Insekten als Delikatesse: Leckere Schrecke
Die EU erlaubt gemahlene Insekten als Lebensmittel. Hubsi Aiwanger regt sich deshalb auf – das ist Populismus gegen den guten Geschmack.
Was ist knusprig, trocken und macht satt? Denken Sie jetzt an eine Tüte Chips? Oder an Knäckebrot? Ich denke an getrocknete Insekten. An Heuschrecken, Grillen, Schmetterlingslarven. Während Sie sich jetzt vielleicht – wie die meisten Menschen in der westlichen Welt – vor Ekel schütteln, regt sich bei mir der pawlowsche Reflex: Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.
Insekten zu essen, ist ein Hochgenuss. Sie schmecken nussig, knuspern im Mund und sind mit jeder Menge Proteinen, Vitaminen und Omega-3-Fettsäuren, die sonst fast nur in Fischen vorkommen, total gesund. In Asien gibt es das Fingerfood an fast jeder Ecke. Auch in manchen Ländern Afrikas und Südamerikas. Dort ist der Konsum von gegrillten Insekten mitunter so normal wie bei uns das Grillen von Nackensteaks.
Vielleicht bald auch bei uns. Ab Dienstag erlaubt die EU per Gesetz der vietnamesischen Firma Cricket One, teilweise entfettetes Pulver aus Hausgrillen als Lebensmittel zu verkaufen. In ein paar Tagen dürfen laut der neuen EU-Vorschrift zudem Getreideschimmelkäferlarven verwendet werden. Das ist ganz wunderbar, endlich hält das Superfood in Europa Einzug. Aber leider werden Supermärkte die Maden, Würmer und Käfer nicht als Snack für Einfach-so-zum-Wegschnurpsen auf der Straße anbieten. Oder als Rindfleischersatz bei der Grillparty in der Gartensparte, sondern vor allem als Mehl, das manchen Lebensmitteln beigemischt wird.
Auch wenn Sie sich jetzt vor Abscheu schütteln – all das gibt es bereits. Schon länger enthalten manche Nudelsorten, Kekse und Proteinprodukte Mehlwürmerpulver. Steht in der Regel nicht groß vorn auf der Verpackung, sondern hinten beim Kleingedruckten.
Klimafreundliche Proteinaufnahme
Falls Sie jetzt überlegen, ob Sie von ihrem Lieblingsnudelhersteller insektenmäßig schon mal reingelegt worden sind – freuen Sie sich lieber darüber, dass Sie auf dem Pfad der Tugend wandeln: Insektenessen fürs Weltklima. Schlauer als Hubert Aiwanger, Wirtschaftsminister und Vizeministerpräsident Bayerns, sind Sie sicher allemal. Der glaubt nämlich, dass Bauarbeiter vom Gerüst fallen, wenn sie drei Tage lang kein Fleisch gegessen haben. So jedenfalls begründete der Bauernsohn und Jäger einmal sein Karnivorenplädoyer. Im Hause Aiwanger gibt es sonntags meist Braten und abends Wurst.
Für Insekten dürfte sich Hubsi, wie ihn Freund:innen liebevoll nennen, nicht in jedem Fall erwärmen. In seiner ganz eigenen Unterkomplexität twitterte Aiwanger am Wochenende zur Großdemo für Klimaschutz und gutes Essen: „#WirHabenEsSatt dass Fleischverzehr von Rind/Schwein/Geflügel kritisiert wird, aber Insekten ins Essen sollen. Früher wurde ein Lebensmittelbetrieb bei Mehlwürmern und Schaben geschlossen, heute soll es ‚in‘ sein, damit Veganer ihr tierisches Eiweiß bekommen. #GenussStattEkel.“
Würde sich Aiwanger ein wenig mit Veganismus beschäftigen, könnte er die aufgeregten Veganer:innen, die wild zurücktwittern, sie äßen gar nichts Tierisches, eben auch keine Insekten, besänftigen: Leute, kommt mal wieder runter, ich wollte doch nur einen populistischen Tweet raushauen. Ist halt Wahlkampf in Bayern, und die Grünen liegen gerade weit vor meinen Freien Wählern, das kann ich doch nicht zulassen.
Würde sich Hubsi Aiwanger auch noch mit Entomophagie – so heißt die Ernährung mit Insekten – befassen, wüsste er, dass es rund 2.000 essbare Insektenarten gibt. Dazu zählen neben all den Larven, Käfern und Maden auch Wespen und Ameisen. Und dann wären da auch noch Skorpione.
Skorpione sind – das ist meine absolute Genussempfehlung – sogar noch besser als Insektenmahlzeiten. Der Kopf knackt beim Reinbeißen, den langen Schwanz kann man verlustlos ausspucken. Aber dieser krosse Chitinpanzer, der hat es in sich: Er teilt sich im Mund wie von selbst und lässt das Fleisch darunter frei. Und das schmeckt nach Hummer. Mal ehrlich: Was will man mehr?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste