Haltung zu Rechten: Ein Land probt „den Schock“
Faschismus ist keine Skala, auf der man sich zwischen 0 und 10 verorten kann. Wer nicht vehement Faschismus bekämpft, begünstigt ihn.
W ussten Sie, dass man als Mitglied des nazipositiven Milieus (NPM), auch „bürgerliche Mitte“ genannt, einen Abschluss in Schauspiel gratis dazubekommt? Klar, absolviert hat man den Kurs nicht wirklich, deswegen bekommt man auch nur die Betaversion der Kompetenzen. Eigentlich nur einen einzigen Stunt: den „Schock“. Immer wieder zu beobachten ist „der Schock“, wenn mediale Berichterstattung über freidrehende Deutsche stattfindet.
Wenn die seit Jahrzehnten vor sich hin brühende Querfront sich zu Tausenden „wegen Corona“ in der Hauptstadt trifft, sind viele aus dem NPM entrüstet: Wie kann es sein, dass so ein „buntes“ Bündnis an der Seite von Rechtsradikalen Party macht? (Wobei es ungefähr so bunt zugeht wie in der Currypfanne einer weißdeutschen WG, die nur nach Sojasahne schmeckt.) Um „den Schock“ so überzeugend performen zu können, braucht es eine seit 1945 andauernde strategische Naivität – oder den längsten Powernap der Welt.
Das NPM hat eine Affinität für Gedankenspiele. Zum Beispiel „Des Teufels Anwalt“. Das heißt: aus Prinzip mal die Gegenhaltung einnehmen, auch wenn man sie gar nicht vertritt. Sich mal kurz in die Nazis reinversetzen. Aber der Teufel ist sicher kein bedürftiges Wesen, das auf anwaltlichen Beistand angewiesen ist, schon gar nicht von Lauchs wie Ihnen oder mir. Für wen hält man den Teufel? Für die alte Katze im Tierheim um die Ecke, die man mit einer monatlichen Spende von 8 Euro am Leben hält?
Oder Gaslighting. Die Auswirkungen dieser Manipulation in einer rassistischen Gesellschaft beschrieb meine Kollegin Saskia Hödl hier bereits treffend. Meine Ergänzung: Faschist:innen ist viel Arbeit damit abgenommen, wenn selbst Linksliberale anderen fleißig menschenfeindliche Gewalterfahrungen absprechen und so deren Wahrnehmung manipulieren.
Nicht totalitär, sondern Logik
Sie zeigen: Nicht mal deine vermeintlichen Verbündeten nehmen deine Ängste ernst. Von „War doch nicht so gemeint“ über „Bist du sicher, dass das so passiert ist?“ bis hin zu „Also das ist doch nicht -istisch!“ werden die Evergreens der Mind Games rauf- und vor allem runtergespielt.
Faschismus ist keine Skala, in der man sich zwischen 0 und 10 verortet. Wer nicht antifaschistisch ist, ist profaschistisch. Das ist kein totalitäres Denken, sondern Logik. Wer nicht vehement Faschismus bekämpft, begünstigt ihn. Schweigen ist eine Form, doch meist geht es darüber hinaus. „Wehret den Anfängen“ wird zu häufig als Appell zur Stigmatisierung bis hin zur Kriminalisierung von Antifaschist:innen uminterpretiert.
Noch ein Spiel: Täter-Opfer-Umkehr. Man findet irgendeine Kabarettistin schlicht scheiße? Cancel Culture! Satirische Kolumnen und Videos über die Polizei? Geistige Brandstiftung! Eine Verbesserung der demokratischen Gewaltenteilung? Kein Generalverdacht! Antifaschismus? Der wahre Faschismus! Im Hufeisenwurf? Eine Ehrenurkunde!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül