Rassismus und Klassismus: Eng verwandt

Linke denken Klassenverhältnisse nicht genügend mit. Denn Klassenausbeutung und Rassismus greifen ineinander und sind keine Gegensätze.

Ein Demanstarnt trägt eine Schutzbrille und einen Mund-Nasen-Schutz mit der Aufschrift "Black Lives Matter"

Rassismus ist historisch eng verwandt mit dem Klassismus Foto: Marcio Jose Sanchez/ap

Die amerikanische Linke konzentriere sich zu sehr auf Rassismus und zu wenig auf Klassenausbeutung. Das behauptete bei einem Treffen der einflussreichen New Yorker Abteilung der Democratic Socialists of America der afroamerikanische Politikwissenschaftler Adolph L. Reed. Damit provozierte er wütenden Widerspruch. Und er feuerte eine wichtige Debatte an, die derzeit in den USA geführt wird und die auch für Deutschland wichtig ist.

Alle Positionen innerhalb dieser Debatte nachzuzeichnen wäre zwar interessant, aber langwierig. Darum beschränke ich mich hier auf eine Einsicht, die sich mir beim Nachlesen aufgedrängt hat: Rassismus und Klassenverhältnisse waren schon immer miteinander verwoben. Sie sind „ineinandergreifende Systeme“, wie es die Literaturwissenschaftlerin und antirassistische Aktivistin Bell Hooks formuliert. Wie diese Systeme konkret im Alltag ineinandergreifen, zeigt Hooks teils autobiografisch in ihrem aktuell auf Deutsch erschienenen Buch „Die Bedeutung von Klasse“.

Rassismus ist historisch eng verwandt mit dem Klassismus, also der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft. Es ist bezeichnend, dass der Begriff „Rasse“ zu Beginn seiner Karriere nicht ethnisch, sondern ständisch definiert wurde. Schon 1438 beschrieb ein spanischer Priester Ritter und Bauern als verschiedene „Rassen“, deren Eigenschaften sich per Geburt vererbten. Ethnisiert und verwissenschaftlicht wurde der Rassismus erst im kolonialen 19. Jahrhundert. Mit ihm wurde die brutale Ausbeutung der Kolonien gerechtfertigt. Engländer, Franzosen und Deutsche begriffen sich unter anderem in Afrika als Teil einer modernen Aristokratie, die „den Wilden“ Zivilisation brächte.

Die Verwandtschaft von Rassismus und Klassismus zeigt sich deutlich bei dem rechten Autor Thilo Sarrazin. In seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ beschreibt er „die Unterschicht“ sowie „Türken und Araber“ mit fast identischen Begriffen. Beide seien faul und unproduktiv und nur gut im Kinderkriegen und im Sozialbetrug. Auch die Ergebnisse der aktuellen „Mitte-Studie“ belegen, dass die offene Abwertung von Langzeitarbeitslosen genauso weit verbreitet ist wie die von Asylbewerbern. Ein zentrales Argument von Reed ist, dass Armut der Faktor sei, der die Tötung von Schwarzen Menschen durch die amerikanische Polizei hauptsächlich erklärt, und nicht deren Hautfarbe.

Rassismus erzeugt Armut

Teilweise hat Reed recht: Die Wahrscheinlichkeit, in einer armen Nachbarschaft von der Polizei getötet zu werden, ist viermal so groß wie in wohlhabenden Nachbarschaften. Gleichzeitig ist Rassismus aber der Hauptgrund dafür, dass so viele Afroamerikaner*innen arm sind. Auch nach Beendigung der Sklaverei wurden Afroamerikaner*innen systematisch ausgebeutet und benachteiligt. Der Süden führte die „Black Codes“ ein, Gesetze, die verfügten, dass die meisten ehemaligen Sklaven sich nicht frei bewegen durften und so für ihre alten „Herren“ weiterschuften mussten. Sie wurden schlechter bezahlt und auf verschiedene Weisen wirtschaftlich ausgebeutet. Später kamen Gesetze dazu, die die „Rassen“trennung formaljuristisch regelten.

1964 und 1965 wurden durch den Druck der Bürgerrechtsbewegung die Bürgerrechte endlich auch für schwarze Menschen eingeführt. Aber auch danach wurden in Wirtschaftskrisen zuerst Afroamerikaner entlassen, und sie blieben länger arbeitslos. Der Versuch, sozial aufzusteigen, wurde ihnen außerdem durch eine rassistische Stadtpolitik erheblich erschwert. Heute ist die Arbeitslosenquote von Schwarzen doppelt so hoch wie die von Weißen. Sie wohnen in schlechteren Gegenden, gehen auf die schlechteren Schulen, können ihren Kindern vielfach nicht das gute College bezahlen, ohne dessen Besuch der ökonomische Aufstieg in den USA kaum möglich ist.

Rassismus erzeugt Armut. Armut bedeutet Mangel an Ressourcen, die falschen Kontakte und das falsche Wissen. Sie verursacht ­außerdem Stress, der es den Betroffenen ungleich schwerer macht, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen. Heute ist es, neben dem institutionalisierten Rassismus, ganz wesentlich auch der „normale“ neoliberale Kapitalismus, der es auch weißen Menschen aus der Unterschicht und unteren Mittelschicht enorm erschwert, ökonomisch aufzusteigen.

Entscheidend sind faire Löhne und Bildung

Auch in Deutschland greifen Klassenausbeutung und Rassismus ineinander. Menschen mit arabischen und türkischen Namen werden auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt diskriminiert. Dazu kommt aber eben auch Klassenbenachteiligung: Die türkischen Einwanderer der sechziger und siebziger Jahre – die sogenannten Gastarbeiter – beispielsweise waren großenteils Arbeiter und gering qualifizierte Menschen. Und Arbeiterkinder haben generell unter hohen Hürden und Mangel an Ressourcen für den sozialen Aufstieg zu leiden.

Die rassistische Klassenausbeutung ist überall sichtbar. In Deutschland sind 8 Millionen Menschen im Niedriglohnsektor gefangen. Das ist jeder vierte abhängig Beschäftigte. 40 Prozent dieser Jobs werden von Zuwanderern übernommen. Und das, obwohl sie häufig überqualifiziert sind. Innerhalb dieser Gruppe werden wiederum Flüchtlinge und Arbeitsmigranten aus Nicht-EU-Staaten besonders brutal ausgebeutet, wie an den Exzessen in der Fleischindustrie in den vergangenen Monaten deutlich wurde. Hungerlöhne und exzessive Arbeitszeiten, das Fehlen von Ruhetagen, mentaler und sexueller Missbrauch sowie die Beschneidung von Freiheitsrechten sind die Regel.

Reeds Behauptung, die Linke konzentriere sich zu sehr auf Rassismus, ist falsch, denn Rassismus ist sehr wirkmächtig. Womit er aber recht hat: Viele Linke denken Klassenverhältnisse nicht genügend mit. Rassismus und Klassenunterdrückung sind in der Tat ineinandergreifende Systeme. Polizeireformen sind wichtig für den Kampf gegen rassistische Diskriminierung. Entscheidend sind aber auch gute Löhne und ein faires Bildungssystem.

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Jahrgang 1973, hat einen Master in Sozialwissenschaften und arbeitet als freier Journalist und Autor in Berlin. Er hat früher unter anderem als Türsteher gearbeitet und an Kickboxwettkämpfen teilgenommen.

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