Kabinett beschließt Kindergrundsicherung: Viel Lärm um fast nichts
In der Debatte um Kinderarmut ist die Ampelkoalition tief gesunken. Was jetzt beschlossen wurde, ist dürr. Aber mehr ist mit der FDP nicht drin.
E s gibt Momente unfreiwilliger Ehrlichkeit in der Politik. Zum Beispiel am Mittwoch, als Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte: „Die Kindergrundsicherung ist die Antwort der Bundesregierung auf die Kinderarmut.“ Ja, genau, das ist die Antwort, und diese Antwort auf die Kinderarmut ist karg.
Die versprochenen materiellen Verbesserungen sind Neuberechnungen beim Existenzminimum, die für bestimmte Altersgruppen voraussichtlich um bis zu 28 Euro höhere monatliche Regelsätze ergeben. Zudem wird die Anrechnung von Einkommen abgemildert. Beides hätte man aber auch einfacher haben können, das Existenzminimum etwa wurde immer wieder mal neu berechnet, Einkommensanrechnungen verändert.
Das Herzstück der Reform, die Auszahlung der Kindergrundsicherung durch neue Familienservicestellen, ist riskant, denn das bedeutet einen gigantischen Verwaltungsumbau. Behördenvertreter:innen warnen, dass der Umbau die Antragstellungen für Familien im Bürgergeldbezug verkomplizieren könnte. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein „Bürokratieabbau“ nach hinten losgeht, weil die „Vereinfachung“ erst mal aufwendig organisiert werden muss und Nebenwirkungen zeitigt.
Der politische Streit befeuerte Diskriminierungen. Man solle Alleinerziehenden, Familien im Bürgergeldbezug, darunter vielen mit Migrationshintergrund, bloß nicht zu viele Sozialleistungen gewähren, damit man keine „Erwerbsanreize“ mindere, warnten FDP und Union. Die FDP setzte durch, dass man Flüchtlingskinder von der Kindergrundsicherung entkoppelt und sie damit 20 Euro im Monat verlieren. Man wolle für Asylbewerber:innen „keine falschen Signale“ senden, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Dass er sich mit solchen Äußerungen nicht schäbig vorkommt, zeigt, wie tief man sinken kann in der Debatte.
Man kann also nur hoffen, dass es mit dem neuen Gesetz ab 2025 für manche Geringverdiener:innen tatsächlich einfacher wird, Sozialleistungen für ihre Kinder zu beantragen. Mehr ist im Moment nicht drin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste