Kommentar Lage in Libyen: Europa hat eine Mitschuld

In Libyen sterben mindestens 40 Flüchtende durch einen Luftangriff. Die EU ist für die verheerende Lage in dem Bürgerkriegsland mitverantwortlich.

Menschen laufen über Trümmer nach einem Luftangriff auf ein Internierungslager im libyschen Tajoura

Wer ist schuld am Luftangriff auf das Internierungslager Tadschura in Libyen? Foto: Reuters/Ismail Zitouny

Wer ist schuld am Tod von mindestens 40 afrikanischen Flüchtlingen, die im Internierungslager Tadschura in Libyen mit Bomben attackiert wurden?

Der unmittelbare Täter ist General Chalifa Haftar. Der Warlord im Osten des Landes, dessen Luftwaffe das Lager bombardiert hat im seit drei Monaten andauernden Versuch, Tripolis zu erobern. Er muss sich jetzt erneut den Vorwurf gefallen lassen, ein Kriegsverbrechen begangen zu haben.

Oder sind Haftars Gegner schuld? Das Internierungslager für Flüchtlinge liegt direkt neben einem Stützpunkt jener Milizen, die mit der international anerkannten Regierung in Tripolis verbündet sind. Es wird von ihnen bewacht und verwaltet – sie mussten also zumindest damit rechnen, dass das Lager und die dort Eingesperrten leicht zum Kollateralschaden werden oder als Schutzschild missbraucht werden konnten.

Und trifft nicht auch die Europäer eine Mitschuld? Für sie tauchen die in Libyen eingesperrten Flüchtlinge nur in dem Kalkül auf, die Mittelmeer-Route möglichst unpassierbar zu machen. Die von der EU unterstützte libysche Küstenwache ist Teil der europäischen Politik, den Außengrenzschutz nach Nordafrika auszulagern. Sie sammelt die Flüchtlinge auf hoher See ein und bringt sie in die Lager. In Kombination mit der Kriminalisierung von NGO-Rettungsschiffen ist das ein eindeutiger Beitrag zur Verschlechterung der Lage in den überfüllten Lagern.

Da sich die meisten Lager in der Umgebung des umkämpften Tripolis befinden, leben die dort internierten Flüchtlinge nun auch noch zusätzlich in der Gefahr, Opfer des innerlibyschen Konflikts zu werden. Schutz können die Menschen weder von den libyschen Kriegsparteien noch von Europa erwarten, das die Praxis des Abfangens der Flüchtlinge unterstützt und bei deren Wegsperren wegschaut. Und das, obwohl der blutige Luftangriff der letzten Nacht deutlich zeigt, wie real die Gefahr für die vom Mittelmeer zurückgeschickten Menschen in Libyen ist.

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Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

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