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Kommentar Kurdisch-syrische AllianzenPutin nutzt die Gunst der Stunde

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Trump hat Syriens Kurden verraten. Diese kooperieren in ihrer Not mit Russland. Das verhindert zwar einen Krieg, erfordert aber bittere Zugeständnisse.

Mal wieder allein auf weiter Flur: die Kurden, hier die Kämpfer der YPG Foto: ap

N och bevor der angekündigte Rückzug der US-Soldaten aus Syrien überhaupt richtig begonnen hat, zeigen sich bereits die Folgen. Nicht die Türkei, sondern der russische Präsident Wladimir Putin nutzt die Gunst der Stunde, um das syrische Kriegsgebiet in seinem Sinne neu zu ordnen.

Der Schlüssel dazu sind die syrischen Kurden. Politisch dominiert werden die kurdischen Gebiete in Syrien von der DYP, einer säkularen, eigentlich linken Organisation, die sich in ihren politischen Vorstellungen eng an den Gründer der verbotenen und in der Türkei als terroristisch eingestuften kurdisch-türkischen PKK, Abdullah Öcalan, anlehnt.

Dennoch haben die DYP und ihr militärischer Flügel, die YPG, gegen die Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) militärisch eng mit den USA kooperiert. Die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, das amerikanische Engagement in Syrien von Knall auf Fall zu beenden, haben viele Kurden als Verrat empfunden.

Schneller als von den meisten Beobachtern vermutet, haben die Kurden Konsequenzen gezogen. Sie setzen nicht mehr auf den Westen, sondern bieten Putin ihre Zusammenarbeit an, die dieser dankbar annimmt. Für russischen Schutz gegen einen türkischen Einmarsch in ihr Gebiet müssen sie die Rückkehr der Assad-Truppen akzeptieren, was wohl zu erheblichen Einbußen bei der kurdischen Selbstverwaltung führen wird.

Auch türkische Regierung dürfte nicht zufrieden sein

Zwar verhindert Putin damit einen türkisch-kurdischen Krieg in Nordsyrien, aber die Kurden werden im Gegenzug große Zugeständnisse machen müssen. Ihr Traum von einem autonomen Gebiet, wie es die Kurden im Nord­irak genießen, geschweige denn von einem eigenen kurdischen Staat dürfte für lange Zeit ausgeträumt sein.

Letztlich werden mit der Rückkehr der Assad-Diktatur aber weder die Kurden noch die türkische Regierung zufrieden sein. Wie schon das türkisch-irakische Grenzgebiet wird auch das türkisch-syrische Grenzgebiet so lange keinen Frieden finden, bis es nicht eine politische Lösung für die Kurden in der gesamten Region gibt.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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26 Kommentare

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  • Es wäre Ihnen also lieber, wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Gottschlich, wenn die Amerikaner weiterhin völkerrechtswidrig in Syiren blieben ? Habe ich das so richtig verstanden ?

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Verkürzungen tragen die Gefahr in sich, dass sie leicht missverstanden werden.

    Ich gehe mal davon aus, dass Sie sich nicht dem Duktus der in Ihrer Aufzählung genannten Staaten anschließen wollen und in der PKK eine "terroristische Organisation" sehen?

    Dass diese Staaten dann nicht die kleinsten Probleme haben, wenn Terroristische STAATEN den eigenen Machtpolitischen Interessen zugute kommen, wissen wir wohl?

  • Nicht nur die Türkei stuft die PKK als terroristische Organisation ein, die EU und die USA halten auch immer noch an dieser Einstufung fest. Russland allerdings nicht!

  • Wer sagt denn, dass es nicht eine gewisse autonome Verwaltung der kurdischen Gebiete geben wird?



    Die Bedingungen der Zusammenarbeit sind ja nicht offengelegt, oder?

  • "Putin nutzt die Gunst der Stunde"



    Das ist natürlich Unsinn. Tatsächlich nutzen die Kurden die Gunst der Stunde. Da es durchaus üblich ist, dass die USA ihre Verbündeten verraten, waren die Kurden offensichtlich darauf vorbereitet und konnten so über Nacht eine zuverlässigere Verbindung wählen.

    • 9G
      96173 (Profil gelöscht)
      @luetzowplatz:

      ..genial

  • Die IS ist Geschichte. Mission acomplished. Syrien ist wieder das, was es schon früher war: eine geopolitische Interessenspäre Russlands und das Gruselkabinett Assads

    • @Rudolf Fissner:

      Irrtum. Vor dem Abenteuer mit tödlichem Ausgang für Hunderttausende hatte Russland in Syrien nichts zu melden. Jetzt diktiert es das Geschehen. Klasse gemacht, Obama!

