Klimaaktivisten vor Gericht: Die verknackte Generation
Sie haben immer gewaltfrei protestiert, nun droht Mitgliedern der Letzten Generation eine Haftstrafe. Ein Ex-Schwerverbrecher bereitet sie darauf vor.
D as Gefängnistraining beginnt mit einer Meditation. „Ihr geht zum Dorfplatz und seid da mit eurer Angst, euren Zweifeln und Sorgen“, sagt Kevin Hecht. Hecht ist Aktivist:in der Letzten Generation und war deshalb schon im Gefängnis. Vier weitere Aktivist:innen sitzen mit geschlossenen Augen auf einem Ecksofa. Gerade wurde noch gefrühstückt, Erdnussbutterbrötchen, Apfelspalten, Kaffee. Jetzt sollen sie die negativen Emotionen in Hoffnung, Freude und Licht verwandeln und die Helligkeit mit in ihre imaginierte Gefängniszelle nehmen. „Es ist kühl, aber da ist auch Hoffnung.“ Als die Übung beendet ist, sollen alle ihre Arme nach oben strecken. „Guten Morgen“, grölt Mirko Guth in die Stille. Er war in der Zwischenzeit rauchen.
Guth stützt seine tätowierten Unterarme auf eine Stuhllehne und schaut in die jungen Gesichter. Er wird heute einige moralische Überzeugungen brechen müssen, naive Vorstellungen aus dem Weg räumen und Tipps geben, wie man im Gefängnis nicht verprügelt wird. Guth war selbst schwerkriminell, saß mehrere Jahre in Haft, jetzt wird er von der Letzten Generation als Gefängnistrainer bezahlt. Drei der Aktivist:innen, die ihn an diesem Sonntag im August in einer sächsischen Kleinstadt besuchen, soll er auf ihre Haft vorbereiten.
Auf den deutschen Straßen sind von den Blockaden der Letzten Generation nur noch Klebeabdrücke der Hände geblieben. Die Bewegung hat ihre Taktik geändert und verzichtet seit Jahresanfang auf Straßenblockaden. Juristisch aber werden die Protestaktionen noch lange andauern. Online führt die Bewegung einen Kalender mit Gerichtsterminen, beinahe täglich steht ein Mitglied vor Gericht. Die rechtlichen Konsequenzen ihrer Aktionen wollen sie in Kauf nehmen, so steht es in den Werten der Letzten Generation, „bis hin zu massenhaften Inhaftierungen von Klimaschützenden über Wochen und Monate“. Wussten die Aktivist:innen wirklich, worauf sie sich einlassen?
Links außen auf dem Sofa sitzt Simon Lachner. Er hat Elektrotechnik studiert, bevor er einer der Sprecher der Letzten Generation wurde. Lachner, 26, hat rotbraune Locken, einen aufgeschlossenen Blick und eine Excel-Tabelle, in der er alle Straßenblockaden mit Datum aufgelistet hat. Welche Anzeige mit welchem Aktenzeichen zu welcher Aktion gehört, weiß er trotzdem nicht. Nur dass es über 70 Verfahren sind, die gegen ihn laufen. Bisher drohen ihm drei Monate Gefängnis.
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Morgens um 10 Uhr ist er noch selbstbewusst: „Also, wir sind dann ja die politischen Gefangenen“, fängt er an, sich in seine Rolle als Insasse zu denken. Mirko Guth schneidet ihm sofort das Wort ab. „Ihr seid da die Opfer! Mit Hochnäsigkeit im Knast seid ihr ganz schnell wieder unten.“ Er holt Luft und sagt dann ruhiger: „Ihr seid da drinnen nicht die Klimaaktivisten.“
Mirko Guth trägt kurz geschorene Haare und schwere Silberketten um den Hals. In jedem fünften Satz sagt er Fotze. Oder Hurensohn. Der 44-Jährige ist in Mannheim aufgewachsen, mit zehn Jahren sei er raus auf die Straße und habe nur noch mit Kriminellen rumgehangen. „Die einen Jungs gehen spielen, die anderen gehen schwimmen und wir sind aufs Feld gegangen, um uns zu prügeln“, erzählt er. Es folgten Raub, Körperverletzung, Drogenhandel, Waffenbesitz – „das volle Programm“. Zwischen 2006 und 2013 saß er deshalb immer wieder im Gefängnis.
