Impfungen in der vierten Corona-Welle: Dreifach hält besser
Die Inzidenz explodiert, die Politik bittet doppelt Geimpfte zur Auffrischung. Ob diese Booster die Katastrophe noch stoppen können?
Schwierige Situationen lassen den Menschen auf einfache Lösungen hoffen. Derzeit trägt die Situation wieder das Label Corona, so grell wie nie zuvor – und auch wenn man das Kapitel eigentlich abgehakt sehen wollte: Eine Lösung muss her.
Seit Wochen wird daher über Booster gesprochen. Eine dritte Impfung der bereits doppelt Geimpften, hieß es zuletzt aus dem Munde der Politik, könne die Katastrophe stoppen. Booster erscheinen also als Fortschritt im Vergleich zur Winter-Coronawelle des letzten Jahres, der weitreichende andere Regelungen überflüssig macht. Doch stimmt das überhaupt?
Rund zwei Drittel der Menschen in Deutschland sind zweifach geimpft, die meisten ausschließlich mit den modernen mRNA-Impfstoffen. Ein kleinerer Teil wurde mit einer Kombination aus einer Dosis der Vektorimpfstoffs von Astra-Zeneca oder Johnson & Johnson und einer weiteren Dosis mRNA-Impftsoff geschützt. In allen Fällen reduziert das Vakzin nach zwei Dosen das Risiko, schwer zu erkranken.
Dieses Risiko ist immer individuell zu sehen, abhängig vom vorherigen Risiko ohne Impfung, welches mit zunehmendem Alter eher hoch ausfällt. Aber bei den meisten Geimpften im mittleren Alter ist der Schutz sehr hoch. In den ersten Wochen nach der Impfung ist auch der Schutz vor Ansteckungen recht hoch. Daten aus Israel weisen auf gut 90 Prozent hin. Doch ebenfalls aus Israel stammen Erhebungen, die zeigen, dass der Schutz vor Infektionen mit der Zeit nachlässt, vor allem bei Älteren. Das heißt: Geimpfte können das Virus nach einigen Monaten wieder häufiger einfangen und übertragen.
Blut vs. Schleimhäute
Ein zentraler Grund dafür ist physiologischer Natur: Die Impfungen werden in die Muskulatur gegeben, meistens in den Oberarm. Dort entsteht die Immunantwort und wird auf den Blutkreislauf übertragen. Das reale Infektionsgeschehen findet aber in den Schleimhäuten der Atemwege statt. „Die Impfung induziert vor allem Antikörper, die im Blut zirkulieren und nicht – wie eine Infektion über die Atemwege – Antikörper, vor allem IgA, die in den Geweben der oberen Atemwege vorkommen und den Erreger direkt vor Ort neutralisieren können“, sagt Anke Huckriede, Impfstoffforscherin an der Universität Groningen.
Zwar würden auch einige der Antikörper aus dem Blut in die Schleimhäute von Nase und Rachen transportiert. Kurz nach der Impfung ist diese biologische Barriere meist hoch genug, um das Virus abzuwehren. Aber die Schutzimpfung vor einer Ansteckung hält, über den Muskel stimuliert, nach zwei Dosen nicht sehr lange vor.
Anders verhält es sich mit dem Schutz vor Erkrankung. Dafür ist ein anderer Teil der Immunabwehr verantwortlich, die T-Zell-Immunität. Sie hat breitere Wirkung und hält nach den bisherigen Erkenntnissen auch nach zwei Dosen Impfstoff ein hohes Niveau. Langfristig schützt eine zweifache Impfung wahrscheinlich noch recht gut vor schwerer Erkrankung, aber nur schlecht vor Ansteckungen.
Von Beginn der Impfungen war offen, ob eventuell noch eine dritte oder vierte Dosis nötig sein würde, um über die Muskulatur auch die Atemwege nachhaltig zu immunisieren. Solche Impfschemata sind nicht auf Schwächen des Impfstoffs zurückzuführen, gerade bei Atemwegserkrankungen wie Covid sind sie eher die Regel. Daten aus Israel zeigten schließlich, dass eine Auffrischungsimpfung das Immunsystem nochmals stimuliert und damit insbesondere bei alten Menschen einen länger anhaltenden, besseren Schutz etabliert. Vor Erkrankungen, aber vor allem auch vor Ansteckungen.
Vollständig geimpft mit drei Dosen
„Es ist für uns schon seit einiger Zeit klar, dass wir dreifach impfen müssen“, sagt Leif-Erik Sander von der Berliner Charité, ein Experte für Atemwegserkrankungen, der die Wirkung von Covid-Impfstoffen erforscht. „Wir müssen beginnen, eine vollständige Impfung als eine Impfung mit drei Dosen zu betrachten“, sagte auch Sanders Charité-Kollege, der Virologe Christian Drosten, diese Woche im NDR.
Nach dieser Definition wären in Deutschland derzeit allerdings nur drei Millionen Menschen, also knapp 3,6 Prozent der Bevölkerung, vollständig geimpft. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Eine doppelte Impfung schützt das Gesundheitssystem vor Überlastung und bremst immer noch die Verbreitung von Sars-CoV-2, auch wenn die zweite Dosis eine Weile her ist. Aber die Geimpften können das Tempo einer sehr raschen Verbreitung des Virus nicht abfangen. Das ist jetzt aber der Fall, in der vierten Welle.
Dass die Inzidenz aktuell so atemberaubend schnell steigt, liegt allerdings vor allem an der hohen Zahl von Ungeimpften, die überhaupt nicht geschützt sind. Fast ein Drittel der Bevölkerung kann das Virus ungehemmt weitergeben. Darunter sind 15 Millionen Erwachsene, die seit Monaten eine Impfung beanspruchen könnten, es aber bislang nicht getan haben. Viele von ihnen haben ein sehr hohes Risiko, schwer zu erkranken und intensivmedizinische Betreuung zu benötigen, die schon jetzt nur noch begrenzt zur Verfügung steht.
Und sie stellen auch für einen Teil der Geimpften eine Gefahr dar. Ältere und vorerkrankte Menschen mit schwachem Immunsystem sind trotz Impfung oft schlecht vor einer Infektion und genauso vor schwerer Erkrankung geschützt. Sie können sich insbesondere bei ungeimpften Infizierten rasch anstecken, insbesondere mit der sehr leicht übertragbaren Deltavariante.
Bremsung durch Booster
Eine Booster-Impfung für diese älteren und vorerkrankten Menschen ist der beste Weg, das Risiko wieder deutlich zu reduzieren, das haben Untersuchungen der Charité gezeigt, an der auch Sander und Drosten beteiligt waren. Insgesamt kann eine dritte Dosis für alle Geimpften zudem die Übertragung des Virus in der Bevölkerung bremsen. Über den ganzen Winter kontrollieren lasse sich das Virus mit Boosterimpfungen aber aufgrund der insgesamt geringen Impfquote wohl nicht, sagt Sander.
„Booster sind ein Baustein, den wir jetzt vollständig einbringen müssen – und schneller, als es bei den Erstimpfungen im Frühjahr der Fall war.“ Genauso wichtig ist seiner Ansicht nach aber, die Impflücken zu schließen. Dafür sei die Politik gefragt, um Impfungen möglichst überall anzubieten – in Apotheken, Impfzentren, Impfmobilen. Das finde bislang nicht statt. „Ich sehe keine Impfkampagne“, sagt der Arzt. „Wenn man das mal mit dem Wahlkampf vergleicht – es passiert hinsichtlich der Impfungen praktisch nichts.“
Und schließlich sieht auch Sander die Notwendigkeit, Kontakte durch eine strenge 2G-Regel einzuschränken. „Wir brauchen 2G-Plus, also geimpft oder genesen plus Test, um zumindest im Ansatz noch die Hoffnung zu haben, größere Einschränkungen verhindern zu können“, sagt der Experte, der gemeinsam mit 20 weiteren seriösen Fachleuten gerade ein Strategiepapier zum kommenden Corona-Winter veröffentlicht hat. Demnach bleiben Testungen ebenfallls wichtig, aber im Gegensatz zu einer schützenden Impfung könnten sie die Verbreitung des Virus und die Folgen dieser Verbreitung nicht stoppen. „Tests schützen nicht vor Ansteckungen“, sagt Sander.
Doch wenn das, was die Politik nun unternimmt, nicht reicht? Die Experten schlagen einen Notschalter vor. Zwei Wochen lang alles dichtmachen, das gesamte Leben runterfahren. Aktuell sieht es von Tag zu Tag mehr danach aus, dass dies nötig werden wird.
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