Klimakrise als politisches Nischenthema: Gutes Gewissen zum kleinen Preis
In politischen Debatten ist Klima zum Randthema verkommen. Der Glaube, die Welt durch Konsum retten zu können, lenkt von notwendigen Veränderungen ab.
D as gute Gewissen ist nicht teuer, es kostet gerade mal 1,95 Euro. So viel verlangt eine einschlägige Drogeriekette für die günstigste Holzzahnbürste aus schnell nachwachsendem Bambus, vegan und verpackt in braunen Karton aus Recyclingpapier.
Es gibt inzwischen ganze Regalmeter voll mit dazu passender korrekter Zahnpasta, wo die Pfefferminze biologisch angebaut wurde, und mikroplastikfreiem Shampoo, das bevorzugt als festes Seifenstück daherkommt, weil das ergiebiger sein soll: also besser für die Umwelt und auch noch billiger. Die Botschaft: Es kann so einfach sein, etwas Gutes für die Umwelt zu tun. Man muss einfach bloß einkaufen gehen. Ist es nicht wahnsinnig praktisch, dass auch „die kleinen Schritte zählen“?
Tritt man, mit der Bambuszahnbürste in der Tasche, aus dem Drogeriemarkt in die Wirklichkeit, darf man indes einigermaßen ernüchtert feststellen: Das Klima interessiert die Menschen gerade eher so mittel. Ist natürlich schon beängstigend, dass 2024 das erste Jahr war, in dem man im Mittel über dem 1,5-Grad-Ziel lag, das sich die Weltgemeinschaft einst in Paris 2015 als Obergrenze für die Erderwärmung gesetzt hatte. Schade auch, dass es schon wieder nicht geklappt hat, neulich mit diesem UN-Abkommen zur Reduzierung von Plastikmüll.
Aber es ist eher ein ermüdetes Schulterzucken: Klima interessiert die Deutschen, so der aktuelle ARD-Deutschlandtrend von Donnerstag, erst deutlich nach den Themen Migration, Wirtschaft und Sicherheitspolitik. 37 Prozent wollen demnach, dass sich die Politiker vorrangig des Themas Zuwanderung annehmen, nur 13 Prozent halten das Klima für ein lohnendes Beschäftigungsziel. Das ist noch nicht einmal das derzeitige Wähler*innenpotenzial der Grünen, die in derselben Umfrage derzeit bei 14 Prozent rangieren.
Beim letzten globalen Klimastreiktag im September gingen noch ein paar Tausend Menschen auf die Straße, immerhin, aber fünf Jahre zuvor mobilisierten Fridays for Future rund 1,6 Millionen bundesweit. Man kann sagen: Das Klimathema ist wieder ein Nischenthema.
Leerstellen
Und die Politik? Spiegelt diese Leerstelle, die Klima in der öffentlichen Wahrnehmung (wieder) hat. Der Kanzlerkandidat der Grünen, Robert Habeck, macht Wahlkampf mit sozialen Themen (Milliardärssteuer), Wirtschaft (Deutschlandfonds für die Infrastruktur) und Aufrüstung (3,5 Prozent für Verteidigungsausgaben).
Nun ist es völlig okay und angesichts einer womöglich bald den Kanzler stellenden CDU auch notwendig, dass noch irgendwer Wirtschaftspolitik auch als Umverteilungspolitik begreift und weiter an der festgeklemmten Schuldenbremse rüttelt.
Und es ist außerdem völlig okay, eventuell ist es sogar richtig, die Zahnbürste aus chinesischem Bambus zu kaufen, wobei die Meinungen zur Klimabilanz da auseinandergehen. Es bleibt vermutlich nicht richtig, übers kalte Januarwochenende mal schnell nach Madeira, Mallorca oder sonst wohin zu fliegen, weil man einfach ein bisschen Bock auf Sonne und wenigstens 15 Grad hat.
Wieder mehr Flüge
Aber die Menschen tun es, die Statistik der Fluggastzahlen zeigt es: Zwar fliegen laut Statistischem Bundesamt immer noch rund 14 Prozent weniger Menschen als vor der Pandemie, aber es werden wieder stetig mehr, im ersten Halbjahr 2024 plus 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Vermutlich verreisen viele dieser Menschen mit mikroplastikfreiem Shampoo im Gepäck. Und wer kann, bucht ein eco-friendly zertifiziertes Hotel, wo der Kopfkissenbezug aus Biobaumwolle ist.
Es ist langweilig, das zu verurteilen. Der Versuch, die Massen dauerhaft mobilisieren zu können, indem man ihnen ein schlechtes Gewissen macht, ist spätestens gescheitert, als die Letzte Generation offiziell ihren Namen abgelegt hat. Aber es bleibt doch interessant festzustellen, dass wir glauben, uns die Weltrettung bequem erkaufen zu können. Es ist zugleich ein urkapitalistischer Ansatz, der uns vor allem deutlich machen mag, warum noch mal genau die Welt vor die Hunde geht – unsere Konsumgläubigkeit ist letztlich schuld daran. Auch wenn wir manchmal die richtigen Dinge shoppen gehen.
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