„Was ist für euch ein Krimineller?“, fragt Guth als Erstes. Antworten tröpfeln in den Raum: Menschen, die gegen geltendes Recht verstoßen; die sich nicht an die gesellschaftliche Norm halten. Viele Kriminelle verbinde, dass sie selbst einmal Gewalt erfahren hätten. Seit sie sich auf der Straße festgeklebt haben, habe sich ihr Bild von Kriminellen verschoben. Weil sie selbst merkten, wie schnell man in diese Kategorie fällt. Die Erklärungen der Aktivist:innen sind ausschweifend, fast philosophisch.
Guth dagegen geht es eigentlich um einen bestimmten Teil der Kriminellen: die gefährlichen fünf Prozent nennt er sie. Schwerstkriminelle in den Gefängnissen, die keinen Funken Skrupel mehr spüren, die das Gefängnis kontrollieren und die Insassen tyrannisieren. Auf diese Menschen will Guth die Gruppe vorbereiten. Während seiner Haft habe er einige von ihnen kennengelernt.
Mit der Letzten Generation hatte Guth bisher hingegen nichts zu tun. Zur Verständigung wurde für ihn ein Glossar erstellt: Aktivistisprech – Deutsch. Darin aufgelistet sind Begriffe wie Bezugsgruppe, Cis-Mann, FLINTA, Gendern, Awareness. Eigentlich arbeitet er mit Jugendlichen zusammen, die im Gefängnis landen könnten – so wie er in ihrem Alter. Seine Vergangenheit dient als schlechtes Beispiel. Diese Arbeit brachte ihn mit den Aktivist:innen der Letzten Generation zusammen.
Guth sagt: „Was ich gemacht habe, ist nicht zu entschuldigen.“ Er wolle kein Mitleid, weil er im Gefängnis war. „Ich bin kein Opfer.“ Damals hätte er Spaß an Gewalt gehabt. Er wird jetzt sehr präzise in seinen Schilderungen, damit die Aktivist:innen eine Vorstellung davon bekommen, mit wem sie eingesperrt werden könnten. Wenn ein Sexualstraftäter neu in den Trakt gekommen sei, habe er einen Besenstiel genommen und mit Honig bestrichen, damit Scheuerpulver daran haftet. „Den habe ich ihm in den Arsch gerammt“, er schiebt einen imaginären Besen nach oben, „und noch mal kräftig zugestoßen, damit er die nächsten Wochen Probleme beim Scheißen hat.“ Für Körperverletzungen im Gefängnis habe er zwei Jahre zusätzlich bekommen. Guth zeigt auf das Tattoo auf seinem rechten Unterarm: „Jedes Blatt steht für einen Kinderficker, den ich platt gemacht habe.“ Über den Arm rankt sich ein Zweig.
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Das sind Mirko Guths Erzählungen. Was sicher ist: Guth saß ab 2006 über sieben Jahre in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen in Haft. In Bruchsal, Remscheid, Bochum, Attendorn und Geldern. Das lässt sich anhand von Arbeitsbescheinigungen aus den Justizvollzugsanstalten und Einträgen im Bundeszentralregister nachvollziehen.
Während Guth brutalste Details schildert, guckt sich Kevin Hecht immer wieder in der Gruppe um und fragt: „Geht es allen gut? Braucht jemand eine Pause?“ Hecht, 33, markante Augenbrauen, bunter Wollcardigan, saß im August 2023 als erstes Mitglied der Letzten Generation wegen Klebeaktionen für einen Monat im Gefängnis in Cottbus. Auch Hecht wurde von Mirko Guth auf die Haft vorbereitet.
Dass Klimaaktivist:innen jetzt Gefängnisstrafen drohen, weil sie sich auf der Straße festgeklebt haben, Farbe an Ministerien, Denkmäler, Privatjets gespritzt haben, ist das verhältnismäßig? Im Juli wurde in Berlin eine der höchsten Strafen gegen ein Mitglied der Letzten Generation verhängt. Der Richter urteilte: 16 Monate Haft ohne Bewährung. Die hohe Strafe begründete er auch damit, dass die Aktivistin keine Reue zeigte und weitere Aktionen mit der Letzten Generation plane.
Zwar ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, aber es zeigt: Die Strafen belaufen sich nicht nur auf ein paar Hundert Euro Bußgeld, sondern bedeuten teilweise monatelange Freiheitsstrafen. Auch in Heilbronn, Heidelberg oder Regensburg wurden mehrmonatige Haftstrafen verhängt.
Gefängnisaufenthalte sind Teil der Strategie
Gleichzeitig brüstet sich die Letzte Generation mit den Verhaftungen ihrer Mitglieder. Online führen sie ihre bisher erreichten Meilensteine auf. Darunter: „1.500 Menschen haben sich bei Straßenblockaden verhaften lassen.“ Alle staatlichen Konsequenzen in Kauf zu nehmen befreie sie davon, sich von staatlichen Repressionen einschüchtern zu lassen, und halte so ihre Entschlossenheit aufrecht. Die Gefängnisaufenthalte sind damit Teil ihrer Strategie. Auch die Bußgelder ihrer Mitglieder übernimmt die Letzte Generation nicht. Wer die Strafe nicht bezahlen kann, muss ins Gefängnis.
Andere Bewegungen wie Ende Gelände setzen bei ihren Aktionen auf Anonymität. Ihre Körper hüllen sie in weiße Maleranzüge, die Gesichter verstecken sie hinter Sonnenbrillen und FFP2-Masken. Simon Lachner hat früher bei Ende Gelände mitgemacht. Wie alle Aktivist:innen der Letzten Generation entschied er dann, seine Identität nicht mehr zu schützen. Was das tatsächlich bedeuten kann, scheint er erst gerade auf Guths Couch zu durchdringen.
„Durch den Knast kommt ihr entweder mit Achtsamkeit oder mit Abgrenzung“, sagt Kevin Hecht. Anders als Mirko Guth tastet Hecht jedes Wort mit der Zunge ab, ehe es aus dem Mund kommt. Um den eigenen Körper zu beobachten, hat Hecht im Gefängnis täglich eine Tabelle geführt. Hecht hält einen selbstgezeichneten Kalender hoch, jeder Tag hat einen Kasten mit drei bunten Kurven: Temperatur, psychische Verfassung, Energie.
Hecht ist non-binär. Im Gefängnis hat Hecht das zum Schutz verheimlicht. Das sagt auch Guth: „Bekennt euch nicht queer und hört auf mit dem Gendern.“ Jede Angriffsfläche, die man bieten könnte, gilt es auszuschalten. Also auch Werte und politische Überzeugungen. „Ihr werdet viel mit Nazis konfrontiert sein“, sagt Hecht, der Hitlergruß sei häufiger gezeigt worden. „Versucht euch davon freizumachen, dass ihr dagegen irgendwas tun könnt. Ihr könnt es nicht.“
Im Knast laufe vor allem Bild TV. Ein Reporter des Senders setzte sich einmal mit einer Blockflöte in eine Straßenblockade, um die „Klima-Chaoten“ mit dem Gepfeife endlich mal zurückzunerven. Dieses Bild der Letzten Generation komme in den Gefängnissen an.
Vom Sofa kommt keine Widerrede, stattdessen wird mitgeschrieben. Beim Zuhören ergibt sich eine Liste mit zwölf Verhaltensregeln:
1. Häng keine Fotos auf. Autos, Häuser, Urlaube, das alles sind Hinweise auf Geld.
2. Verrate keine Adressen oder Namen. Wenn jemand fragt, wie deine Mutter heißt, sag Angelika.
3. Geh keine Tauschgeschäfte ein. Die Zinsen im Gefängnis steigen schnell. Du musst immer das Doppelte, schnell das Dreifache zurückzahlen.
4. Dusch aus Höflichkeit mit Unterhose. Schau den anderen Männern nicht in den Schritt.
5. Starre niemanden an. Aber wenn du in die Zelle kommst, schau den anderen Insassen in die Augen. Falls du das nicht schaffst, schau zwischen die Augenbrauen. Geh aufrecht, gib den anderen die Hand.
6. Es gibt keine Gefühle. Wenn du weinen musst, dann hinter geschlossener Tür.
7. Wenn andere nach Hilfe fragen, hilf nicht. Du könntest in etwas reingezogen werden. Glaub nicht alles, was dir erzählt wird.
8. Spiel keinen Fußball, mach keinen Kampfsport, da wollen sich die Leute messen. Volleyball, Joggen, Schach sind unverfänglicher.
9. Halte dich fern von Menschen mit folgenden Tattoos: Sterne auf Brust oder Knien bedeuten Mafia, ein Schriftzug auf dem Rücken spricht für ein Gangmitglied. Auch Abstand zu Insassen mit missglückten Tattoos halten. Ein Wolf, der eher wie ein Pferd aussieht – solche Tattoos haben Opfer. An ihnen wird Tätowieren geübt.
10. Drogen immer ablehnen.
11. „Wenn Freistunde ist, bewegt ihr euren scheiß Arsch!“
Dann sagt Guth, Regel Nummer 12: „Kauft euch am Kiosk zwei Dosen Thunfisch. Die steckt ihr in eine Socke und legt sie in euren Schrank – für den Fall.“ Guth deutet an, wie er die Socke schleudern würde, um damit jemanden zu schlagen. So ein Hieb sei ziemlich schmerzvoll und abschreckend.
Eigentlich gilt absolute Gewaltfreiheit
In den Werten der Letzten Generation steht an allererster Stelle: „Wir sind absolut gewaltfrei in unserem Verhalten und in unserer Sprache.“ Egal wie aggressiv die Autofahrer:innen auf die Straßenblockaden reagierten, die Aktivist:innen beschimpft, bespuckt oder getreten haben, sie antworteten mit stoischer Ruhe. Nie wurde zurückgebrüllt. Jetzt lernen sie, wie sie sich im Gefängnis eine Waffe zur Selbstverteidigung bauen können.
Mirko Guth, ehemaliger Häftling
Mirko Guth sagt: „Fragt euch schon vor dem Gefängnis: Kann ich mich verteidigen? Würde ich jemanden aus Selbstschutz schlagen? Was mache ich, wenn ich angegriffen werde?“ Es komme zwar selten vor, aber wenn ein Insasse in die Zelle komme und deine Schuhe haben wolle, sei es besser, sich zu wehren, als ihm die Schuhe zu geben. „Sonst will er morgen deine Hose und schnell hat man nichts mehr.“
Wenn sie nicht zuschlagen wollen, sollen sie üben, sich zu schützen. Guth stellt sich breitbeinig hin, hebt die Fäuste vorm Gesicht. „So nicht! Wir sind hier nicht im Film.“ Mit dieser Körperhaltung hat man schnell die eigene Faust im Gesicht, sagt er. Stattdessen sollen sie die Oberarme schützend an die Ohren legen. Er rotiert die Arme fließend am Kopf nach vorne und hinten.
„Wir sehen zwar aus wie leichte Opfer, aber das lässt sich beeinflussen“, sagt Kevin Hecht. Denn Täter suchten sich ihre Opfer auch unterbewusst aus. Also überlegte sich Hecht eine Rolle, um sich im Gefängnis zu behaupten. Eine Übung: Um sich stark zu fühlen, stemmte Hecht sich mit beiden Händen und dem ganzen Gewicht gegen die Zellenwand. Eine Eigenheit: Beim Hofgang lief Hecht immer barfuß, um das Gras unter den Füßen zu fühlen. Und zum Eindruckschinden: Hecht ließ sich die Akte einer Straßenblockade ins Gefängnis schicken. Eine Verteidigerin hätte mal gesagt, solche dicken Aktenordner kenne sie nur von Mordfällen. Also nahm Hecht die Akte mit in den Freigang und las sie unter den Blicken der anderen Insassen.
Während des Hofgangs habe es an einem Tag in Strömen geregnet, erzählt Hecht. Die ganzen aufgepumpten Männer mit großer Klappe drückten sich gegen die Gefängnismauern unter einen kleinen Vorsprung, um nicht nass zu werden. Hecht setzte sich mitten in den Regen auf eine Bank und meditierte. Beim Erzählen lacht Hecht zum ersten Mal an diesem Tag. Es sei sein Lieblingsmoment in Haft gewesen, „wenn man das überhaupt so sagen kann“.
