Klinik verweigert Abtreibungen: Taxigeld statt Schwangerschaftsabbruch
Katholiken wollen, dass es in Flensburgs neuem Klinikum keine Schwangerschaftsabbrüche geben soll. Frauen sollen Fahrtkostenhilfe bekommen.

„Ich war damals so naiv“, sagt Birte Lohmann. „Ich dachte, man muss nur auf das Problem hinweisen, und schon ist es gelöst.“ Ein Irrtum: Seit 2019 kämpft Lohmann mit einer Reihe von Mitstreiter:innen dafür, dass es im Krankenhaus weiter Abtreibungen geben darf.
Generell gelten solche Eingriffe zwar als ambulante Behandlung, die in einer gynäkologischen Praxis stattfinden sollten. Aber in Flensburg ist die Lage etwas anders: Als 1995 die Stadt ihr kommunales Krankenhaus an die evangelische Diakonissenanstalt, kurz Diako, übertrug, nahmen sie die Hilfe für Frauen bei ungewollter Schwangerschaft in den Vertrag auf: „Die Diako stellt sicher, dass auch künftig Eingriffe im Rahmen des Paragrafen 218 durchgeführt werden“, heißt es in dem Dokument.
Keine Kompromisse
Doch für den katholischen Orden gibt es in dieser Frage keine Kompromisse: „Die Malteser treten für den Schutz des Lebens ein“, sagt Sprecherin Franziska Mumm. „Ein Schwangerschaftsabbruch wird im neuen Klinikum nur durchgeführt werden, wenn es medizinische Gründe gibt, etwa das Leben der schwangeren Frau bedroht ist.“ Nicht operiert werden schwangere Opfer von Vergewaltigung oder Inzest. Dies hatte Flensburgs Sozialdezernentin Noosha Aubel bei einer Pressekonferenz behauptet – eine Fehlinformation, die rasch korrigiert wurde, so Stadtsprecher Christian Reimer.
Die evangelische Diako, die zurzeit noch Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, gibt sich moderater: „Natürlich steht die Diako zu ihrer Verantwortung für eine umfassende gesundheitliche Versorgung auch bei Schwangerschaftsabbrüchen“, so Kliniksprecher Ole Michel. Daher arbeite die Diako auch in einem Arbeitskreis mit, den die ehemalige Bürgermeisterin Simone Lange (SPD) ins Leben gerufen hatte.
Pläne scheiterten
Anfangs war im Gespräch, dass die Stadt selbst Trägerin eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) wird, das Frauen gynäkologisch betreut, aber auch Schwangerschaft beendet. Doch diese Pläne scheiterten, auch weil die Stadt eigentlich nicht zuständig ist: Die Verantwortung, für die Umsetzung muss die Kassenärztliche Vereinigung sorgen, liegt beim Land Schleswig-Holstein.
„Nach den Zahlen ist die Lage in Flensburg im Bundesvergleich recht gut“, sagt Jane Jöns von der Beratungsstelle ProFamilia. Mehrere Praxen bieten medikamentöse Abtreibungen an, was als schonendere Methode als eine Operation gilt. „Allerdings geht das nur in einem frühen Stadium der Schwangerschaft“, sagt Jöns.
Derzeit nimmt eine ärztliche Praxis in Flensburg Abtreibungen per OP vor. Die Diako verweist darauf, dass es in ihrem Haus seit 2021 keine stationären Schwangerschaftsabbrüche mehr gibt, obwohl diese möglich seien. Das klingt, als sei kein Bedarf mehr vorhanden, allerdings ist der Begriff „stationär“ etwas irreführend. In der Logik des deutschen Gesundheitssystems bedeutet er nur, wie eine Behandlung eingestuft und abgerechnet wird.
Laut einer Studie, die der städtische Arbeitskreis in Auftrag gegeben hat, fanden in den vergangenen Jahren durchaus Abtreibungen in der Diako statt, die allerdings als „ambulant“ eingestuft wurden. 77 dieser Fälle nennt die Studie für das Jahr 2023, im Jahr 2024 waren es 32.
Franziska Mumm, Sprecherin der Malteser
ProFamilia berät die meisten ungewollt Schwangeren, und für viele Frauen ist es wichtig, dass der Eingriff unter dem Dach einer Klinik stattfindet – etwa weil sie sich sicherer fühlen, wenn andere Fachärzt:innen und Geräte für den Notfall in der Nähe sind. „Es kommt häufig vor, dass wir Frauen für operative Abtreibungen an die Kliniken in den Nachbarstädten verweisen“, sagt Jöns.
Trotz dieser weiter unbefriedigenden Lage wird der Arbeitskreis seine regelmäßigen Treffen einstellen: Nur noch „anlassbezogen und nach Bedarf“ will die Runde zusammentreffen, einen entsprechenden Beschluss soll der Sozialausschuss der Stadt am Mittwoch treffen.
Städtischer Sozialfonds geplant
Immerhin hat die Arbeit einige Ergebnisse erbracht. Geplant ist ein städtischer Sozialfonds, aus dem Frauen Hilfen erhalten, etwa Geld für Fahrten zu Kliniken in anderen Städten. Außerdem sollen sogenannte „Abortion Buddies“ den betroffenen Frauen ehrenamtlich zur Seite stehen. Das Konzept wurde von der Beratungsstelle ProFamilia erarbeitet und ist für drei Jahre bewilligt. Mit diesen Maßnahmen sei „der kommunale Spielraum ausgeschöpft“, sagt Stadt-Sprecher Christian Reimers.
Der Aktivistin Birte Lohmann reicht das nicht: „Es kann nicht sein, dass sich die katholische Kirche über den alten Vertrag zwischen Diako und Stadt und die Rechte der Frauen auf körperliche Selbstbestimmung hinwegsetzt.“ Sie ruft daher zu einer Mahnwache auf, die am Mittwoch auf dem Südermarkt in Flensburg stattfinden soll.
Transparenzhinweis: Wir haben aus dem Text die Formulierung Abtreibung „aus sozialen Gründen“ entfernt, weil sie sich auf eine veraltete Rechtslage bezieht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gesetzentwurf für neue Wehrpflicht
Pistorius legt Kriterien für Pflichteinberufung fest
Klinik verweigert Abtreibungen
Taxigeld statt Schwangerschaftsabbruch
Windkraft im Wendland
Wo sich der Widerstand dreht
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
Netanjahu schlägt Trump für Friedensnobelpreis vor
AfD gibt sich Benimmregeln
Streit über Selbstverharmlosung
Wie Russland auf Osteuropa blickt
Erst die Ukraine, dann das Baltikum