Kolonialisten-Statue in Bristol: Höflichkeit hilft nicht mehr
In Großbritannien begegnen Schwarzen Menschen ständig Statuen von Männern, die unsere Vorfahren versklavt haben. Unsere Gefühle zählen einen Dreck.
D ie Bewegung Black Lives Matter wurde ins Leben gerufen, um der offenkundigen Tatsache etwas entgegenzusetzen, dass das Leben Schwarzer Menschen nicht zählt. Dabei geht es nicht nur um eine wirtschaftliche oder rein materielle Frage, es geht auch um scheinbar „flüchtige Dinge“ wie die Folgen für unsere Psyche und damit verbunden die Frage nach der gesellschaftlichen Repräsentanz.
Es war interessant zu sehen, wie besorgt einige Weiße jetzt um Recht und Ordnung und Regierungsfähigkeit und Eigentum sind, weil die Statue von Edward Colston in Bristol, Großbritannien, von Demonstrierenden niedergerissen wurde.
Ich habe ein Jahr lang in Bristol gearbeitet und begegnete ständig Statuen zu Ehren von Männern, die meine Vorfahren versklavt haben. Höfliche Petitionen, die Statue Colstons und anderer zu entfernen, wurden ignoriert. Lange bevor ein sogenannter Pöbel die Statue in den Fluss warf, hatten Schwarze Aktivisten darum gebeten, solche Denkmale in Museen unterzubringen, wo die hingehen können, die sie unbedingt sehen wollen, uns aber die Demütigung der Beleidigung unserer unterdrückten Vorfahren erspart bleibt. Weiße Behörden haben unseren Anspruch darauf ignoriert, denn unser Leben zählt nicht, und mit Blick auf die selbstzufriedene Geringschätzung Weißer uns gegenüber zählen offensichtlich auch unsere Gefühle nicht.
Im Jahr 2007 leiteten ich und viele andere eine Kampagne zur Schaffung eines nationalen Mahnmals ein, mit dem der Zeit des Sklavenhandels und der zig Millionen gedacht werden soll, die unter dem Joch der Sklaverei des Britischen Weltreichs gestorben sind. Wir waren friedlich, respektvoll und versuchten es über die üblichen friedlichen Kanäle – zuerst bei der Labour-Regierung unter Tony Blair, dann bei der Regierungskoalition aus Tories und Liberaldemokraten und schließlich bei der Regierung von Theresa May: Sie haben allesamt unsere Bitte überhört.
Anthony G. Reddie
ist ein Schwarzer Theologe aus Großbritannien. 2015 wurde er als Außerordentlicher Professor für Theologie an die University of South Africa berufen. Gegenwärtig ist er Direktor des Oxford Centre for Religion and Culture am Regent’s Park College der Universität Oxford.
Wir waren friedlich und respektvoll und machten unsere Eingaben auf althergebrachte friedliche Weise. Aber wir wurden ignoriert, denn unser Leben und unsere Gefühle interessieren einen Dreck!Wir haben dafür gekämpft, dass Großbritannien sich für seine Beteiligung am Sklavenhandel entschuldigt, und Blair erklärte, es täte ihm sehr leid. Aber entschuldigt hat er sich nicht, weil der Sklavenhandel, gebilligt von einem System habgieriger Handelsinteressen, damals legal gewesen sei. Also keine Entschuldigung und schon gar keine Entschädigung.
Wieder haben wir niemanden eingeschüchtert, uns nicht wie ein Mob aufgeführt. Wir brachten Argumente vor, einige von uns schrieben Bücher, Essays, Artikel – und es änderte sich gar nichts. Wir leben also weiterhin mit dem psychologischen und seelischen Schaden, den der Blick auf Denkmale für Menschen, die Millionen an dem Handel mit dem schwarzen Fleisch unserer Vorfahren verdient haben, angerichtet hat. Und dabei sind wir noch nicht einmal bei den Auswirkungen wirtschaftlicher Not und gesellschaftlicher Benachteiligung angelangt, denen ein Schwarzer Körper im postkolonialen Großbritannien ausgesetzt ist.
Wo war die Kritik an der Komplizenschaft der Kirche?
Für mich war es interessant, nach dem Niederreißen einer Statue die üblichen besorgten Stimmen Weißer Menschen zu hören, die um Recht und Ordnung fürchten und die Gefahr einer Herrschaft des Pöbels heraufbeschwören. Warum waren ihre Stimmen nicht schon früher zu vernehmen? Wo waren die britischen Universitäten und Theologen, um die Komplizenschaft der Kirche bei Sklavenhandel und späterem Kolonialismus aufzudecken, an dem sich alle Kirchen bereichert haben, die Schwarzen aber lehrten, sich selbst zu hassen?
Mein Freund Delroy Wesley Hall, ebenfalls ein Schwarzer Theologe, erzählt von in Großbritannien lebenden Schwarzen Menschen, die mit einer Form des „immerwährenden Kreuzesleids“ zu kämpfen haben: Wir stecken nach unserer gesellschaftlichen und kollektiven Kreuzigung in einem ewigen „Karsamstag“ fest, ohne dass sich ein „Ostersonntag“ abzeichnete.
Weiße können sich also darüber beschweren, dass wir uns nicht an die Regeln halten, während unsere Beschwerden übergangen und gar mit Verachtung behandelt worden sind! In diesem Augenblick der Geschichte werde ich deshalb Weißen nicht für ihre Entschuldigungen danken und für ihren Kniefall und ihre Erklärungen und ihre Beteiligung an Demonstrationen, was sie nicht das Geringste kostet, während wir von einer „existenziellen Kreuzigung“ betroffen sind, deretwegen wir auch häufiger mit seelischen Erkrankungen wie Schizophrenie zu kämpfen haben als andere.
Ich werde Weiße Menschen nicht zu „lehren“ versuchen, wie sie mit ihrem Unbehagen und ihren Gefühlen umgehen sollen, während ich und unzählige Schwarze Menschen Angst haben, unser Haus zu verlassen, weil wir zu denen gehören könnten, die unverhältnismäßig häufig angehalten, inhaftiert und verhört werden von unserer angeblich so freundlichen Polizei, wenn sie sich nicht an die Ausgangsbeschränkungen gehalten haben. Einige von uns haben ganz einfach genug von der Heuchelei der Weißen und dem plötzlichen Interesse an unseren Belangen, nachdem sie sich in all den Jahren so gut wie gar nicht dafür interessiert haben.
Systemischer Rassismus beginnt nicht mit dem Tod von George Floyd und wird auch nicht enden, nur weil Weiße Menschen überwältigt von liberalen Schuldgefühlen die Hände ringen, uns erzählen, wie leid ihnen das mit dem Rassismus tut, der unser Leben zerstört – nicht das ihre! Einige von uns werden weiterkämpfen, aber wir sind müde und noch viel wütender, als ihr euch vorstellen könnt. Also wagt es bitte nicht, uns zu erzählen, wie wir uns verhalten sollen, denn wenn wir nach euren Höflichkeitsregeln gespielt haben, dann hat euch das einen Dreck gekümmert!
Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning
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