Coldplay und Proteste in Iran: Das Aufmerksamkeitsprivileg teilen

Wenn sich Stars politisch engagieren, reflektieren sie oft ihre Privilegien nicht. Mitunter schaffen sie es aber, ihren Einfluss zu nutzen – wie Coldplay.

Der Coldplay-Sänger Chris Martin während eines Konzerts

Solidarisch mit den Menschen in Iran: Chris Martin von Coldplay Foto: Bruna Prado/ap

Wenn sich Stars politisch engagieren, gehört das leider oft in die Kategorie: Gut gemeint, aber lasst es lieber – oft fehlt eine Reflexion der eigenen Privilegien. Die besten Beispiele in jüngerer Zeit sind in meinen Augen zum einen das „Imagine“-Video, das 25 Promis in Selbstisolation zu Beginn der Pandemie einsangen. Eine abgehobene und realitätsfremde Aktion, die nicht nur cringe war, sondern auch die Lebensrealität der weniger privilegierten Menschen null reflektierte.

Fast noch schlimmer war, als zu Beginn der Black-Lives-Matter-Proteste schwarze Kacheln gepostet wurden. Ich habe dieses kollektive Handeln bei vielen als unauthentisch wahrgenommen und der begleitende Hashtag #blacklivesmatter überdeckte obendrein relevante Inhalte von den Demos.

Wenn Celebritys ihren Einfluss aber gezielt nutzen, kann ich nur applaudieren – auch wenn es in dem Fall meine Nicht-Lieblingsband Coldplay ist. Die Gruppe um Chris Martin hat kürzlich ein Konzert in Buenos Aires, das live in mehr als 3.500 Kinos und gut 70 Länder übertragen wurde, für eine politische Botschaft genutzt: Sie lud Schauspielerin Golshifteh Farahani auf die Bühne ein, um das Lied „Baraye…“ von Shervin Hajipour zu singen, eine Hymne der Iran-Revolution. Farahani lebt selbst wegen Konflikten mit dem iranischen Regime seit mehr als einem Jahrzehnt in Paris.

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Coldplay gilt vielleicht als eine der „meistgehassten“ Bands, sie ist aber auch eine der meistgehörten, was dieses weltweit ausgestrahlte Konzert ja beweist. Und wir alle wissen, wie kurz die Aufmerksamkeitsspannen von Menschen und Medien sein können. Seit zwei Monaten demonstrieren Ira­ne­r*in­nen bereits, und ich habe das Gefühl, das Interesse an dieser Revolution nimmt langsam ab (was auch mit dem rapiden Musk-bedingten Bedeutungsverlust von Twitter in den letzten Wochen einhergehen mag).

Umso wichtiger ist es, dass jetzt sämtliche Plattformen genutzt werden, damit wir alle weiterhin daran erinnert werden hinzuschauen, weil die Weltöffentlichkeit für die Demonstrierenden essenziell ist. Sich gegen dieses Regime zu erheben, ist ungemein gefährlich, kann tödlich sein: Inzwischen wurden mehrere hundert Menschen ermordet, viele Tausende verletzt und/oder festgenommen.

Genau deshalb ist es relevant, dass sich Celebritys wie Coldplay ihrer Reichweite bewusst sind. Ein Lied und eine politische Botschaft dazu können sehr effektiv sein, um zum einen weniger politisierte Fans zu erreichen, die sich bisher vielleicht nicht mit der Revolution in Iran beschäftigt haben. Und vor allem halten sie dadurch die Anteilnahme von vielen aufrecht. Gerade jetzt, da Todesstrafen verhängt werden, ist es umso wichtiger, dass das Thema nicht auf die hinteren Seiten der Zeitungen verbannt wird. Denn neben ihrem unfassbaren Mut ist eine der wichtigsten Währungen der Demonstrierenden, dass wir hinschauen.

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... arbeitet als freie Journalistin mit Schwerpunkt auf Kultur und Gesellschaft für diverse Medien und macht auch sonst allerhand Jux und Tollerei mit dem geschriebenen Wort. Frankfurt/Barcelona

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