Kontaktgebühr bei Arztbesuch: Eintrittsgelder für die Arztpraxis?
Wie sind steigende Kosten für die medizinische Versorgung unter Kontrolle zu bekommen? Verbandsvertreter fordern neue Gebühren, Patientenschützer warnen.
Patientensteuerung, Arztgebühren, Primärarztsystem – Verbände und Patientenvertreter treiben die Debatte um Gesundheitskosten auch zwischen den Jahren weiter voran. Kassenärzte und Krankenhäuser fordern eine stärkere finanzielle Beteiligung von Patient:innen bei Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten. Der Patientenbeauftragte Stefan Schwartze warnt stattdessen vor „Eintrittsgeldern in der Arztpraxis“.
Kontaktgebühr bei jedem Arztbesuch
Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, forderte eine „Kontaktgebühr“ bei jedem Arztbesuch. „Sie könnte, wie zum Beispiel in Japan, bei drei oder vier Euro liegen und sollte von den Krankenkassen eingezogen werden. So könnte die Einnahmebasis der Kassen erhöht werden“, sagte Gassen der Bild. Die Gebühr müsse sozialverträglich gestaltet werden, damit niemand überfordert werde.
Im Oktober hatte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bereits eine Kontaktgebühr gefordert. Dies würde eine bessere Steuerungswirkung entfalten als die einstige allgemeine Praxisgebühr. Die Zahl unnötiger Arztbesuche und „Ärzte-Hopping“ könnten vermieden und damit Wartezeiten verkürzt und Praxen entlastet werden, hieß es in einem BDA-Positionspapier von Oktober.
Patientenbeauftragter warnt vor „Eintrittsgeld“
Eine generelle Praxisgebühr für Arztbesuche gab es für gesetzlich Versicherte von 2004 bis Ende 2012 in Höhe von pauschal zehn Euro pro Quartal. Diese führte jedoch zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand, die Einsparungen blieben hinter den Erwartungen zurück. Zugleich ging die Zahl der Arztbesuche zurück, was Befürchtungen auslöste, dass auch medizinisch sinnvolle Vorsorgetermine oder Behandlungen ausblieben.
Der Patientenbeauftragte Stefan Schwartze äußerte sich am Montag in einem Interview bei web.de kritisch gegenüber einer Gebühr bei Arztbesuchen. „Ich warne dringend vor allen Maßnahmen, die auf ein Eintrittsgeld in die Arztpraxis hinauslaufen“, sagte Schwartze. Der SPD-Bundestagsabgeordnete forderte darüber hinaus sogenannte IGeL-Leistungen abzuschaffen. Diese individuellen Gesundheitsleistungen, die Patient:innen selbst zahlen müssen, seien laut Schwartze häufig nicht evidenzbasiert.
Auch Krankenhäuser wollen Patient:innen stärker zur Kasse bitten
Der KBV-Chef schlägt zugleich die Einführung eines „digitalen Ärzte-Lotsen“ für Patient:innen vor, um die Zahl unnötiger Arztbesuche zu reduzieren und Kosten zu senken. Dieser Lotse solle Patient:innen beraten und Arztbesuche koordinieren. „Durch eine solche Koordination für Patienten könnten unnötige Doppel- und Dreifachbehandlungen verhindert werden“, sagte Gassen. Dieser Lotse könne bei entsprechender Finanzierung über die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, 116 117, etabliert werden.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sprach sich ebenfalls für eine stärkere Patientenbeteiligung aus. Die Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalten soll verdoppelt werden, von 10 auf 20 Euro am Tag. „Das ist angemessen“, sagte Gerald Gaß in der Bild. Den Krankenkassen bringe das zusätzlich rund 800 Millionen Euro im Jahr. Er forderte zudem, auch diejenigen zur Kasse zu bitten, die ohne vorherige telefonische Beratung die Notfallzentren der Krankenhäuser aufsuchen. 30 bis 40 Euro seien angemessen, so Gaß.
Regierung plant große Reform
Die schwarz-rote Bundesregierung will im neuen Jahr eine Reform der gesetzlichen Krankenversicherung angehen. Ziel ist, den zuletzt immer schnelleren Ausgabenanstieg für die Versorgung zu begrenzen und weitere Beitragsanhebungen zu vermeiden. Eine Expertenkommission soll bis März Vorschläge zur Stabilisierung ab dem Jahr 2027 vorlegen. Bis Ende 2026 sollen weitergehende Reformvorschläge folgen. Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hatte deutlich gemacht, dass es um mehr Effizienz und Steuerung gehen soll. Alle Einnahmen und Ausgaben sollen auf den Prüfstand. Es werde Veränderungen „für alle“ geben, sagte sie. (mit dpa/afp)
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert