Interview mit Journalistin Ferda Ataman: „Wir messen mit zweierlei Maß“
Integration befördert Rassismus, sagt Ferda Ataman. Sie fordert Dankbarkeit gegenüber Migrant_innen – und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Deutschsein.
taz: Frau Ataman, neulich hat Dieter Bohlen uns mitgeteilt, wie ein Mädchen aus Herne seiner Meinung nach aussehen kann und wen man nach der „eigentlichen“ Herkunft fragen muss. Eine Steilvorlage für Ihr Buch, oder?
Ferda Ataman: Ja. Insofern danke, Dieter! Ich bin immer noch überrascht, wenn ich höre, dass man halt fragt, wenn jemand asiatisch aussieht. Es ist Zeit, dass wir „asiatisches Aussehen“ in den Katalog der Deutschen aufnehmen. Mein Buch heißt zwar „Hört auf zu fragen. Ich bin von hier“, aber eigentlich geht es mir nicht darum, wer was fragt – sondern darum, wie wir das Deutschsein verstehen.
Bei der Frage nach dem Woher sagen die einen wütend: Geht gar nicht. Die anderen werden sauer und sagen, das sei bloß freundliche Neugierde. Warum ist da so viel Emotion?
Vermutlich, weil die sogenannte Rassismuskeule über der Frage schwebt und viele sich angegriffen fühlen. Der Punkt ist: Man verlässt die eigene Komfortzone.
Wer verlässt seine Komfortzone?
Die meisten Menschen denken von sich, dass sie nichts Böses tun. Und Rassismus gilt als böse. Eine vermeintlich harmlose Frage damit in Verbindung zu bringen ist unangenehm. Aber niemand hat gesagt, dass man nichts mehr fragen darf. Dass man ein bisschen sensibler sein sollte, ist aber nicht zu viel verlangt.
Ferda Ataman, 39 Jahre alt, ist Publizistin und Kolumnistin. Sie ist Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher und Sprecherin des Netzwerks Neue Deutsche Organisationen. Ihr Buch „Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!“ ist am 15. März bei S. Fischer erschienen. 208 Seiten für 13 Euro.
Und wie kann diese Sensibilität aussehen?
Man sollte sich bewusst machen, warum man diese Frage manchen Menschen nie stellt und anderen immer. Meine Schwiegermutter heißt Brigitte und wird nie gefragt. Dabei hat sie, die Wurzeldeutsche in der Familie, eine schlesische Migrationsgeschichte und sogar Fluchterfahrung. Ich werde ständig gefragt, obwohl ich keine eigene Migrationserfahrung habe.
Und das nervt?
Mich schon. Weil es dann vor allem um Klischees geht wie türkisches Essen oder Urlaub in Antalya oder um sehr persönliche oder politische Fragen: Was hältst du von Erdoğan, was vom Kopftuch, fühlst du dich hin und her gerissen? So etwas eignet sich nicht für Smalltalk.
Warum wollen wir darüber unbedingt sprechen?
Viele glauben, die Herkunft eines Menschen hätte Aussagekraft über die Person. Es gibt eine regelrechte Wurzelbesessenheit: Nenn mir deine Wurzeln, und ich sag dir, wer du bist. Manche reden ja auch noch von Völkerverständigung, wenn sie die offene Gesellschaft meinen, und von Ethnienvielfalt.
Was ist daran problematisch?
Ich finde das total rückständig: Wir glauben ernsthaft noch, dass Menschen bestimmten Stämmen angehören. Ohne es auszusprechen, sagen wir damit auch, dass es den Stamm der Deutschen gibt. Und manche finden: Weil der länger hier ist, hat er auch bestimmte Vorrechte. Genau da fängt der Rassismus an.
Weil diese Annahme viele Menschen grundsätzlich ausschließt?
Wir sind heute ein Einwanderungsland, aber wir haben es noch nicht verstanden. Stattdessen haben wir ein Bild von der deutschen Aufnahmegesellschaft, das sich seit den 50er Jahren nicht verändert hat. Dabei sind die Migrantinnen und Migranten längst Teil dieser Aufnahmegesellschaft. Es ist schräg, dass wir zur deutschen Leitkultur nur Weißwürste und Bier zählen und nicht so was wie Döner. Nirgendwo wird so viel davon gegessen wie in Deutschland.
In den letzten Jahren sind zahlreiche Bücher erschienen, in denen die Autor_innen sich mit Zugehörigkeit und Ausgrenzung beschäftigen. Warum gerade jetzt?
Weil wir uns in einem handfesten medialen und politischen Rechtsruck befinden. Für Leute, die das betrifft, ist das existenziell. Fünf Jahre, und eine rechtspopulistische Partei, die es vorher gar nicht gab, sitzt im Bundestag und in allen Landesparlamenten. Sie muss nicht mal anwesend sein, um den Diskurs zu bestimmen, sie wird überall mitgedacht. Wenn das in dem Tempo weitergeht …Uns geht der Arsch auf Grundeis.