Simon Lachner, der vielleicht bald in Haft muss, löst sich aus der Couch. Er setzt sich aufrechter hin. Wenn man Hecht so zuhört, kommt man vielleicht doch auch sanfter durchs Gefängnis – ohne Gewalt. Aber Guth winkt ab, macht das nicht mit dem Barfußspazieren, sagt er. Dann stellt Lachner die falsche Frage: „Wieso nicht?“
Guth baut sich vor ihm auf. Sein ganzer Körper ist angespannt, die Hände zu Fäusten geballt. „Bist du geisteskrank! Warum sollte ich deine dreckigen Füße sehen wollen? Hast du keinen Respekt?“, fährt er Lachner an. Der Aktivist starrt ihn an wie ein Reh im Scheinwerferlicht. So könne auch auf die nackten Füße reagiert werden. Hecht hätte Glück gehabt, sagt Guth. Seine Finger lockern sich langsam.
Der Gefängnisalltag ist ein ewiger Spagat: sein Ding machen, aber nicht anecken; Angst haben, aber sie nicht zeigen; den Menschen in die Augen gucken, aber nicht zu lange; Klimaaktivist:in sein, aber bloß kein:e Klimaaktivist:in sein.
Kevin Hecht ist dieses Kunststück einen Monat lang geglückt. Womöglich kam Hecht den anderen Insassen sonderbar vor, aber Hecht war auch Mirko Guths Sonderling. Denn Guth bereitet die Aktivist:innen nicht nur auf den Knast vor, sondern sagt auch, dass er sie schützt, wenn sie drinnen sitzen. Guth sagt, er kenne viele Leute, die noch in deutschen Gefängnissen sitzen würden. Jungs von früher, Männer, mit denen er einsaß, oder er kennt jemanden, der jemanden kennt.
Welchen Einfluss Guth von außen nehmen kann, lässt sich schwer überprüfen. Hecht sagt, er habe davon im Gefängnis nichts mitbekommen. Aber es habe eine Situation gegeben, die Guth wahrscheinlich für ihn entschärft habe. Es gab einen Häftling, mit dem Hecht auch über Privates gesprochen habe, sie hätten sich in ihren Zellen besucht. Aber dann habe es einen Bruch gegeben. Nach der Haft erfuhr Hecht von Mirko Guth, dass der Insasse plötzlich angenommen hatte, Hecht sei schwul, und ihn deshalb verprügeln wollte. Guth sagt, er habe telefoniert und das verhindert.
Ab drei Monaten Haft werde es schwieriger für die Aktivist:innen, ohne Zwischenfälle durch den Gefängnisalltag zu balancieren, sagt Guth. Dann würden sich die langfristigen Insassen für einen interessieren. Fotos von Familienmitgliedern machen zu lassen, um einen zu erpressen, sei aufwändig. Solche Spielchen würden deshalb erst nach einer gewissen Zeit im Gefängnis anfangen.
Simon Lachner wirkt nach dem Training wie einen Kopf kleiner. Er habe den Tag in einer Schockstarre verbracht, erzählt er später. Die Gewalt, von der Guth erzählt hat, davon hatte er keine Ahnung, sagt er. Für ihn wirkten Guths Erzählungen wie aus einer anderen Welt. Seit dem Gefängnistraining frage er sich, ob die schlimmere Strafe gar nicht der Freiheitsentzug ist, sondern dass man dieser Gewalt ausgesetzt ist.
Worüber er nicht nachgedacht habe, ist die Frage, ob er Gewalt ausüben würde. Das habe er verdrängt.
Hätte sich Simon Lachner mit dem Wissen von heute trotzdem an über siebzig Straßenblockaden beteiligt? „Ja“, sagt er. „Ich hoffe, dass ich trotzdem meiner Moral gefolgt wäre.“ Seine Stimme klingt zögerlich.
Ob Lachners Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, entscheidet das Gericht noch. Er würde die Strafe lieber bezahlen, als sie abzusitzen. Falls er ins Gefängnis muss, hat Kevin Hecht noch einen Ratschlag: „Nachts ist die beste Zeit, um wach zu sein.“ Von eins bis vier sei es still. Wenn die Zelle abgeschlossen ist, könne man sich erholen. Dann kann man wach sein, ohne wachsam zu sein.
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