Kommentar Rassismus nach Köln: Die Erfindung des Nordafrikaners
Es wird in Deutschland dieser Tage viel über den „Nordafrikaner” debattiert. Statt den Rassismus zu benennen, machen die Medien mit.
S ie sind brutal. Sie verachten und schänden Frauen. Sie sind arm. Sie bilden kriminelle Banden. Sie klauen. Sie gehören nicht nach Europa. Frei wird in den vergangenen Wochen über eine heterogene Bevölkerungsgruppe daherfantasiert, sie wird abgewertet und Pläne werden geschmiedet, sie irgendwie fortzuschaffen. Über sie darf jeder schreiben, was ihm so einfällt. Sie, das sind die „Nordafrikaner”.
Als Menschentyp sind sie seit Silvester neu erfunden worden, weil die Opfer der zahlreichen Übergriffe in Köln die Täter als „nordafrikanisch” oder „arabisch” aussehend beschrieben. Als die Polizei dies der Öffentlichkeit mitteilte, verzichtete sie darauf, zu erklären, was genau damit gemeint ist – aber irgendwie wussten alle schon Bescheid. Zwei Wochen später können sich alle, die für Polizisten „nordafrikanisch” aussehen, darauf gefasst machen, nach ihren Ausweispapieren gefragt zu werden.
„Nordafrikanisch aussehende” Männer haben Frauen begrapscht, wahrscheinlich sogar vergewaltigt. Schon in den ersten Tagen nach Bekanntwerden der Taten war für viele klar: Kriminelle Ausländer müssen raus, keine Flüchtlinge dürfen mehr rein, und schuld an allem ist der Islam. Wer „nordafrikanisch” aussieht und Frauen belästigt, hat sein „Gastrecht” verwirkt – schließlich ist es absolut ausgeschlossen, dass man „nordafrikanisch” aussehen und „Hausrecht” haben könnte, was immer das implizieren würde.
Der „Nordafrikaner”, der eigentlich nur „nordafrikanisch” aussieht, ist zugleich auch Ausländer, Muslim und Flüchtling. Es wird wild herumtheoretisiert, ob die Taten, für die es bislang nur Verdächtige gibt, etwas mit der Religion zu tun haben könnten – auch wenn noch nicht klar ist, ob und an was sie überhaupt glauben. Politiker überbieten sich mit Bestrafungs- und Ausgrenzungsfantasien, Minister einigen sich, die Regeln für Ausweisungen zu verschärfen, Nazis machen Jagd auf „Kanaken“ und Flüchtlinge entschuldigen sich für Taten, mit denen sie nicht das Geringste zu tun haben.
Das Denken sortieren
Und die Medien sind zur Stelle. Statt die rassistische Gleichsetzung von Aussehen, Nationalität und Religionszugehörigkeit in Frage zu stellen, bieten sie hilfreich Informationen zum Ausweisungsrecht, sinnieren darüber, ob Ausländer mehr Strafe verdienen oder ob es doch vielleicht ein paar Flüchtlinge zu viele waren. Die Araber und Halbaraber der Redaktionen werden vorgeschickt, um leicht ironisch über orientalistische Vorurteile zu philosophieren. Wer mal einen Nordafrikaner getroffen hat oder in die arabische Welt gereist ist, darf auch mal ran. Wer Urlaub auf Djerba gemacht hat, ist da schon Experte.
Deutschland suhlt sich in lange überwunden geglaubten Reflexen. Aber es gäbe da noch eine andere deutsche Tradition zum Anknüpfen: das Denken sortieren, die Realität mit sauberen Kategorien analysieren, präzise schreiben und sprechen.
Man kann „nordafrikanisch” aussehen und deutscher Bürger sein. Man kann „nordafrikanisch” aussehen, Ausländer sein und dennoch nichts anderes kennen als Deutschland, weil die Kinder von Ausländern in Deutschland bis vor Kurzem nicht so einfach Deutsche werden konnten. Man kann „nordafrikanisch” aussehen und regulär immigriert sein. Man kann „nordafrikanisch” aussehen und irregulär in Deutschland sein. Und schließlich kann man auch „nordafrikanisch” aussehen und Flüchtling sein.
All diese Möglichkeiten wären egal, wenn es wirklich nur um die Ermittlung von Tätern und den Schutz von Frauen ginge – denn all diesen Personen droht Strafe, wenn ihnen sexuelle Übergriffe nachgewiesen würden. Beziehungsweise – und das wäre der eigentliche Punkt, der zu diskutieren wäre – würden alle diese Personen nicht bestraft werden, weil das deutsche Strafrecht sehr milde mit Grapschern umgeht. Egal. Wie. Sie. Aussehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden