Kisscam-Affäre: Aufgeflogen bei Coldplay
Die Kisscam-Affäre beim Coldplay-Konzert ist nicht weniger als ein digitales Drama in fünf Akten – inklusive Memes, Moral und medialem Pranger.
Wer in den letzten Tagen mindestens einmal im Internet war, kennt das Hot Topic der Stunde: die entblößte Affäre des CEOs eines US-Software-Start-ups und der Personalchefin derselben Firma. Die beiden hatten das Coldplay-Konzert Foxborough im Bundesstaat Massachusetts am 16. Juli besucht. Was wohl als harmloses Date geplant war, endete in einem Fiasko mit allen Elementen eines Dramas, das nebenbei auch noch Meme-Geschichte schreibt.
Die Exposition: Eng umschlungen wurden die beiden von der sogenannten Kiss Cam eingefangen. In den USA ist das üblich: bei Konzerten oder Sportveranstaltung fängt eine Kamera Bilder von Paaren ein, die sich küssen sollen, sobald sie auf einem riesigen Bildschirm erscheinen. Blöd nur, wenn man eigentlich incognito bleiben möchte. Das Einzige, was aber tatsächlich noch blöder ist als dieser Umstand: sich wegducken und die Hände vors Gesicht schlagen, um seine Identität zu schützen und damit allen zu zeigen, dass hier etwas Schmuddeliges passiert. Erregendes Moment: Der Konflikt verschärft sich.
Als der Coldplay-Frontmann Chris Martin daraufhin sagte „Oh, die beiden sind entweder sehr schüchtern oder haben eine Affäre“, war das Schicksal der zwei Fremdgänger besiegelt. Es dauerte keine 24 Stunden, bis sich das Internet von seiner hässlichsten Seite zeigte. Höhepunkt und Peripetie: Der dramatische Höhepunkt wird erreicht und eine entscheidende Wendung tritt ein.
Nicht nur wurden die Namen der Betroffenen und der Firma in Rekordtempo von Internet-Usern recherchiert und mit der Welt geteilt, auch eine weitere Frau aus dem Video wurde fälschlicherweise als Kollegin „entlarvt“. Selbstverständlich wurden sämtliche Social-Media-Accounts der betrogenen Ehefrau gestalkt – inklusive der Fotos, auf denen auch die Kinder des Ehepaars zu sehen sind.
Drei Existenzen zerbrechen
Der CEO und die Personalerin wurden suspendiert, der CEO ist inzwischen zurückgetreten. Die betrogene Ehefrau änderte ihren Namen in den sozialen Medien. Mindestens drei Existenzen zerbrechen, und nicht nur sieht die ganze Welt dabei zu, nein, sie weidet sich am Leid. Wenige Tage sind seit dem Vorfall vergangen, doch die Kiss-Cam-Affäre ist als Schlagzeile längst durch jedes Medium eines jeden Landes dieser Welt gegangen.
Was die komische Tragödie am Leben hält – das retardierende Moment –, ist die Viralität durch die Flut an Memes, die versehen mit Hashtags wie #Coldplaygate oder #Kisscamaffair nicht mehr abebben will. Entweder werden die Gesichter der beiden mit anderen schwer gescheiterten Figuren ersetzt (aktuell sehr beliebt: Jens Spahn, der eine Frau mit Maske eng umschlungen hält). Oder aber Fotos von Chris Martin, auf denen er scheinbar besonders diabolisch lächelt, werden mit derben Sprüchen versehen. „Being coldplayed“, gecoldplayed werden, ist inzwischen ein stehender Begriff für die unbeabsichtigte Bloßstellung beim Fremdgehen in der Öffentlichkeit geworden.
Nun müsste die Katastrophe folgen, die bei einer tragischen Komödie durchaus mit lustigen Elementen aufgelockert sein darf. Und auch damit kann diese absurde Geschichte dienen. Gekrönt wird dieser Internet-Moment mit einer vermeintlichen „The Simpsons“-Analogie. Ein besonders kreativer User erstellte mit künstlicher Intelligenz eine simpsonsgetreue Nachbildung der beiden Antihelden, was viele nun glauben lässt, auch dieser Moment sei eine von den berühmten Zukunftsvorhersagen der Simpsons. Ein Finale, das man sich wirklich nicht besser hätte ausdenken können.
Natürlich streiten jetzt die Menschen im Internet: Die einen tippen wütend „Geschieht ihnen recht so“ in die Kommentarspalten, die anderen „was ist mit ihrer Privatsphäre?!“. Und ja, natürlich wird die Kiss-Cam-Affäre auch von einem Karma-Momentum getragen. Wer fremdgeht, spielt mit dem Feuer. Wer das auch noch an einem öffentlichen Ort mit Kameras tut, wirkt überheblich. Doch das, was gerade passiert, hat die Grenzen der Schadenfreude schon längst überschritten. Auch der betrogenen Frau dürfte es wenig Trost spenden, dass durch die Affäre ihres Mannes auch ihr Leben zum Meme wird, ganz zu schweigen, welche unangenehmen Fragen die Kinder haben werden. Alle Beteiligten sind am Ende tragische Figuren.
Die Kiss-Cam-Affäre sollte also weniger Exempel an den untreuen Seelen dieser Welt, sondern viel mehr als Katharsis, Läuterung, verstanden werden: Wehe dem Internet, das Leute schnell zu Stars, aber eben noch schneller zur Witzfigur macht!
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