Kommentar Brexit-Abstimmung: Der Deal ist faktisch tot
Das britische Unterhaus hat Mays Brexit-Deal abgelehnt. Die Botschaft dahinter ist klar: So nicht! Möglicherweise ist ein harter Ausstieg doch die bessere Lösung.
E s war völlig erwartbar – dennoch ist es ein politisches Erdbeben erster Güte. Mit 432 gegen 202 Stimmen hat das britische Unterhaus am Dienstagabend den Brexit-Deal abgelehnt, den die britische Regierung mit der EU ausgehandelt hat. Das ist mehr als eine Zweidrittelmehrheit gegen Theresa May, und das Ausmaß dieser Niederlage liegt am oberen Ende der politischen Erwartungsskala.
Der Deal ist jetzt faktisch tot. Und man sollte sich in der EU keine Illusionen machen: Das Votum war auch keine Liebeserklärung an die Europäische Union. Das Nein der Parlamentarier richtet sich nicht nur gegen Theresa May, sondern auch gegen Michel Barnier, Jean-Claude Juncker, Donald Tusk und all die anderen. Die Motive für die Entscheidung mögen sehr unterschiedlich gewesen sein – manche Abgeordnete wollen einen harten Brexit, manche wollen gar keinen, – aber ihre gemeinsame Position ist klar und deutlich: So nicht!
Nun ist Theresa May gezwungen, das zu tun, was sie von Anfang an hätte tun sollen: einen überparteilichen Konsens anstreben, um das massive Nein zum bisherigen Deal in ein massives Ja zu einer neuen Lösung zu verwandeln. Gespräche der Regierung mit Labour und den anderen Parteien sind jetzt die einzige Möglichkeit, irgendeine Brexit-Position zu erreichen, die im Parlament eine Mehrheit finden würde.
Genau das hat May in Reaktion auf ihre Niederlage angekündigt, und damit erweist sich die britische Premierministerin wieder einmal als Überlebenskünstlerin. Sie dürfte sogar die von Labour umgehend angekündigte Vertrauensfrage im Parlament, über die am Mittwochabend abgestimmt werden soll, unbeschadet überstehen – und daraus sogar noch gestärkt hervorgehen. Die Konservativen werden voraussichtlich geschlossen hinter ihr stehen, um sich nicht selbst zu stürzen. Tory-Politiker sind erfahrungsgemäß für jeden Blödsinn zu haben, aber politischen Selbstmord begehen sie nicht.
Noch zwei Monate und eine Woche
Das einzige Problem: Die Zeit drängt. Es sind noch zwei Monate und eine Woche bis zum Brexit – wäre das genug, hätten die vergangenen zwei Jahre anders ablaufen können. Die Politiker in London könnten zwar die Frist nach hinten verlegen wollen – aber das würde die Unsicherheit vergrößern, und weder in Brüssel noch in London gibt es dafür wirklich Sympathien.
Möglicherweise also verlässt Großbritannien die EU am 29. März tatsächlich ohne Deal – aber genau in dem Moment, in dem es sich in Sachen Brexit endlich ein wenig zusammengerauft hat. Für das Land wäre das eine gute Lösung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit