Gutachten zu Plänen der Linkspartei: Per Versicherung umverteilen
Die Linksfraktion stellt ein Gutachten zum Konzept „solidarische Krankenversicherung“ vor. Es könnte untere und mittlere Einkommen entlasten.
Konkret haben der Gesundheitsökonom Heinz Rothgang und Co-Autor Dominik Domhoff in ihrem am Montag veröffentlichten 46-seitigen Gutachten das Konzept einer „solidarischen Gesundheitsversicherung“ untersucht, für das sich die Linkspartei einsetzt. Danach sollen künftig alle in Deutschland lebenden Menschen – also auch Beamt:innen, Selbständige, Unternehmer:innen und Abgeordnete – gemäß ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit obligatorisch gesetzlich krankenversichert sein.
Dabei sollen alle Einkommensarten der Beitragspflicht unterliegen, also auch Zins- und Kapitalerträge. Ausgenommen wären allerdings Sozialleistungen wie Kinder-, Eltern- oder Wohngeld. Personen ohne eigene Einkünfte sollen beitragsfrei versichert sein. Die Arbeitgeber trügen die Hälfte der Versicherungsbeiträge auf Löhne und Gehälter, was auch für die Beamt:innen gelten würde.
Rothgang und Domhoff haben zwei Varianten durchgerechnet: In der ersten wird die Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 53.100 Euro auf 78.000 Euro angehoben, was der Höhe der gesetzlichen Rentenversicherung (West) entsprechen würde. In der zweiten Variante wird die Beitragsbemessungsgrenze vollständig abgeschafft. Als Ausgangspunkt für ihre Berechnungen haben die Bremer Wissenschaftler die Einkommensdaten von 2018 genommen, die aktuellsten Zahlen des Sozio-oekonomischen Panels.
Deutliche Reduzierung des Beitragssatzes
Herausgekommen ist: Das Linkspartei-Modell hätte bei der oben beschriebenen Beitragsbemessungsgrenze zu einem Krankenversicherungsbeitrag von 13,3 Prozent geführt. Tatsächlich lag er 2018 deutlich höher: bei 15,6 Prozent. Bei einem vollständigen Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze hätte er sogar nur bei 12,1 Prozent gelegen.
Die Verringerung des Beitragssatzes würde zu einer Umverteilung führen, konstatieren Rothgang und Domhoff: 80 Prozent der Beitragszahler:innen würden entlastet. Je weniger Einkommen vorhanden ist, umso größer wäre auch die Entlastung. Die 20 Prozent aus den höheren Einkommensgruppen würden hingegen stärker belastet.
„Wir meinen, dass hier ein sehr, sehr hohes Potential zur Umverteilung in unserem Land liegt“, sagte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch bei der Vorstellung des Gutachtens am Montag in Berlin. „Wir wollen konsequent und konkret die übergroße Mehrheit der Menschen entlasten und die reiche Minderheit belasten.“
Bislang zahlten kleine und mittlere Einkommen überproportional Sozialabgaben. „Damit das Land sozialer wird, muss aber gelten: starke Schultern tragen mehr“, sagte Bartsch.
Auch SPD und Grüne für eine Bürger:innenversicherung
„Wir haben bei der Krankenversicherung einen Umverteilungseffekt von 76 Milliarden Euro“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Susanne Ferschl. „Jedes Arbeitseinkommen, was unter 6.232 Euro liegt, würde entlastet werden.“ Durch die von der Linkspartei vorgeschlagene solidarische Gesundheitsversicherung könnten die Beitragssätze in der Krankenversicherung deutlich sinken, ohne dass den Krankenkassen auch nur ein Euro verloren ginge, zeigte sich die Gesundheitspolitikerin überzeugt.
Mit ihrem Vorschlag für eine Gesundheits- und auch eine Pflegeversicherung für alle ist die Linkspartei nicht allein. Auch die SPD und die Grünen sprechen sich in ihren Wahlprogrammen für eine solche Bürger:innenversicherung aus. Allerdings unterscheiden sich die jeweiligen Konzepte im Detail. Umstritten ist beispielsweise der Umgang mit der Beitragsbemessungsgrenze.
Das Konzept der Linkspartei sei erst mal nur „ein Angebot“, sagte Linkspartei-Spitzenkandidat Bartsch. „Wir sagen ja nicht, dieses und nichts anderes.“ Die Ausgangsbasis für eine Verständigung gibt es auf jeden Fall: „Der Kern, dass alle einzahlen, da sind Sozialdemokraten und Grüne durchaus nahe bei uns.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin