piwik no script img

Kommentar Schulstreiks und die PolitikVerniedlichend und verlogen

Ingo Arzt
Kommentar von Ingo Arzt

Von Kanzlerin bis FDP-Chef – alle loben nun brav den Einsatz der Jugend für den Klimaschutz. Das ist heuchlerisch.

Ein sechsjähriger Demonstrant in Berlin Foto: dpa

A ngenommen, die Wissenschaft würde feststellen, dass in 20 Jahren ein Asteroid die Erde trifft. Er könnte Millionen Menschen töten, Küsten fluten, viele Arten an Land und im Meer ausrotten. Doch es gäbe einen Ausweg. Eine Weltraummission, 500 Milliarden Dollar teuer, sie könnte den Brocken um die Erde lenken. Die Staaten der Welt reagieren, einigen sich auf eine Finanzierung. Doch schon nach kurzer Zeit stocken die Zahlungen, die USA steigen ganz aus.

Die meisten resignieren, die Jugend aber rebelliert. Überall gehen sie freitags auf die Straße, weil sie sich fragen: Wozu die Schule besuchen, wenn man am Ende als Erwachsene so dumm wie ihr wird und den Planeten der eigenen Engstirnigkeit opfert?

Nun, Sie verstehen, worauf ich hinauswill. Wir leben in dieser Welt. Nur dass der Asteroid der Klimawandel ist. Seine Bahn ist berechnet, der Vertrag, ihn abzuwenden, ist geschlossen, wird aber unzureichend umgesetzt. Jeden Freitag gehen jetzt Schüler*innen auf die Straße.

Weil Klimaschutz in der Zeit seit dem Abkommen von Paris zu ersticken drohte: an alten Industrien, Fundamentalisten, denen die Lehre vom reinen Markt über alles geht, schlichten Dummköpfen, Profit, ewigen Kommissionen. Die Welt seit Paris schien zu komplex, um die Erderwärmung aufzuhalten. Die Schüler*innen wischen all das weg, verdichten die Geschichte zu einem einfachen: Es geht ums Überleben, ihr Idioten.

„Toll!“, „Großartig!“, „Unterstütze ich sehr!“

Die Erzählung ist deshalb so mächtig, weil sie jeder versteht. Weil sie die Welt in Gut und Böse einteilt: Wer gegen uns ist, der tötet unsere Zukunft. Wer gegen uns ist, der steht auf der Seite des Bösen. Deshalb auch die Anfeindungen gegen Greta Thunberg und andere im Netz. Wer will schon von einem Kind gesagt bekommen, dass er genau der unverantwortliche, selbstgerechte, arrogante Erwachsene geworden ist, der er nie werden wollte?

Die zweite vorhersehbare Reaktion auf die Proteste ist Verniedlichung. Ein rhetorisches Wangetätscheln für die naiven Jungspunde. „Toll“, sagt Christian Lindner. „Unterstütze ich sehr“, sagt Angela Merkel. „Großartig“, meint Katarina Barley. Garniert mit einer Debatte, ob man für den Klimaschutz denn nun Schule schwänzen dürfe.

Lindner und Kramp-Karrenbauer glauben mit ihrem Kurs die Stimmung der Post-Merkel-Ära zu treffen

Doch gerade das Lob aus Teilen der Union und der FDP ist heuchlerisch. Teile der Parteien lassen sich gerade in verschiedenen Härtegraden auf eine Erzählung ein, wonach Klimaschutz auf der einen Seite und Arbeitsplätze und Wohlstand auf der anderen Seite sich widersprechende Ziele seien, zwischen denen es einen Interessenausgleich geben müsse.

Besonders deutlich schrieb das Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Beitrag für die Welt am Sonntag. Ambitionierte Klimaziele würden nur dann auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stoßen, „wenn es uns gelingt, auch die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte so zu berücksichtigen, dass Beschäftigung und Wirtschaftskraft erhalten bleiben und neue Entwicklungschancen entstehen“, schrieb sie.

CDU-Chefin argumentiert ahistorisch

Das klingt neben dem kindischen Antiöko­populismus von FDP-Chef Christian Lindner geradezu staatstragend. Der faselte in der Bild erst davon, dass man die deutsche Autoindustrie zerstören wolle, und später in der BamS: „Wer den Menschen von Berlin-Mitte aus und mit dem erhobenen Zeigefinger Wohlstand, Mobilität und Fleisch verbieten will, wird den Druck der Straße zu spüren bekommen.“ Nun kann in Deutschland jeder in den nächsten Supermarkt gehen und in eine Wurst beißen. Lindner will den Applaus jener einheimsen, die sich durch die Schüler*innen ertappt fühlen und genervt sind von deren moralischen Appellen.