Sie schreiben, dass es nicht erst seit den Erfolgen der AfD in der zweiten und dritten Generation der Migrant_innen „brodelt“. Warum?
Es brodelt, weil wir Ansprüche stellen. Und wir stellen sie, weil wir zu langsam Fortschritte machen. In den neunziger Jahren ist meine Mutter schon zu irgendwelchen Lichterketten gegangen, und heute muss ich mich mit den gleichen Debatten befassen. Ich verstehe nicht, warum es uns so schwer fällt, Migration nicht als Problem zu betrachten und sachlich über Integration zu reden.
Was stört Sie an der Diskussion?
Die Integrationsdebatte in Deutschland ist völlig verlogen. Es interessiert uns nur, wo die Integration gescheitert ist. Wir haben auch nie geklärt, ab wann sie gelungen und abgehakt ist – weil sie es offenbar nie ist. Migranten und Migrantisierte stehen in der ewigen Bringschuld, ebenso ihre Kinder und Enkel. Politiker missbrauchen die Forderung nach Integration, um zu zeigen, wie konservativ und hartgesotten sie sind. Auch, wenn das an der Realität vorbeigeht. Denn eigentlich könnten wir total zufrieden sein.
Weil es eigentlich ganz gut läuft?
Wir haben früher null Komma null Integrationsangebote gemacht, stattdessen gab es Rückkehrförderung. Und trotzdem sind Generationen von Leuten in der Gesellschaft angekommen, gehen zur Schule, schaffen Bildungsabschlüsse. Unser Land prosperiert. Unser ganzes System baut darauf auf, dass wir günstige Arbeitskräfte aus dem Ausland haben, zum Beispiel in der Pflege.
Im Grunde genommen müsste man also nur aus der anderen Richtung auf Integration blicken – und dann wäre alles besser?
So einfach ist es nicht, denn gut laufende Integration baut Rassismus leider nicht ab, sondern befördert ihn sogar: Viele fühlen sich erst „überfremdet“, seit Fatma und Ali nicht mehr als Putzfrau und Müllmann arbeiten, sondern Lehrer werden oder in die Chefetagen schielen.
Warum das?
Es ist genau wie in der Gleichstellungsdebatte: Wie viele Chefposten haben wir, und wer bekommt die? Wir führen eine Verteilungsdebatte. Die Kinder von Migranten, die eigentlich Niedriglohnjobs machen sollten, konkurrieren jetzt mit den Wurzeldeutschen auch um die guten Jobs. Und sie reden mit in öffentlichen Debatten. Wenn ein Buch mit dem Titel „Eure Heimat ist unser Albtraum“ erscheint, dann ist das ein Teil der deutschen Heimatdebatte und kein Einwurf von außen.
Wir haben also ein Problem mit der Selbstwahrnehmung.
Ja, und wie. Viele Menschen in Deutschland haben das Gefühl, dass wir eine migrationsfreundliche Gesellschaft sind und viel zu viele Leute reinlassen. Das ist eine verzerrte Wahrnehmung. Wir haben – abgesehen von Geflüchteten – noch nie Menschen reingelassen, um ihnen was Gutes zu tun. Wir haben sie immer nur einwandern lassen, weil wir fanden, das tut uns gut, das tut Deutschland gut.
So wie damals, als die deutsche Wirtschaft die sogenannten Gastarbeiter_innen brauchte. Und so wie heute, wenn wir von über 260.000 ausländischen Fachkräften sprechen, die Deutschland jährlich benötigt?
Ja. Und obwohl wir es sind, die sie hier brauchen, erwarten wir gleichzeitig, dass sie Dankbarkeit zeigen – von der nächsten und übernächsten Generation absurderweise auch. Deswegen dürfen Migranten und ihre Nachkommen auch keine Fehler machen.
Inwiefern?
Wir messen mit zweierlei Maß. Wenn Wurzeldeutsche die AfD wählen, sind sie besorgte Bürger*innen – wenn Mesut Özil Erdoğan huldigt, ist er schlecht integriert und illoyal. Viele Leute waren da aber auch wahnsinnig gekränkt: Wir haben ihm doch die Möglichkeit gegeben, ein Fußball-Weltstar zu werden. Warum ist der denn nicht dankbar?
Schuldet Deutschland seinen Migrant_innen Dankbarkeit?
Ganz klar: Ja. Meine Eltern und die vieler anderer haben sich kaputtgeschuftet für kleines Geld. Unser Sozialstaat wäre ohne Migration nicht denkbar. Ich fände es gut, wenn es das politische Signal gäbe: Migration gehört zu uns, und wir sind dankbar für das, was Migranten leisten. Ich will ein einziges Mal hören, dass meine Eltern nicht nur ein Problem sind. Sondern dass sie dieses Land mit aufgebaut haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“