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Man sollte die Ukraine in die Nato aufnehmen.

        • @Rudolf Fissner:

          LOL. Die Ukraine passt auf jeden Fall gut rein.

        • @Rudolf Fissner:

          Weil sie im nahen Osten liegt oder weil es in der NATO noch nicht genug Korruption und Wahnsinn gibt?

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ohne großes Erstaunen nehme ich das bisherige Schweigen der üblichen Schwarz-Weiß-Maler zu Kenntnis.

    Dass die selbsternannten Weltpolizisten und Wahrer des Guten und Edlen in der Welt die bis dato unterstützten Kurden ihrem Schicksal überlassen, sagt fast alles.

    Ansonsten gilt, was @AGE KRÜGER bereits schrieb: Nicht Genaues weiß man nicht.

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      "Ohne großes Erstaunen nehme ich das bisherige Schweigen der üblichen Schwarz-Weiß-Maler zu Kenntnis."

      Was soll mensch auch sagen. Der Diktator darf in seinem Schlachthaus weiter herrschen. Der traurige Clown machts möglich. Eine Tragödie, die sprachlos macht. Traurig, dass sich hier manche offenbar daran laben.

      Wir werden sehen, was aus Rojava wird. Hoffen wir das Beste (Autonomie)!

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @74450 (Profil gelöscht):

        Das Problem bei Andeutungen und Umschreibungen: es besteht oft die Gefahr, miss- oder unverstanden zu werden.

        Dass der Diktator in seinem Schlachthaus herrschen darf, hat nicht zuletzt etwas mit dem Versagen der uneinigen Staaten des Westens zu tun. Aktuell Trump, aber auch EU.

        Auf die Ebene der Machtpolitik mag ich mich als Sozialromantiker nun wahrlich nicht begeben.

        Die Traurigkéit teile ich mit Ihnen, die Hoffnung für die Kurden bewahre ich mir solange es geht.

        • 7G
          74450 (Profil gelöscht)
          @76530 (Profil gelöscht):

          "Dass der Diktator in seinem Schlachthaus herrschen darf, hat nicht zuletzt etwas mit dem Versagen der uneinigen Staaten des Westens zu tun. Aktuell Trump, aber auch EU."

          Das würde ich so zwar nicht sagen. Einigen wir uns aber darauf, dass der Schlächter von Damaskus mit seiner perfiden Strategie erfolgreich war. Er ist ein Meister seines skrupelosen Fachs. Das bedauern wir wahrscheinlich beide.

  • Die großen Alternativen zu Assad/Putin haben die Kurden nicht. Deshalb ist mit der gezwungenermaßen schnelle Bitte an Assad, kurdisch besetzte Gebiete zu übernehmen, sicher keine dauerhafte Teilautonomie begründet worden.

    Assad hat den Anspruch, alleine in ganz Syrien zu regieren. Das wird er durchsetzen.

    Immerhin ist ein weiteres Kriegsgeschehen vorerst verhindert, zumindest in Syrien.

  • Ein guter Artikel.

    Mal schauen wie die Saudis auf Syrien reagieren.

    Die Türkei hat ja versucht über den Mord an dem Reporter an die Saudis zu kommen.

    Fraglich ist ob, vielleicht Trump einen Deal mit Putin hat und die Türkei ins leere laufen lässt.

    Es wäre interessant zu sehen wie sich die Türkei bis zum nächsten Mal bzgl. des Waffendeals zwischen Russland und den USA entscheidet.

    Das Jahr 2019 wird interessant und aus Afrin haben die Kurden gelernt.

    • @Azad:

      "Es wäre interessant zu sehen wie sich die Türkei bis zum nächsten Mal bzgl. des Waffendeals zwischen Russland und den USA entscheidet."

      Erdogan wird versuchen, von beiden Seiten zu kaufen. Das macht ihn weniger abhängig und er hat mehr Handlungsfreiheit.

  • Trumps Amerika ist --- so wie Amerika immer war, nur was früher der Geheimdienst getan hat, macht Trump offiziell ohne Rücksicht auf "Verbündete". Es galt schon immer Amerika first, gehandelt wurde mit jeden Verbrecher, wenn Amerika Geld verdienen konnte, wurde dies getan ohne Rücksicht. Wer nicht nach den Regeln spielte, wurde durch die amerikanische Armee dazu gebracht, sich den amerikanischen Regel zu beugen. Nur wie gesagt, durch Trump gibt es jetzt keine Heimlichtuerei, sondern alle können das amerikanische System nachvollziehen und verstehen. Das ist für viele amerikanische Politiker das schlimmste an Trump.

  • NATO Mitglied Türkei sollte dem NATO Mitglied USA im Nordirak folgen. Die USA kooperierten mit den Kurden, die wirkungsvoll gegen den IS kämpften. Und die Türkei beabsichtigte, mit Panzern die Kurden nieder zu machen. Wenn es so ist, wie in einigen Medien zu lesen ist, dass Putin den Diktator Assad dazu gebracht hat, den Kurden eine begrenzte Autonomie zu gewährleisten und sie vor türkischen Mordkommandos geschützt werden, dann wäre das im Sinne kurdischer Menschenleben ein Erfolg, der für den Westen ziemlich uninteressant zu sein scheint.

    • @Rolf B.:

      Mir fehlen auch immer noch Informationen, um das endgültig beurteilen zu können.



      Allen Berichten nach haben sich die Kurden ja dafür entschieden, lieber Assad als mit Erdoğan zusammenzuarbeiten. Dazu würde ich gerne mehr wissen, wieso. Wenn tatsächlich eine begrenzte Autonomie dabei eine Rolle spielt, kann man Putin nur loben in diesem Fall und das Verhalten des Westens verurteilen.

      • @Age Krüger:

        Ich verstehe Sie nicht. Als Pazifist sind Sie doch generell gegen ein militärisches Eingreifen des Westens.

        Warum sollte dieser, bzw. die USA, durch einen militärischen Rückzug dann versagt haben?

        • @Rudolf Fissner:

          Sie haben mal wieder was falsch verstanden. Ich kritisiere nicht den Rückzug der US-Streitkräfte. Der ist sogar lobenswert.

          Zu kritisieren ist die Gruppe der Staaten (zugegebenermaßen verkürzt in meinem Kommentar als "Westen" bezeichnet), die seit Jahren mit der Türkei zusammenarbeitet, obwohl sie schwerste Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Kurden begeht. So pazifistisch bin ich nicht, dass ich militärisches Eingreifen in bestimmten Situationen immer ablehnen würde. Ob der Angriff der Türkei auf die Kurden ausreicht, um selber als Staat aktiv zu werden, bezweifel ich auch. Ich habe aber Verständnis für die Kurden, die sich in Notwehr wehren. Und hier sehe ich das Versagen, wenn Staaten wie die BRD Erdoğan noch Mio in den Arsch schieben, um ihre verfehlte Politik in Migrationsfragen zu verbessern anstatt mit allen möglichen friedlichen Mitteln zuerst die Türkei zur Umkehr von ihrer Politik zu überzeugen.

      • @Age Krüger:

        "Allen Berichten nach haben sich die Kurden ja dafür entschieden, lieber Assad als mit Erdoğan zusammenzuarbeiten."

        Erdoğan will nicht mit den Kurden zusammenarbeiten; im Gegenteil: er will sie bekämpfen.

        Die Situation in Syrien ist augenblicklich wohl diese: Die Kurden kontrollieren die Gebiete, die 90% der syrischen Ölvorkommen und fast alle landwirtschaftlich nutzbaren Flächen enthalten. Assad braucht Kontrolle über diese Gebiete, soll sein Regierung je wieder ohne ausländische Hilfe lebensfähig sein. Er kann sie allerdings nicht mit Gewalt nehmen, da die Kurden bewaffnet sind und sich zu verteidigen wissen und Putin es sowieso nicht erlauben würde - hat doch der Syrienkrieg Russland bereits genug gekostet; allein deswegen ist Putin an einen wie auch immer gearteten Frieden in Syrien gelegen. Also bleibt Assad nur zu verhandeln. Und wie es sich, zumindest augenblicklich, darstellt, hatte er Erfolg. Was eigentlich auch nicht verwundert, denn auch die Kurden profitieren. Ja, sie werden bis zu einen gewissen Grad ihre Autonomie verlieren, aber dennoch ist die geplante und bereits verschobene Offensive der Türkei noch unwahrscheinlicher geworden. Denn Erdoğan weiß: ein Angriff auf die Kurden ist das eine; ein Angriff auf die Kurden, die reguläre syrische Armee und eventuell gar auch auf russische Streitkräfte ist etwas ganz anderes. Es bleibt nur zu hoffen, daß Erdoğan vernünftig genug ist, um diesen Blutzoll nicht zu zahlen.

    • @Rolf B.:

      Ziemlich peinlich wie feigeder Westen und insbesondere Deutschland sich verhalten haben und erst jetzt zwei Diktatoren letztendlich den dritten Diktator in die Schranken weisen

      Schande

      • @815274:

        Peinlicher für den Westen ist es doch, wenn man mit einem der Diktatoren in einer "Wertegemeinschaft freier demokratischer Staaten" verbündet ist.