Lindner und Kramp-Karrenbauer glauben mit ihrem Kurs die Stimmung der Post-Merkel-Ära zu treffen: Endlich darf man wieder sagen, dass Klimaschutz ja wohl nicht alles ist, wir sind doch eh die Deppen, die immer vorpreschen, alles zahlen und überall hässliche Windräder aufstellen.

Und sie suchen ein Gegenmittel zum Höhenflug der Grünen: die alte Story von den Ökos, die erst Ruhe geben, wenn alle vegan leben und Rad fahren, aber arbeitslos sind.

Sie verkennen dabei, dass es beim Klimaschutz nicht um eine Güterabwägung oder Wertediskussion geht, um links gegen rechts, Wirtschaftsliberalismus gegen Staatsinterventionismus – sondern um einen naturwissenschaftlich begründeten Imperativ zum Handeln. Kramp-Karrenbauer argumentiert komplett ahistorisch: Die größte Gefahr für den Wohlstand war in den letzten beiden Dekaden ein dysfunktionales, globales Finanzsystem.

Die Politik kann umsetzen, was die SchülerInnen fordern

Zwar wird Klimaschutz in bestimmten Industrien Arbeitsplätze kosten. Die moderne Wirtschaftsgeschichte kennt aber nichts als permanente technische Neuerungen, die Jobs hier vernichten und dort schaffen. Das geschieht noch nicht einmal so chaotisch, wie die meisten denken. Das Auto hat sich durchgesetzt, weil Gesellschaften sich dafür entschieden, ihre Städte so umzubauen, dass man überall tanken, parken und fahren kann. Fleisch ist so billig, weil Politik gezielt landwirtschaftliche Großbetriebe fördert.

Damit sind wir beim Kern der Proteste der Schüler*innen. Politik kann, was sie fordern. Es steht uns doch ohnehin, wie seit Beginn der Industrialisierung immer, ein gewaltiger Strukturwandel bevor. Durch Digitalisierung, künstliche Intelligenz und wer weiß was sonst noch. Politik kann auch im Rahmen einer freien, liberalen Wirtschaftsordnung einen stahlharten Rahmen setzen für eine Wirtschaft, die Klima nicht mehr vernichtet.

Nun liefern Union und FDP ohne Not einen Schuldigen für mögliche Arbeitsplatzverluste in den nächsten Dekaden: der Klimaschutz, der ja immer nur koste, koste, koste. Der Klimawandel ist die größte Gefahr für Frieden und Wohlstand, und Union und FDP schaffen es, den KAMPF dagegen als Gefahr zu identifizieren. Da sind eben echte Profis am Werk.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Danke für den Super Kommentar. Da wird auch wieder deutlich wie die Klimaschutzbremser plötzlich soziale Härten entdecken oder das Gängeln der Ottonormalverbraucher kritisieren - als ob das nicht aus anderen Gründen längst Realität wäre. Werden Hartz IV Bezieher vom Klimaschutz gegängelt? Sind Mietenexplosionen und Zwangsräumungen - das ist kein Gängeln mehr, sondern Grundgesetzwidriger Entzug des Wohnraums - vom Klimaschutz verursacht? Ganz lahme Propaganda zu verbreiten, dass die ohnehin schon (durch all die ökonomisch und sozialen Verwerfungen) vielfach gegängelte Mehrheit der Bevölkerung nun nicht auch noch das tägliche Antibiotikaverseuchte Billigschnitzel (das sich jeder leisten kann) und der Verbrennungsmotor (wird mit CO2 Steuer zu teuer für die "Armen") der 23 Stunden vor der Tür herumgammeln um dann eine Stunde im Stau zu stehen vergällt werden darf. Beides wurde schließlich erfolgreich mal als demokratische mal als kapitalistische Errungenschaft von ultimativer Freiheit verkauft.

  • Vor der eigenen Türe kehren ist auch viel unangenehmer als ‚jemanden machen zu lassen‘. Solange ein ‚Lindner‘ seinen bekennned geliebten Porsche weiterhin überall fahren und abstellen darf, solange Sprit im Überfluss und (für die Leistungsgesellschaft) finanzierbar ist, gibt es nur sehr wenig Grund etwas am Staus quo zu ändern.



    Damit sind alle SUV fahrenden oder Automobil vernarrten Menschen gleichermaßen gemeint, völlig egal welche Schicht.



