Kommentar neue CDU-Chefin: Merkels letzter Sieg
Die CDU will keine Neunzigerjahre in Aspik. Das hat sie mit der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer bewiesen. Doch durch die Partei geht ein Riss.
A m Ende hat die Vorstellung der Annegret Kramp-Karrenbauer gezündet. Ein bisschen wie ein Feuerwerkskörper, der am Neujahrstag in der Pfütze lag. Und dann ist die AKK-Rakete plötzlich doch in den Himmel geschossen.
In ihrer Vorstellungsrede auf dem CDU-Parteitag hat sie Punkt um Punkt gemacht, mitunter mit kleinteiliger, aber hochrelevanter Alltagspolitik: damit, dass Leute keinen Arzttermin bekommen, dass die Bahn unpünktlich fährt und die Polizei zu spät kommt. Sie hat die modernsten Schulen verlangt und schnelles Handynetz an jeder Milchkanne.
Während Merz ein altmodisches Politiker-Wir gebrauchte, sprach Kramp-Karrenbauer darüber, wer sie ist und was sie will. Der rechte Zeigefinger der Kandidatin stach dabei nach vorne. Und wenn die Delegierten während ihrer Vorstellungsrede klatschten, wartete sie den Ende des Applauses gar nicht erst ab.
Sie ist jetzt Vorsitzende der CDU, der immer noch mächtigsten Partei in der Europäischen Union. Friedrich Merz, der alte neue Kandidat, hat verloren. Ferner lief noch Gesundheitsminister Jens Spahn, dem seine unverdrossene Kandidatur jedoch zu einem späteren Zeitpunkt seiner ehrgeizigen Karriere helfen könnte.
Die CDU wollte einfach nicht zurück
Angela Merkel ist an diesem Freitag als Vorsitzende abgetreten. Aber zugleich bleibt die CDU Merkel-Partei. Nicht weil Kramp-Karrenbauer eine Miniatur der Kanzlerin wäre. Sie agiert schneller, manchmal emotionaler. Sie positioniert sich gesellschaftspolitisch viel konservativer und setzt innenpolitische Härte deutlich öfter ein als ihre Vorgängerin Merkel.
Dennoch zeigt diese Wahl, dass Merkel ihre Partei so stark geprägt hat, dass es Friedrich Merz, Wolfgang Schäuble und andere nicht vermochten, diese Entwicklung umzukehren. Die CDU wollte einfach nicht zurück. Das ist Merkels letzter Sieg.
Die Partei hat nun – nur ein gutes Drittel der Delegierten ist weiblich – zum zweiten Mal eine Frau als Vorsitzende. Das ist ein gutes Signal über die CDU hinaus. Sie hat durch diese Personalie auch befunden, dass zu einer komplizierten Welt kleine Schritte besser passen als die Ansagen eines großen Vorsitzenden namens Friedrich Merz.
Es wird immer wieder so getan, als hätte Angela Merkel die CDU gekidnappt. Als hätte die Chefin ihre Partei in die Mitte geschleift, zu Elterngeld, Homoehe, Frauen in Chefetagen. Diese Deutung ist falsch. Die CDU ist kein abgeschotteter Kosmos. Die Welt hat sich verändert, Deutschland hat sich verändert, die CDU hat sich verändert.
Der Riss geht mitten hindurch
Kreisvorsitzende, die das Studium ihrer Töchter bezahlt haben, möchten nicht, dass diese am Herd versauern. Und dass 2018 ist, konnte man am Freitag beim ökumenischen Gottesdienst vor dem Parteitag beobachten: Neben Merkel saßen Jens Spahn und sein Ehemann in der Kirchenbank von St. Michaelis. Vorn predigte eine Bischöfin.
Die CDU steht in der Zeit, wie Merkel das ausdrückt. Deshalb hat inzwischen auch ihre Nachfolgerin eingeräumt, dass Familien mit schwulen und lesbischen Eltern nicht ausgegrenzt werden sollten. Immerhin.
Eine Mehrheit der Delegierten wollte lieber keine neunziger Jahre in Aspik. Aber eben nur etwas mehr als die Hälfte. Der Riss geht mitten hindurch, zumal sich Friedrich Merz nicht als Vizevorsitzender einbinden lassen möchte. Kramp-Karrenbauer wird mit dem Frust der Konservativen in der CDU zu kämpfen haben, mit dem Wutbürgertum ihrer eigenen Partei.
Viele haben von einem Fest der Demokratie gesprochen, aber bei diesem Fest wurden Wunden geschlagen und blaue Flecken. Am Morgen danach werden sie schmerzen. Eine CDU, in der es rumort, ist leider gut für die AfD, die bei den Landtagswahlen 2019 gerade in Ostdeutschland stärkste Kraft werden möchte.
Von dem knappen Ergebnis in Hamburg geht eine Gefahr aus, die auch allen Sorgen bereiten muss, die die Inhalte der CDU grauenhaft finden: eine gespaltene Partei in einem gespaltenen Land in einer gespaltenen Welt.
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