Kommentar SPD und die K-Frage: Über echte Alternativen nachdenken
Gabriel ist nicht das Problem, sondern nur ein Ausdruck der SPD-Misere. Die Basis sollte die Chance einer Richtungsentscheidung bekommen.
W er sich das mediale Trommelfeuer anschaut, das Sigmar Gabriel seit Wochen und Monaten über sich ergehen lassen muss, der könnte fast Mitleid mit ihm bekommen. Bis hin zu lancierten Rücktrittsgerüchten wird nichts ausgelassen, um den SPD-Parteichef mürbe zu machen.
Dazu gehören auch die permanenten wie nichtsnutzigen Diskussionen, wer sich besser als Kanzlerkandidat eignen würde – von Frank-Walter Steinmeier bis Martin Schulz. Gerade erst hat Olaf Scholz dankend abgewunken. Dabei wäre keiner der Genannten in der Lage, die SPD aus dem 20-Prozent-Keller zu führen. Denn Gabriel ist nicht das Problem, sondern nur Ausdruck der sozialdemokratischen Misere.
Wer sich der Krise der Partei nähern will, der sollte sich seine Rede auf der kürzlich abgehaltenen SPD-Gerechtigkeitskonferenz zu Gemüte führen. Ganz zutreffend konstatierte er, die Sozialdemokratie sei immer dann erfolgreich gewesen, wenn sie Solidarität und Emanzipation zusammengebracht habe, also die Verantwortung füreinander mit dem Wunsch nach Veränderung der bestehenden Verhältnisse. Und Gabriel fragte seine Genossen, „ob wir den Gerechtigkeitshunger unserer Zeit noch begreifen“.
Eine starke Rede – mit einer entscheidenden Schwäche: Es fehlen die notwendigen Schlussfolgerungen. Die soziale Ungleichheit in Deutschland wird immer größer, aber die Führung der SPD ist weiterhin nicht bereit oder wagt es schlichtweg nicht, dagegen anzukämpfen. Das ist ihr Problem.
In der K-Frage plädiert Gabriel nun für einen Konkurrenzkampf, der per Mitgliedervotum entschieden werden soll. Eine gute Idee – unter einer Bedingung: dass Kandidaten gegeneinander antreten, die für unterschiedliche Positionen stehen.
Die Parteibasis muss eine Richtungsentscheidung treffen können. Das wäre nur möglich, wenn der Horizont über die derzeitige Parteispitze hinaus erweitert würde. Wer nach einer progressiven Alternative sucht: Gesine Schwan ist übrigens erst 72 Jahre alt, also immerhin noch zwei Jahre jünger als Bernie Sanders.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau