friedensschluss", "A und B verstehen beide, dass Weiterkämpfen keinen Sinn hat" - das sind grob die aus Friedenswissenschaft und Geschichte bekannten Muster.



    Dann muss vor allem Putin-Russland einen Anreiz haben, das Verheizen einzustellen - das Wissen, dass sie nie noch weiter gewinnen werden. Anders als Minsk muss das für eine absehbar lange Zeit gelten.



    Auch die angegriffene Ukraine wird eine akzeptable Lösung brauchen. Am besten hätte man sie zeitnah vor dem Eingraben der Russen zur Gegenoffensive bis genau zum Status Quo Ante ermächtigt, natürlich auch zu Angriffen auf den Angreifer.

    Alles nicht leicht, doch die Ukraine nun deutlich stärken ist sogar auch noch im kleinteiligen deutschen Interesse (Präzedenzfall, Destabilisierungsflüchtlinge). Ohne einen harten Widerstand würde Putin jedenfalls weiterfechten und -töten lassen. Das letzte Telefonat dürfte es wirklich jedem klargemacht haben.

    • @Janix:

      "Das letzte Telefonat dürfte es wirklich jedem klargemacht haben."



      Nein, leider nicht. Es gibt zu viele Menschen, die gewisse Aspekte der Realität einfach ausblenden. Es ist z.B. für viele in Deutschland völlig unverständlich, dass es eine Seite geben kann, die Krieg unbedingt will - solange irgendein Vorteil sichtbar ist. Und auch die Wahrnehmung eines "Vorteils" kann einer starken Verzerrung unterworfen sein.



      Deswegen ist vieles nicht klar.