Kolumne German Angst: Die Verkennung der radikalen Rechten
Erst die Buchmesse, jetzt das Arendt Center: Die falsche Deutung Rechtsextremer als dumme Jungs schlägt um in eine seltsame Faszination.
D er 13. Oktober war ein guter Tag für Marc Jongen. Der AfD-Philosoph, Bundestagsabgeordnete und Ex-Assistent von Peter Sloterdijk war zu Gast auf der Konferenz „Crises of Democracy: Thinking In Dark Times“, wo er vor einem zugewandten Publikum über Populismus sprach. Gastgeber war ausgerechnet das Hannah Arendt Center in New York.
Kritik gab es dafür unter anderem von WissenschaftlerInnen um Étienne Balibar und Judith Butler. Die Debatte dümpelt so vor sich hin. Die Frage war: Warum lädt ein Haus, benannt nach einer jüdisch-deutschen Philosophin, die vor den Nazis floh und unter anderem gegen die Macht rassistischer Ideologie schrieb, jemanden ein, für den Juden eine „Rasse“ sind, Antirassismus eine Form des Rassismus und Ethnien die Grundlage der Demokratie sind, „teils kulturell, teils genetisch“?
Roger Berkowitz, Direktor des Arendt Centers, erklärte das so: „I invited him because he struck me as one of the few people involved in the rising illiberal democratic movements who could participate in an intellectual effort to understand the crisis currently plaguing liberal democracies.“
Wie fatal. Wir müssen also jenen, die die Nation als Volkskörper definieren und deren Unterscheidung in Wir und Ihr nicht wenigen lebensgefährlich werden kann, ein Podium geben, um die Krise der Demokratien (rechtes Lieblingsthema!) „zu verstehen“. – Heißt das dann auch, dass MigrantInnen, People of Color oder AntifaschistInnen und so weiter sich mit radikalen Rechten austauschen, um Rassismus zu verstehen? – Das erinnert an das Statement der Frankfurter Buchmesse, das den aus den Auftritten der rechten Verlage um Antaios folgenden Übergriffen auf Linke mit der „Vielfalt der Meinungen“ das Wort redete. Blöd nur, dass diese „Vielfalt“ jenen schadet, die auf ebendiese angewiesen sind.
Dahinter steht etwas Grundsätzliches: die Verkennung der radikalen Rechten als dumme Jungs oder Bildungsferne, gepaart mit Klassismus – zu erkennen in Berkowitz’ Faszination, unter Rechten „Seinesgleichen“ zu finden. Vielleicht hilft es, die Dinge einfach beim Namen nennen? Die Nation als Volkskörper zu definieren, als Träger der Revolte gegen die liberale bürgerliche Gesellschaft, den Mythos gegen die Universalität zu stemmen, das Verwerfen der Idee von der Gleichheit der Menschen – all das ist grundlegend für die faschistische Ideologie. Und nicht neu. Ernst Jünger, Armin Mohler, Julius Evola, Carl Schmitt – der Buchmessenleitung und dem Arendt Center sind sie bekannt. Jongen ist dagegen ein Küchenphilosoph.
Und dennoch ist das die Richtung, aus der der Wind weht. Im Abstreiten der Denktradition ist das Faschistoide und Faschistische der radikalen Rechten – ganz nach Mohler – zu einer Stilfrage geworden, entkoppelt von der Ideologie und ihren Folgen: der Massenvernichtung.
Dabei ist es so: Rechte und Sicherheiten sind für Minderheiten auch in den liberalen Gesellschaften gerade erst erkämpft worden. Sie sind keine Selbstverständlichkeit. Dass es dieses Gesellschaftsmodell ist, gegen das Jongen, Kubitschek und Co. so radikal sprechen, muss sie als Dialogpartner obsolet machen.
Faschismus ist keine Frage des Stils. Und er ist keine Meinung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Diskussion um US-Raketen
Entscheidung mit kleiner Reichweite