Judenhass an Universitäten: Offene Briefe, aggressive Boykotte
Antisemitismus an Hochschulen, mal subtiler, mal aggressiver, war nie weg. Israel droht eine wissenschaftliche Isolation ohnegleichen.
W enn es heute auf Demonstrationen, in Texten, auf Podien, um Antisemitismus geht, dann fällt so gut wie immer das Wort Kontinuität. Auch ich verwende den Begriff und bin doch davon genervt, nicht, weil es nicht zutreffend ist, von Kontinuität im Zusammenhang mit Judenhass zu sprechen. Nein, vielmehr stößt mir auf, dass ich mir sicher bin, viele, die von Kontinuität sprechen oder davon hören, sind sich der Ereignisse, der historischen Vergangenheit, die diese Kontinuität formt, nicht bewusst.
Der Judenhass im akademischen Milieu weist so eine Kontinuität auf, heißt also: Der Judenhass an Universitäten war niemals verschwunden, er ging erst über von einem Jahrhundert ins nächste, dann von der herbeigesehnten Stunde Null bis ins Hier und Jetzt. Juden an den Hochschulen zu bedrohen, auszuschließen und zu verfolgen war dabei nicht nur eine deutsche, nationalsozialistische Erscheinung. Die antisemitische Praxis an den Universitäten machte sich breit in ganz Europa.
Die Maßnahmen reichten von antijüdischen Gesetzen bis hin zu körperlicher Gewalt. Schon 1920 führte Ungarn einen Numerus Clausus für jüdische Student:innen ein. In Polen bekämpften antijüdische studentische Verbindungen Juden an den Hochschulen mit Propaganda und Angriffen.
Die Sprache, mit der heute – besonders an den Hochschulen – ein Boykott Israels gefordert wird, erinnere an die Sprache, mit der in den 1930er Jahren in Polen separate Plätze in den Hörsälen für jüdische Studierende gefordert wurden. Das erklärte die Professorin für Slawistische Literaturwissenschaft in Leipzig, Anna Artwinska, kürzlich in einem Interview. Die sogenannten „Ghettobänke“ wurden ab 1937 eingeführt und waren Sitzplätze für Juden in besonders gekennzeichneten Bereichen.
Mal subtiler, mal aggressiver
Der Antisemitismus hat die Hochschulen in den mitteleuropäischen Ländern zu dieser Zeit nicht überrollt. Er hat sich Schritt für Schritt eingeschlichen, mal subtiler, mal aggressiver.
Israel droht heute eine wissenschaftliche Isolation, davon erzählt ein Text der ZEIT. Wissenschaftler berichten von persönlichen Boykotten, europäische Universitäten stoppen die Zusammenarbeit. Auf Druck von emotionalisierten Kollegen, die „den Konflikt“ voller Sorge beobachten, werden Einladungen zurückgezogen oder Partnerschaften aufgekündigt.
Ich halte nichts von historischen Gleichsetzungen, sie sind analytisch ergebnislos. Aber wie soll man bei wissenschaftlichen Boykottaufrufen gegenüber israelischen Institutionen, die in offenen Briefen oder von erregten Student:innen gefordert werden, nicht an eine frühere Zeit erinnert werden?
Ist es ein „Verrat der Intellektuellen“ (Julien Benda), der Hang zu Autorität, den wir gerade beobachten? Nichts anderes als ein autoritärer Wunsch ist ein Boykottaufruf schließlich. Trägt solches Verhalten nicht dazu bei, dass sich Antisemitismus weiter verbreitet? Etwas, da bin ich mir sicher, ist verrückt. Und ich meine dies wörtlich: ver-rückt.
Narzisstischer Akt
Ein offener Brief ist eine Selbstvergewisserung, vielleicht gar ein narzisstischer Akt. Was bringt so ein Brief? Herzlich wenig. Und doch, so glaube ich, braucht es ihn hier und da. Als Moment des Widerspruchs. Die Möglichkeit, eine Debatte anzustoßen. Hunderte „Profs against Antisemitism“ haben dies aktuell getan. Die Unterzeichner stellen sich „ohne Wenn und Aber vor unsere jüdischen Studierenden und Kolleginnen und Kollegen“, heißt es in dem Schreiben. Sie reagieren damit auf den Brief Berliner Lehrender zu den Besetzungen an der FU Berlin und anderen Universitäten.
Ich hoffe, damit ist die Reihe der offenen Briefe beendet. Statt Energie darauf zu verschwenden oder die nächste aggressive Besetzung zu organisieren, täte es so manchem gut, sich der Kontinuität zuzuwenden. Sie zu studieren, über sie aufzuklären. Die Universität scheint mir dafür ein passender Ort.
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