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Innenminister gegen Coronaprotest„Querdenkern“ Paroli bieten

Der Coronaprotest widersetzt sich Verboten, impfende Ärzte beklagen Bedrohungen. Die In­nen­mi­nis­te­r:in­nen­kon­fe­renz will nun reagieren.

Immer wieder kommt es zu Anfeindungen an Impfzentren – die Innenminister wollen nun reagieren Foto: Jan Woitas/dpa

BERLIN taz | Vor dem Gesundheitsamt im rheinland-pfälzischen Altenkirchen wird Feuer gelegt, ein Schaden im vierstelligen Bereich entsteht. In Dresden-Prohlis schleudert ein Unbekannter einen Feuerwerkskörper in einen Bürgersaal, wo ein Impfteam arbeitet. In Hamburg schießt ein Mann einem Türsteher mit einer Gaspistole ins Gesicht, nachdem dieser ihn auf das Maskentragen hingewiesen haben soll.

All dies sind Vorfälle aus den vergangenen Tagen. Zudem gingen erst am Montag in Sachsen und Thüringen wieder Hunderte gegen die Coronamaßnahmen auf die Straße – obwohl solche Versammlungen aus Infektionsschutzgründen untersagt sind. Es sind Zustände, die zunehmend die Politik besorgen.

Wenn am Mittwoch die In­nen­mi­nis­te­r:in­nen zu ihrer halbjährlichen Konferenz zusammenkommen – diesmal pandemiebedingt digital und ein letztes Mal mit Noch-Bundesinnenminister Horst Seehofer –, wird dieses Thema deshalb eines der zentralen sein.

„Besorgniserregende Entwicklung“

„Der Coronaprotest nimmt eine besorgniserregende Entwicklung“, sagt Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) der taz. „Es ist sehr deutlich, dass dort großes Konfliktpotential besteht und die Radikalisierung voranschreitet.“ Auch Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) nennt die Protestierenden angesichts der Pandemielage „ignorant und egoistisch“. Die Aufzüge seien, ohne Maske und Abstand, „Brandbeschleuniger und gefährden die Gesundheit von uns allen“. Und ein Sprecher von Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) betont, dass die Teilnehmenden „immer stärker verbal aggressiv gegen Einsatzkräfte auftreten, hinzu kommt auch körperliche Gewalt“.

Das BKA rechnet der Szene zwar weiterhin „größtenteils Beleidigungen und Bedrohungen“ zu. Auch Seehofers Ministerium sieht zwar „keine konkreten Hinweise auf weitere Radikalisierung der zentralen Akteure“. Dennoch sei zuletzt verbal aggressives und gewaltbereites Verhalten festzustellen.

Und die Polizei registrierte auch schwere Straftaten: Im Münsterland wurden ebenfalls Brände vor zwei Teststationen gelegt, in Brandenburg/Havel vor zwei Stationen Buttersäure verkippt, in Berlin schleuderten Unbekannte vor Monaten einen Brandsatz gegen ein Gebäude des Robert Koch-Instituts. Vor allem aber ein Fall erschütterte Behörden und Politik: Die Ermordung eines Tankstellenmitarbeiters durch einen Coronaskeptiker im September in Idar-Oberstein. Dieser hatte den Täter auf die Maskenpflicht hingewiesen.

Verfassungsschutz sieht „rote Linien“ überschritten

Schon im Frühjahr hatte der Verfassungsschutz Teile des Coronaprotests als Beobachtungsobjekt eingestuft, Präsident Thomas Haldenwang warnte vor einer Gewaltspirale, die angefacht etwa durch Hass im Internet auch „tödlich enden kann“.

Sachsens Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian spricht aktuell von längst überschrittenen „roten Linien“, mit Angriffen auf Polizist:innen, Jour­na­lis­t:in­nen oder strafbewehrten Verbalattacken gegen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Die Idee eines gewaltsamen Widerstands gegen demokratische Regeln sei inzwischen eine „Standardforderung“ der Bewegung.

Ärzte und Impfzentren bekommen Hass ab

Der Hass der Coronaprotestierenden richtet sich dabei neben Po­li­ti­ke­r:in­nen vor allem auf Impfzentren, impfende Arztpraxen oder Testzentren. So musste gerade erst im sächsischen Zittau ein Testzentrum schließen – laut Betreiber wegen Ausrastern von positiv Getesteten.

Der Deutsche Ärztetag warnte zuletzt: „Die Situation ist alarmierend.“ Impfende Ärzte erhielten Drohschreiben, würden beschimpft oder Opfer körperlicher Gewalt. Gäben sie Patienten Hinweise auf Coronaregeln oder fragten nach dem Impfstatus, sei Aggressivität inzwischen alltäglich. Viele Mediziner reagierten mit „Unsicherheit und Angst“, ihre Arbeit erschwere sich „ganz erheblich“.

Auch das BKA nennt Impfgegner und Coronaleugner ein „relevantes Risiko“ für Angriffe auf Impfzentren oder Arztpraxen. Für das dortige Personal bestehe „die Gefahr, zumindest verbalen Anfeindungen bis hin zu Straftaten ausgesetzt zu sein“. Vereinzelt könne dies auch „körperliche Übergriffe“ bedeuten.

„Mein Verständnis ist aufgebraucht“

Auf der Innenministerkonferenz sollen nun Gegenmaßnahmen besprochen werden. Thüringens Innenminister Maier will den Coronaprotest härter angehen. „Die Politik muss hier eine deutliche Sprache sprechen und konsequent agieren.“ Maier vermutet vorwiegend Ungeimpfte unter den Protestierenden. „Lange hat die Politik auf sie Rücksicht genommen. Wenn diese aber teilweise mit Extremisten paktieren, ist mein Verständnis aufgebraucht.“ Denn laut Maier seien es oft bekannte Rechtsextremisten, die zu den Protesten aufriefen. Dennoch würden Bürgerliche dem Aufruf folgen. „Das Ziel der Extremisten, eine Entgrenzung zu erreichen, ist hier teils erreicht. Und da dürfen wir nicht zuschauen.“

Auch NRWs Innenminister Herbert Reul spricht von einer inzwischen „gewaltbereiten Szene“. Er fordert mehr Onlineüberwachung des Coronaprotests, um frühzeitig mutmaßliche Gewalttäter aufzuspüren. „Wir müssen Täter schon vor einer Tat identifizieren“, so Reul. Verfassungsschutz und Polizei bräuchten dafür die nötigen Instrumente.

Der Ärztetag sieht indes nicht nur die Behörden gefordert. Die Gewalt gegen Ärzte müsse „gesellschaftlich geächtet“ werden, heißt es in einem aktuellen Beschluss. Auch brauche es Maßnahmen der Gewaltprävention und Aufklärungskampagnen über die Arbeit von Ärzt:innen. „Der gesesellschaftliche Zusammenhalt und die Solidarität mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen sind gerade in Zeiten wie diesen wichtiger denn je.“

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16 Kommentare

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  • @RUDOLF FISSNER

    Besser als Frau Bernhard kann ich es nicht erklären. Lesen Sie einfach mal [2] aufmerksam durch.

  • "Die Gewalt gegen Ärzte müsse „gesellschaftlich geächtet“ werden, heißt es in einem aktuellen Beschluss."



    Ich hätte ja eigentlich angenommen, das ist sie bereits. Aber man lernt ja nie aus...

    "Auch brauche es ... Aufklärungskampagnen über die Arbeit von Ärzt:innen."



    Wer nicht weiß was Ärzt so tun und wozu sie da sind, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen...

    • @Encantado:

      Es gab da schon Veränderungen in den letzten jahren was die Gewaltbereitschaft gegen Krankenhauspersonal angeht. Kann sich irgendjemand erinnern dass es vor 30 oder 40 Jahren einen Sicherheitsdienst in einem Krankenhaus brauchte? Vielleicht war das in den alten Ländern ja auch schon vor der Wende usus. Bei uns hier hat es sowas jedenfalls damals nicht gegeben. Die Bereitschaft Ärzte oder Pfleger anzugreifen hat deshalb schon eine neue Qualität. Meine Frau rechnet in der Praxis aktuell täglich mit einem irren Querdenker der anfängt um sich zu schießen.

      • @Šarru-kīnu:

        Meines Wissens war es noch nicht mal vor 10 Jahren überhaupt vorstellbar, dass Sanis und Feuerwehrleute bei ihrer Arbeit An- und Übergriffen ausgesetzt sein könnten, weil sie Leute beim Filmen stören.

  • auch noch erwähnenswert dass sich das Personal auf den Intensivstationen mit diesen Menschen und deren Angehörigen rumschlagen darf.

  • @AFFI

    So zuwider mit die Covidiotenszene ist, so sehr bin ich mit Ihnen einverstanden: der Reul ist ein opportunist, der jede Gelegenheit für seine autoritäre Linie nutzen wird.

    Ich finde, staatliches Handeln ist weit hinter seinen Möglichkeiten geblieben. Bevor es die autoritäre Karte zieht, sollte es vielleicht nach Bremen [1] [2] schauen.

    Meine Einschätzung: entweder weiss es Reul nicht besser, oder er lügt uns an. In beiden Fällen ist er nicht für seinen Job geeignet.

    [1] taz.de/Corona-Impfkampagne/!5772400/



    [2] taz.de/Gesundheits...fpflicht/!5818583/

    • @tomás zerolo:

      Erklären Sie doch bitte, wieso sie - wie Gesundheitssenatorin Bernard für Bremen - für Sachsen das Vertrauen in die dortige Bevölkerung haben, dass ein rechtzeitig hohe Zahl an Geimpften dort möglich ist.

  • Es reicht eben nicht, wenn man Querdenker, Coronaleugner & Co einfach als Schmuddelkinder in die Ecke stellt und ihnen droht. 2017 wurde auch die AFD so stark, weil die etablierten Parteien sich nicht mit ihr auseinandersetzen wollten, -ihr quasi den Rücken zukehrten. Dadurch konnte sie sich als "Sprachrohr der Entmündigten" gegen die arroganten Etablierten inszenieren. Der gleiche Mechanismus greift heute auch für Coronaleugner und Querdenker. Auch wenn es manchmal richtig schwer fällt, aber es bleibt nichts anderes übrig: man muß exakt ihre Pseudoargumente aufgreifen, die zweifelhaften Kapazitäten, auf denen sie sich oftmals berufen offenlegen, ihre Widersprüchlichkeiten belegen und die lange Liste ihrer Falschbehauptungen ständig aktualisieren. Und dabei auch ihren unsachlichen&undemokratischen Diskussionsstil im Auge behalten. Nur so kann man u.U. verhindern, dass sie weiterhin Frustrierte an sich binden, die sich von den Etablierten nicht wahr genommen fühlen.

    • @Winfried Burger:

      Diese Strategie (Leute ernst nehmen, Scheinargumente widerlegen etc., bloß nicht zu heftig auf die zarten Zehen treten) hat man ja bis jetzt gefahren - der Erfolg ist nich tnur gleich Null, die Szene hat sich radikalisiert!



      Das trifft übrigens genauso auf das genannte Beispiel AfD zu, auch dort war immer davon die Rede, dass man die "Sorgen ernst nehmen" sollte, mit den Leuten reden, dagegen argumentieren" - mit dem gleichen Erfolg.



      Ich bin da eher für die Maxime: Wenn etwas klappt, mach es weiter, wenn etwas nicht klappt, mach was anderes.

      • @Puck:

        Sehr richtig. Coronaleugner/Impfgegner, Klimaschutzverweiger, AFD-Anhänger und Nazis sind mit Argumenten und Dialogbereitschaft nicht mehr zu bewegen, ihre Haltung auch nur ein kleines bißchen in Frage zu stellen. Die sind ideologisch so verbohrt und damit in ihrer Welt und ihrem Weltbild so gefestigt, da ist nichts mehr zu erreichen. Diese Menschengruppen kultivieren eine infantile Vorstellung von Freiheit und eine abartige Wissenschaftsfeindlichkeit.

        Und dann stellen sich noch Politiker in und sagen, wenn man die zu hart kritisiere, spalte man die Gesellschaft. Was bitte ist denn Ärzte belästigen und bedrohen, Brandsätze legen und Buttersäure verschütten?

        Traurig, wie hilflos wir solchen Leuten als Gesellschaft und als Staat gegenüber stehen und uns von ihnen in Geiselhaft nehmen lassen.

        • @Bussard:

          Laschets Nachfolger Wüst entschuldigt sich ja nun bei "der Bevölkerung". Wegen "Wortbrüchigkeit". Das gebrochene Wort: "Es wird keine Impfpflicht geben".

          So läuft das also bei den Konserven: man entschuldigt sich bei den Flacherdlern. Nicht etwa bei der realitätsverhafteten Bevölkerung für Eidbrüchigkeit, denn auch Wüst und Spahn und Merkel haben geschworen, "Schaden abzuwenden" von der Bevölkerung - und darin sind sie kläglichst gescheitert wegen ihres Kuschelkurses mit den Schwurblern, so katastrophal gescheitert wie noch nie eine deutsche Regierung seit 1945 gescheitert ist!

  • Sein wir mal ehrlich: das sind überwiegend, aber nicht nur Rechte, sondern auch Linke. Und gleich nochmal ehrlich: der Unterschied zwischen Rechten und Linken in dieser Frage ist schwer feststellbar. Und drittens: es gibt gemeinsame Denkmuster, die dies begünstigen. Das sind blanker Egoismus, esoterischer Individualismus, anarchistisches und sozialdarwinistisches Denken, besserwisserisches und selbstverliebtes Pseudokritischsein. Eigentlich alles ziemlich lächerlich bei einer lebensgefährlichen Bedrohung, bei der wir, erstmals überhaupt, schnell reagieren können und Opfer vermeiden können. Was wäre denn passiert, wenn die Pandemie vor 20 Jahren gekommen wäre? Dann wären jetzt Millionen tot, soll soetwas etwa besser oder natürlicher sein?



    Lustigtraurig auch, wie viel tatsächliches oder vorgebliches Verständnis es für die vermeintlich quer Denkenden in der Politik bislang noch gegeben hat. Und auch da ist das ganze Spektrum dabei: die AFD sowieso, FDP und Grüne auf jeden Fall auch und Wagenknecht gibt die Marianne auf links. Dabei ist der Befund doch eigentlich klar: Impfen ist Solidarität, Impfverweigerung ist unsozial. Und da Politik generell auf Regeln für alle und zugunsten aller zielt, müsste Politik also eigentlich generell nicht nur mit guten Worten sondern auch mit staatlichen Mitteln auf das Impfen drängen. Das ist die Jobbeschreibung und nicht irgendein Verständnis, das sich erst so langsam aufbraucht, wenn Gewalt ins Spiel kommt.

  • „Wir müssen Täter schon vor einer Tat identifizieren“, so Reul. Verfassungsschutz und Polizei bräuchten dafür die nötigen Instrumente.

    bei aller Antipathie für diese "Coronaprotestler" fasst Reul hier das Rechtstaatverständnis der Union treffend in einem Satz zusammen...

  • Ungeimpfte sind nicht nur Querdenker.Ob eine Impfpflicht viel ändert ist fraglich. Den Kern der Impfgegner wird es nicht von ihrer Einstellung abbringen. Der Großteil der Ungeimpften sind aber m.E. Leute die sich von der Politik nicht richtig informiert fühlen. Dieses Informationschaos zur Impfung und zum Impfstoff und zur Impfwirkung führt manchmal zu Skepsis und Ablehnung. Zumal jeder der geimpft werden will immer noch schriftlich auf einer Reihe von Fotmularen persönlich seinen Impfwunsch bestätigen muss! Warum wenn keine Gefahr besteht? Andere machens besser!

    • @Gerdi Franke:

      Ich bin das dritte mal geimpft und hab im Leben noch kein Formular dazu ausfüllen müssen. Kann also nicht immer und überall Usus sein.



      Und Skepsis und Ablehnung in allen Ehren, aber die muss ja doch wohl nicht zwingend zu Attacken oder gar Brandsätzen führen. Zur Distanzierung von Derartigem aber augenscheinlich auch nicht.

    • @Gerdi Franke:

      Es ist richtig, dass bis jetzt Ungeimpfte mehrheitlich keine Querdenker sind. Ich beobachte aber - unter anderem in den Sozialen Medien, aber nicht nur dort! - dass sie anfangen, sich diesen immer mehr anzugleichen und auch ansonsten intelligente Leute deren Argumente übernehmen. Die haben sich teilweise völlig verrannt mit ihrer "Überzeugung" , haben sich so weit aus dem Fenster gelehnt, dass sie nicht mehr zurück können ohne Gesichtsverlust. Die greifen inzwischen nach jedem Strohhalm, um zu beweisen, dass die Impfung doch irgendwie Schaden anrichtet.



      Da wäre Impfpflicht ganz hilfreich... bietet sich dadurch doch die Gelegenheit sich doch noch impfen zu lassen ohne Gesichtsverlust.