Kommentar Abschiebepolitik: Seehofer bleibt sich treu
Der Innenminister setzt auf Abschreckung: Wer auf geplante Abschiebeflüge hinweist, soll künftig mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden können.
B undesinnenminister Horst Seehofer widmet sich mal wieder seinem Lieblingsthema: Abschiebungen. Und er bleibt sich treu; erneut zeichnet er ein Bild, in dem der arme deutsche Rechtsstaat gegängelt und hintergangen wird von Geflüchteten mit zu viel krimineller Energie und einer heimtückischen Zivilgesellschaft.
Wer, wie etwa der Bayerische Flüchtlingsrat, im Netz darauf hinweist, wann der nächste Abschiebeflug nach Afghanistan geht, soll künftig mit bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafe bestraft werden. So steht es im Referentenentwurf für ein Gesetz zur „besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“, in Klammern: „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“. Wohlklingende Namen haben ja Konjunktur in dieser Großen Koalition.
Der ehrlichere Name wäre wohl: „Unerwünschte-Solidarität-Gesetz“. Man wolle verhindern, dass Menschen vor ihrer Abschiebung untertauchen, heißt es. Aus diesem Grund teilen die Behörden Betroffenen schon seit 2015 bevorstehende Abschiebetermine nicht mehr mit. Doch so einfach ist es nicht.
Nur, wer über eine angeordnete Abschiebung Bescheid weiß, kann sich zum Beispiel juristisch dagegen wehren – also sich auf den Rechtsstaat stützen. „Wer Unterstützer*innen, Berater*innen, Anwält*innen und Ehrenamtliche mundtot macht, erklärt den Rechtsstaat zur Makulatur“, sagt deswegen zurecht Agnes Andrae vom Bayerischen Flüchtlingsrat.
Und es geht um mehr: um Einschüchterung der Menschen, die gegen die immer restriktivere Asylpolitik aufbegehren. Ganz im Sinne Alexander Dobrindts (CSU) mit seinem Gerede von der „Anti-Abschiebe-Industrie“ – bestehend aus jenen Anwält*innen, die Geflüchtete vor Gericht vertreten.
Deutschland ist damit nicht allein. Gerade diese Woche stand in Göteborg die Schwedin Elin Ersson vor Gericht. Sie hatte sich 2018 in einem Flugzeug geweigert, sich zu setzen – und so die Abschiebung eines Mannes nach Afghanistan vorerst beendet. Auch in Deutschland kommt es regelmäßig zu Demonstrationen, wenn Abschiebeflüge nach Afghanistan starten. Doch für solche Aktionen braucht man eins: die Termine.
Das will Seehofer offenbar unterbinden – und zwar unabhängig davon, ob sie eine Abschiebung tatsächlich behindern oder nicht. Denn wie das Beispiel von Elin Ersson zeigt: Solidarität kann ansteckend sein. Erst stand sie alleine, nach und nach taten es ihr immer mehr Passagier*innen gleich.
Abschiebungen nach Afghanistan sind ein dreckiges Geschäft, das weiß auch der Innenminister. Es steht so schwarz auf weiß im Lagebericht des Auswärtigen Amts. Das bringt ihn freilich nicht davon ab, sich gegen solche Abschiebungen auszusprechen. Im Gegenteil: Sie sollen einfach leise, still und heimlich passieren – je mehr, desto besser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fußball WM 2030 und 2034
Der Profit bleibt am Ball