Kommentar Müller und Holm: Vertane Chance

Hat Berlins Regierender seine eigene Partei nicht im Griff? Zwingt er die Linke, Holm abzuservieren? Rot-Rot-Grün steht vor einem Scherbenhaufen.

Ein Mann stützt sich auf seine Faust

Wollte nicht die Entscheidung der Humboldt Universität abwarten: Michael Müller Foto: dpa

Muss ein damals 19-jähriger sein Leben lang dafür büßen, dass er 1989 eine Stasi-Laufbahn einschlagen wollte, dabei aber, nach allem, was man weiß, niemanden bespitzelt hat? Hat so eine Person für immer das Recht verwirkt, ein hohes politisches Amt zu bekleiden? Immer öfter war in den vergangenen Wochen in Berlin auf diese Frage ein „Nein“ zu vernehmen. Wenn man so will, ist diese intensive und individuelle Auseinandersetzung um Schuld und Verantwortung auch ein stückweit der Verdienst von Andrej Holm.

Genutzt hat es ihm nicht. Nicht seine Stasi-Tätigkeit wurde Holm zum Verhängnis, sondern sein Umgang damit. Unabhängig davon, ob er es nicht mehr wusste oder ob er geschwindelt, gar gelogen hat: Dass Holm bei seiner Anstellung 2005 in einem Fragebogen der Humboldt-Uni verneinte, als hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi beschäftigt gewesen zu sein, hat sein Verfehlen von damals überlagert. Und da sind wir bei den Spielregeln des politischen Betriebs.

Was wäre eigentlich gewesen, wenn Holm gesagt hätte: Ja, ich habe geschwindelt, weil ich den Job haben wollte? Ich habe deshalb geschwindelt, weil es nur die Möglichkeit gab, „ja“ oder „nein“ anzukreuzen und eine Einzelfallprüfung demnach nicht vorgesehen war? Nicht nur die Humboldt-Uni hätte in diesem Fall erklären müssen, warum 1970 Geborenen 2005 immer noch solche Fragebögen vorgelegt worden waren. Auch die Politik hätte entscheiden müssen: Ist Ehrlichkeit ein Wert an sich? Oder ist der besser beraten, der sich ein weiteres Mal durchschummeln will?

Sowohl Andrej Holm als auch der rot-rot-grüne Senat haben diese Chance vertan. Holm versuchte, irgendwie durchzukommen, die Opposition freute sich über ein gefundenes Fressen und die Anhänger des Gentrifizierungskritikers Holm taten ein Übriges. Indem sie Tausende von Unterschriften sammelten und eine Kampagne gegen einen linken Baupolitiker vermuteten, legten sie die Latte für den Baustaatsekretär Holm so hoch, dass er sie niemals mehr hätte nehmen können.

Es spricht deshalb sicher einiges dafür, dass Holm, hätte er im Amt bleiben können, nicht die politische Kraft gehabt hätte, dieses so auszufüllen, wie es die Linke, und wohl auch er, selbst erhofft hatten.

Dass nun der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) der linken Stadtentwicklungssenatorin die Pistole auf die Brust setzt und nicht einmal mehr die Erklärung der Humboldt-Universität abgewartet hat, ob sich Holm 2005 eines arbeitsrechtlichen Vergehens schuldig gemacht hat, ist ein ziemlich durchsichtiges Manöver. Gerade erst hat der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh im Berliner Parlament eine Brandrede gegen den eigenen Regierungschef gehalten. Weil Müller seine eigene Partei nicht im Griff hat, zwingt er die Linke, Holm vor Mittwoch über die Klinge springen zu lassen. Die Grünen reiben sich derweil freudig die Hände.

Eigentlich ist Rot-Rot-Grün in Berlin angetreten, nicht nur in die Stadt, sondern auch in die politische Kultur zu investieren. Und steht nun schon sechs Wochen nach dem Start vor einem Scherbenhaufen.

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Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.

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