Konsumverhalten am Black Friday: Kritik oder Klassismus?
Die Kapitalismus-Dresche, die pünktlich zum Black Friday mitgeliefert wird, ist billiger als jedes Angebot. Dahinter verbirgt sich oft Verachtung.
W issen Sie, was noch nerviger ist als die anlässlich des Black Friday eintreffende Newsletter-Flut, bei denen die Postfächer zu explodieren drohen? Ich verrate es Ihnen: Es ist die dazugehörige Konsum- und Kapitalismuskritik, die billiger ist als jedes Cyber-Week-Angebot.
Alle Jahre wieder stellen insbesondere mittelständische Leute ihre steilen Thesen auf, als gäbe es den Kapitalismus erst, seitdem sich der Black Friday Sale in Deutschland durchgesetzt hat. Statt heute unnötige Dinge im Internet zu bestellen, sollen Menschen ihren Konsum hinterfragen und sich darauf besinnen, was sie wirklich brauchen. Nachhaltiger denken. Lieber den Verzicht preisen und nicht so hemmungslos übertreiben mit ihrem „Konsum-Irrsinn“.
Auf Twitter pathologisiert so mancher Möchtegern-Marx Leute als „Konsum-Psychopathen“. Ganz raffinierte Denker_innen merken an, dass Black Friday in Deutschland ja gar keinen Sinn ergibt, schließlich sei es eine US-amerikanische, mit Feiertagen zusammenhängende Erfindung. Tja, es ergibt auch keinen Sinn, die Weihnachtsmann-Erfindung von Coca-Cola in Form von Schokolade, Postkartenmotiven und Filmfiguren zu verbreiten, aber da bleiben die Boykottaufrufe interessanterweise aus.
Natürlich sollen Rabatte zum Kaufen anregen, weswegen existieren sie sonst? Wohl kaum aus Philanthropie. Es mag überraschend kommen, aber die meisten Deutschen shoppen unnötig. Auch unreduzierte Ware – vor allem, wenn sie besser betucht sind.
Für Leute mit weniger Geld sind Aktionen wie der Black Friday eine Gelegenheit, sich mal etwas leisten zu können. Ob so funktional wie ein Kühlschrank oder luxuriös wie teure Schminke: Hinter der moralischen Verdammung des Black-Friday-Konsums verbirgt sich häufig Klassenhass, mindestens jedoch peinlich verkürzte Konsum- und Kapitalismuskritik.
Ich jedenfalls habe mir nach jahrelangem Geiern diese Woche endlich die Designerstiefel gegönnt, die eigentlich so viel wie mein Monatseinkommen kosten und dank Cyber Week nur noch so viel wie ein Paar Sneaker.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen