Ökonom Ulrich Schmidt über Konsum: „Weniger Ressourcen verbrauchen“

Ulrich Schmidt vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel hält das Klimapaket für mutlos. Der Verhaltensökonom über regionales Wirtschaften.

Flugzeug von innen, vollbesetzter Passagierraum

Nicht mehr so akzeptiert: Städtetrip per Flugzeug Foto: Suhyeon Choi/Unsplash

taz: Herr Schmidt, als Volkswirt und Verhaltensökonom gehen Sie vermutlich davon aus, dass Menschen sich rational verhalten. Aber beim Klimawandel tun sie es nicht. Scheint das Problem zu weit weg?

Ulrich Schmidt: Gerade als Leiter des Forschungsbereichs für Verhaltensökonomie gehe ich nicht davon aus, dass Menschen sich rational verhalten. Schließlich studieren wir hier die Auswirkungen von Fehlverhalten oder freundlicher gesagt das Abweichen vom Optimalen. Der Klimawandel ist seit 40 Jahren bekannt, das Thema ist lange auf der politischen Agenda. Aber ja, es schien weit weg. Wir sprechen von der kognitiven Dissonanz, also dem Wunsch, Negatives zu verdrängen. Und der Overconfidence, dem Glauben daran, es werde sich eine Lösung finden, wenn es akut wird. Individuell gibt es die Verantwortungsdiffusion: Warum soll ausgerechnet ich etwas tun? Aber das kann sich ändern, wenn sich die sozialen Normen ändern.

Heißt?

Neulich wollte ich einen Kurztrip per Flugzeug machen, ich bin mehrfach angesprochen worden, ob das angesichts des Klimawandels sein müsse. Das ist neu.

Das ist in Ihrer und meiner Blase so, aber viele Menschen sind nicht bereit, ihr Verhalten zu ändern. Wie gelingt es, auch die mitzunehmen?

Soziale Normen wandeln sich nicht schlagartig und in allen Gruppen gleichzeitig. Darum ist es wichtig, dass Klimapolitik sozialverträglich gestaltet wird, damit ärmere Schichten es nicht als Bedrohung empfinden. Aber davon sind wir weit entfernt.

Ulrich Schmidt, 51, studierte Volkswirtschaft und Psychologie, leitet seit 2013 den Forschungsbereich „Sozial- und verhaltensökonomische Ansätze zur Lösung globaler Probleme“ am Institut für Weltwirtschaft in Kiel.

Vor haupt- und ehrenamtlichen Naturschützer*innen sprechen Sie heute in Neumünster über die CO2-Steuer, direkt nach Fridays-for-Future-Aktivist*innen, die sich für einen sofortigen Verzicht auf Kohle, Öl und Auto einsetzen. Was sagen Sie denen?

Der Sprung von Hundert auf Null ist gesellschaftlich und politisch nicht durchsetzbar, radikale Maßnahmen halte ich für überzogen. Schon heute, in wirtschaftlich guten Zeiten, laufen der AfD die Wähler zu. Was, wenn die Arbeitslosigkeit steigt? Es gilt das Pariser Abkommen, das Ziel sollten wir erreichen.

Was halten Sie vom Klimapaket der Regierung?

Mein Hauptkritikpunkt ist, dass es nicht sozial verträglich ist. Schließlich geben Haushalte mit geringem Einkommen einen prozentual größeren Anteil für Strom, Heizen und Auto aus. Wenn diese Kosten steigen, sind sie überproportional betroffen. Zudem teilt die Politik den Energieverbrauch in Sektoren ein. Ich plädiere für einen einheitlichen Preis pro verbrauchter Tonne CO2. Damit würde dort viel reduziert, wo es einfach und kostengünstig geht.

Klingt, als kämen andere Bereiche dann gut davon?

Nein, denn die finanzielle Belastung trifft alle und schafft Anreize zu sparen. Aber bis dahin würde der CO2-Ausstoß schneller gesenkt werden. Dem Klima ist es egal, ob eine Tonne CO2 durch Verkehr oder Heizung entsteht.

Hätte die Politik angesichts von rund 1,4 Millionen Demonstrant*innen, die Ende September allein in Deutschland für mehr Klimaschutz auf die Straße gegangen sind, mutiger sein müssen?

Ein CO2-Preis von zehn Euro pro Tonne ist ein Witz, das ist eine homöopathische Dosis. Die Preise müssen steigen, aber sie müssen gerecht verteilt werden.