    Es ist zu spät für einen ‚bequemen‘ Wandel. Andere (Politik, Wirtschaft, etc.) machen zu lassen wird nicht des Rätsels Lösung sein. Davon abgesehen ist es nicht vermessen von einem jeden Menschen eine kleine Veränderung einzufordern anstatt die große Revolution von den Konzernen / Politik?



    Ohne Zwang, nur noch 1x pro Woche Fleisch essen, das Auto 2 von 3 mal bei bequemlichkeits Fahrten stehen lassen. Es gibt viele Stellschrauben die alle ein Teil der Lösung wären - je weniger man sie bedient desto eher werden sie schwergängig / der Mensch schwerfällig sich zu ändern.

  • So ein Asteroid wäre viel praktischer. Wir würden uns zurücklehnen - unsere Jungs im All, die machen das schon - und Alles ginge weiter wie immer. Aber dieser Scheiß-Klimawandel, der lässt sich einfach nicht abschießen, der erfordert Veränderungen - von UNS.



    Kommt gar nicht in Frage.

  • 9G
    93350 (Profil gelöscht)

    Großartiger Beitrag - Danke für die deutlichen und trefflichen Worte!

    • @93350 (Profil gelöscht):

      In der Tat! Großartig! Deshalb lese ich überhaupt noch die taz. Ab und an bringt sie doch tatsächlich noch 'nen richtigen Kracher, den man woanders nicht lesen könnte. Ein großes Dankeschön an den Redakteur!

  • "Ein sechsjähriger Demonstrant in Berlin"?



    Ich bin dafür ein Mindestalter von 14 Jahren zur Erlaubnis zur Teilnahme an Demonstrationen einführen.



    Man sollte zumindest seine Protestplakate selber schreiben können.

    • @Suchender:

      weiss jetzt nicht, wo der witz oder was der punkt sein soll, aber just fyi:



      sechsjaehrige koennen schon schreiben, lernt man in der ersten klasse.

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Ein hinreissender Kommentar. Aber einmal ehrlich: Was für Aussagen zu diesem Protestverhalten, welches ich persönlich, regelmäßig so schön kurz vorm Schulwochenende gestartet, immer mit etwas „Geschmäckle“ verbinde, erwarten Sie denn als kompetenter TAZ-Redakteur? Das sich die Politik- und -vielleicht- die Interlektuellenelite von diesen Demos distanziert? Das wäre ja praktisch die öffentliche Selbstmontage. Nee - die finden das alles supertoll und versuchen, die wesentlichen Komponenten für sich zu instrumentalisieren. Wie immer, wenn Proteststrukturen in Sichten des Klassensystems passen und schnell eingebaut werden können.



    Davor, vor der multipolitischen Vereinnahmung müssen Sie im Kommentar warnen. Vor dem „endlich geht‘s los“, vor dem „auf das Startsignal etwas zu tun“, auf das die politisch Verantwortlichen seit Jahren zu warten scheinen.



    Mit Verständnis und Zugewandtheit geben wir denen, die Jahrzehnte nichts gemacht haben, die Entschuldigung für deren Versagen geradezu gratis in die Hand. Das will ich auf keinen Fall. Also - TAZ: Kritisch links, genaue Analyse, sich nicht übertölpeln lassen und schnell weg vom Berliner Politikmainstream!

  • Alles richtig und korrekt. 100 % Zustimmung, dennoch etwas Wasser in den Wein:



    Ich sehe das Problem, dass inhaltlich richtige Kampagnen von den Falschen instrumentalisiert werden. Egal ob bei Demos für offene Gesellschaften plötzlich Gewerkschafts- oder LInke Fahnen auftauchen oder eben hier bei Schüler Protestem Plakate von Kleinkindern getragen, die die Eltern geschrieben haben.

    Derlei unklare Botschafter führen zu unklaren Adressaten und zu Unwohlgefühl und Widerständen bei denen die eigentlich thematisch dabei wären. Lasst den Schülern den Protest und dann wirkt das auch, zumindest deutlich besser als wenn das dann folkloristisch wird.

  • Verlogenheit ist ein Symptom der Zeit.

    Im Hambacher Forst wurden offenbar vor wenigen Tagen trotz Verbot 50 (!) Bäume gefällt ... und keiner will es gewesen sein.

    • @TazTiz:

      Mit ein Grund fürs Klima auf die Straße zu gehen.



      Aber nein, es war ja ein junges Mädchen, die das angezettelt hat, dann kann das nicht stimmen.

  • Nicht mehr lange und z.B. VW und andere Autohersteller werden die Demos sponsoren, um die neuen E-Autos zu bewerben ...