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Konflikt beim Kieler CSDPolizei provoziert Pride

In Kiel streitet man schon lange über die Teilnahme der LSBTIQ*-Ansprechstelle der Polizei beim CSD. Nun ist der Konflikt am Wochenende eskaliert.

Umstrittener Auftritt: Po­li­zis­t:in auf dem CSD Foto: Heiko Rebsch/dpa

Hamburg taz | Dürfen Po­li­zis­t:in­nen Teil des Christopher Street Days (CSD) sein? Darüber streitet man in Kiel schon lange, am vergangenen Samstag eskalierte der Konflikt beim CSD-Straßenfest. Nachdem Ak­ti­vis­t:in­nen der Queersolidaritygroup vor dem Stand der LSBTIQ*-Ansprechstelle der Polizei Schleswig-Holstein protestiert hatten, erteilten ihnen die Ver­an­stal­te­r:in­nen einen Platzverweis. Anschließend riefen sie die Polizei.

Denkt man an die Ursprünge des CSD, ist das allemal bemerkenswert: die Polizei schützt Polizist:innen, die sich gegen Queerfeindlichkeit einsetzen auf einer Veranstaltung, die an Polizeigewalt erinnert. Für die Ak­ti­vis­t:in­nen ist die Teilnahme der Polizei aber kein gesellschaftlicher Fortschritt, sondern pure Provokation: „Wir kritisieren, dass der CSD eine Werbebühne für die ­Polizei bietet“, sagt Lio Meyer von der Queersolidaritygroup. „Solange sie BIPoC oder migrantisierte Menschen verfolgt, ist das nicht okay.“

Fragt man Tim Jänke von der Ansprechstelle LSBTIQ* der Polizei Schleswig-Holstein, wie er zur der Kritik der Ak­ti­vis­t:in­nen steht, hört man vor allem eines: „Schade! Schade, dass wir mit unserem Engagement für die Community nicht alle abholen können.“ Die Beweggründe basieren häufig auf Negativbeispielen aus aller Welt oder aus längst vergangenen Tagen, sagt er. In Schleswig-Holstein sei eine Ansprechstelle mit zwölf Mitarbeitenden geschaffen worden, um von polizeilicher Seite gegen Queerfeindlichkeit vorzugehen: „Von der Community wird das Angebot wirklich gut angenommen und das Vertrauen in die Polizei steigt zunehmend.“

Schon 2022 gab es Protest

Nach den Konflikten um den CSD-Stand habe es immer wieder ­Gesprächsangebote gegeben. Hiervon sei gerade in Kiel auch Gebrauch gemacht worden. Mit dem Ergebnis, dass die verschiedenen Positionen hier noch nicht zusammenpassen und dies vermutlich noch etwas Zeit brauche, so Jänke. Die diesjährige Teilnahme beim Straßenfest sei ein erster guter Schritt.

Tatsächlich war der Stand der Ansprechstelle LSBTIQ* der Polizei schon im Vorfeld bei einigen Gruppierungen umstritten. 2022 war sie beim Kieler CSD-Straßenfest dabei. Und der Stand ist von Protestierenden blockiert worden, die sich davor versammelten und weitere Gespräche mit Teilnehmenden verhinderten. Mit dabei hatten sie Banner, auf denen unter dem Slogan „No Cops, no Corporations at Pride“ ein Polizeiauto mit der Aufschrift „ACAB“ brannte. 2023 war die Ansprechstelle daraufhin nur noch deutlich unauffälliger mit einem Auto beim Start und am Ende der Demo, 2024 hat sie die Teilnahme komplett abgesagt.

In diesem Jahr gab es auf Einladung des CSD Kiel wieder einen Stand der Ansprechstelle beim Straßenfest. Seitens des Orgateams sei bereits im Vorwege fest zugesichert worden, den Stand genauso vor Störaktionen zu schützen wie die der anderen Institutionen und Vereine.

Wort gegen Wort

Wobei schon durch einen Hinweis im Netz klar war, dass dieser Stand eben keiner wie alle anderen war. Dort hatten die Ver­an­stal­te­r:in­nen mit Verweis auf die Ansprechstelle geschrieben: „Uns ist bewusst, dass queere und BIPoC-Menschen immer wieder von Polizeigewalt betroffen sind oder negative Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben. Genau deshalb möchten wir transparent darüber informieren, wo sich die Vernetzungsstelle der Polizei auf dem CSD befindet. So können Menschen, die sich an diesem Ort unwohl fühlen – sei es aus eigener Betroffenheit oder aus politischen Gründen – diesen bewusst umgehen“.

Dass die Ver­an­stal­te­r:in­nen des CSD in diesem Jahr klarer hinter der ­Polizeiteilnahme stehen, ist Ergebnis eines längeren Prozesses. „Das war 2023 nicht so explizit“, sagt ­Carol Kleinke, Vorstandsmitglied beim Kieler CSD e.V. „Wir mussten lernen, wie wir mit persönlichen Angriffen umgehen.“ Denn die Kri­ti­ke­r:in­nen des Polizeistandes wären das ­Orgateam immer wieder angegangen. Ihnen sei vorgeworfen worden, „geschichtsvergessen“ zu sein, „unwürdig“, den CSD zu organisieren.

Hier steht, wie in vielem bei diesem Konflikt, Wort gegen Wort. Lio Meyer von der Ak­ti­vis­t:in­nen­grup­pe sagt, dass sie diese Zitate zum ersten Mal höre. Gerade durch das Erscheinen am Stand habe man versucht, die Diskussion konstruktiv zu führen. „Wir haben ihn nicht gestürmt, sondern uns daneben gestellt.“ Laut Kleinke waren die Ak­ti­vis­t:in­nen mit einem Megafon so laut, dass die Rede auf der Bühne nicht mehr zu verstehen gewesen sei. „Das war super respektlos und unsolidarisch.“ Als dann eine Frau aus dem Orgateam das Gespräch mit der Gruppe gesucht habe, sei sie weggeschlagen worden. „Damit war es für uns vorbei.“ Lio Meyer sagt dagegen, dass das Megafon akustisch nur wenige Meter weit getragen habe und dass „eher wir körperlich angegriffen wurden“.

CSD stellt sich hinter Polizei

Der CSD Kiel stellt sich im Nachhinein noch einmal mit einer Erklärung auf seiner Internetseite an die Seite der Ansprechstelle. Über die heißt es: „Die LSBTIQ*-Ansprechpersonen der Polizei Schleswig-Holstein ist eine Stelle, bei der queere Menschen eine vertrauensvolle Anlaufstelle finden können, wenn sie Hass, Gewalt oder Straftaten erleben.“ Für die Mehrheit der Besuchenden sei der Stand ein Gewinn gewesen: „Gut besucht, die bereitgestellten Materialien waren vollständig vergriffen, und viele Be­su­che­r:in­nen haben uns gegenüber positiv rückgemeldet, dass sie den direkten Kontakt zu den Ansprechpersonen sehr geschätzt haben.“

Für die Protestierenden ist all das kein Argument. Eine Polizei, die gegenüber weißen, queeren Menschen respektvoll sei, nicht aber gegenüber anderen Minderheiten, ist für sie kein Gegenüber. Fragt man, was der nächste Schritt sein könnte, um eines zu werden, sagt Lio Meyer: „Das könnte ich nicht formulieren.“

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