„Naturschutztag Schleswig-Holstein 2019 – Zukunft trotz Klimawandel?“: 24.10.19, ab 9 Uhr, Holstenhalle 5, Neumünster, Eintritt €35,-, Teilnehmer*innen bis 25 Jahre frei

Wie kann das gehen?

In der Schweiz wird die CO2-Steuer von allen gezahlt und am Jahresende wieder zurück verteilt. Wer mehr verbraucht als der Durchschnitt, zahlt drauf, wer darunter liegt, bekommt Geld zurück. Das ist eine Umverteilung von Reich zu Arm, und es erzeugt richtige Anreize, nämlich für weniger Verbrauch bei allen. Ob Steuer oder Zertifikat, dies ist das optimale Verteilsystem.

Aber das Ziel ist doch, dass der CO2-Verbrauch deutlich sinkt. Wenn das gut klappt, könnten etwa Pendler*innen, die erst unter dem Schnitt liegen, bald darüber sein?

Ja, das kann im Einzelfall ein Problem sein. Aber wir müssen auch Dinge in die Bilanz einbeziehen, die bisher kaum besteuert werden wie Fleisch und natürlich Flugbenzin. Wer sich hier nicht einschränkt, wird über dem Durchschnitt liegen.

Der Kern des Kapitalismus ist Wachstum, aber angesichts endlicher Ressourcen kann es doch nur um weniger Verbrauch gehen. Müssen wir das System kippen?

Hier in Kiel in der Forschungsgruppe versuchen wir, Alternativen zum Bruttosozialprodukt als Maßstab gesellschaftlichen Erfolgs zu finden. Statt mehr Waren könnte man mehr Freizeit konsumieren, mit Angeboten wie Sport oder Kunst, die keine Ressourcen verbrauchen. Gerade jetzt, in der Null-Zins-Phase, wäre es möglich, solche Modelle zu entwickeln.

Wie könnte das aussehen?

Im Moment setzen die Unternehmen auf Shareholder Value als einzige Größe, sie müssen und wollen wachsen. Aber parallel entwickeln sich Betriebe, die das Allgemeinwohl maximieren wollen und Wachstum nicht mit Geld gleichsetzen.

Auch Google ist mit dem Motto „Don’t be evil“ gestartet, heute zählt die Mutterfirma Alphabet mit Amazon und anderen zu den Weltgiganten, die mehr das Problem als die Lösung sind. Selbst wenn die Politik andere Modelle wollte, käme sie gegen diese Monster an?

Großunternehmen sind schwierig. Die Globalisierung wurde lange Zeit gefördert, aber die Digitalisierung hat die Spielregeln geändert, weil die Grenzen von Zeit und Raum wegfallen und Unternehmen weltweit Produktion und Gewinne so verteilen, wie es für sie am besten ist. Die Politik ist da größtenteils machtlos. Die Mindestforderung ist, die Besteuerung zu vereinheitlichen und sie zumindest mit heimischen Firmen gleichzustellen.

Wer heute wenig verbraucht, tut das meist nicht freiwillig. Um Armut in anderen Regionen der Welt zu mindern, müssten Sie und ich unseren Lebensstandard deutlich einschränken – können, wollen wir das?

Das ideale Konzept wäre, die CO2-Zertifikate weltweit zu verteilen. Dann würden die Ärmeren, deren Klima wir mit schädigen, immerhin eine Kompensation erhalten. Aber da schon die Verteilung des Geldes schwer sein dürfte, bleibt das eine Utopie.

Und nun?

Das Hauptziel der CO2-Bepreisung ist, Anreize für Forschung zu bieten. Wenn es gelingt, CO2-neutral zu produzieren, dann müssen wir keine Angst davor haben, dass andere Regionen wirtschaftlich aufsteigen. Die Idee eines Post-Wachstums halte ich für Quatsch. Aber es ist auch klar: Konsum muss weniger Ressourcen verbrauchen.

Sie schlagen vor, regionale Wirtschaftsbeziehungen zu stärken, weil Waren- und Geldverkehr ökologisch und sozial negative Folgen haben. Wie ließe sich das jenseits von Verboten denn durchsetzen?

Im Moment zahlen Firmen, die per Flieger oder Schiff Waren nach Deutschland bringen, nicht für die Umweltverschmutzung. Diese Dinge ließen sich teurer machen, hinzu kommen die sozialen Normen. Wo genau die Grenzen sind und welche Waren produziert werden, muss man testen. Schleswig-Holstein ist stark im Energiesektor. Vielleicht gibt es Wege, den Windstrom direkt zu verwenden, statt ihn in den Süden zu transportieren.

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