Gutachten könnte Energiewende bremsen: Wetterdienst dreht am Rad
Der Deutsche Wetterdienst hat Bedenken gegen den Ausbau der Windkraft. Windmüller fürchten die Wirkung eines Kieler Gutachtens.
Vor Gericht bekam der Windpark recht – doch nun liegt ein neues Gutachten vor. Das Papier könnte sich negativ auf das „Osterpaket“ des Bundeswirtschaftsministeriums auswirken, mit dem eigentlich der Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigt werden soll.
Seit rund zwölf Jahren kämpft Hans-Günther Lüth gegen den DWD für mehr Windmühlen. Der Ingenieur leitet im Örtchen Wiemersdorf ein Büro, das europaweit Photovoltaik- und Windparks plant und entwickelt. Im Kreis Segeberg ist er Geschäftsführer von Bürgerwindparks in Wiemersdorf und Großenaspe.
2010 beschlossen die Verantwortlichen, den Park zu erweitern. Es folgten Anträge, Gutachten, Prozesse. 2020 urteilte das Verwaltungsgericht Schleswig zugunsten des Windparks: Die Rotoren würden die Messungen nicht entscheidend stören. Ein Sieg, doch kein Durchbruch: Immer noch fehlen Genehmigungen für den Weiterbau. „Ich glaube, der DWD hat seine Position dem Ministerium gut verkauft“, sagt Lüth.
Windräder könnten Radarstrahlen stören – aber wie stark?
Der Wetterdienst betreibt ein bundesweites Netz von Radaranlagen. Sie messen Niederschläge und Wind, melden Unwetter und Starkregen. Ihre Daten bilden die Basis zahlreicher Vorhersage-Dienste, und sie werden gebraucht, um vor Katastrophen zu warnen.
Die sausenden Flügel eines Windrads könnten die Radarstrahlen stören, so steht es in einem Gutachten, das ein Lübecker Fachbüro im Auftrag des grün geführten Kieler Energiewende- und Umweltministeriums erstellte. Damit deckt sich dieses Gutachten mit den Argumenten, die der DWD seit Jahren wiederholt.
Das Papier vom November 2021 untersucht die Radarstation Boostedt und die umliegenden Windanlagen. Es findet Kompromisse, erschwert aber auch einiges – so sollen auch Rotoren einbezogen werden, die weiter als 15 Kilometer von der Radarstation stehen, wenn sie Teil eines Windparks sind. Unter dem Strich könnten zwar einige Anlagen aufgestellt werden, aber nur halb so viele, wie möglich wären, sagt Lüth.
Dass die Messungen des DWD wichtig sind, bestreitet der Windpark-Betreiber nicht. Er hält nur die Argumente für falsch: „In allen Gutachten wird ständig der Konjunktiv benutzt. Wirklich nachgewiesen sind die Auswirkungen nicht.“ Hinzu komme: „Windräder beeinflussen die niedrigen Bereiche der Luftschicht. Niederschlag entsteht viel weiter oben, und was dort entsteht, kommt auch runter.“ Und: „Droht ein Unwetter, schalten Anlagen aus technischen Gründen ab – oder könnten abgeschaltet werden, wenn der DWD eine erste Warnung herausgibt.“
Ein Gefälligkeitsgutachten?
Doch das neue Gutachten schlägt solche Abschalt-Lösungen nicht vor. Lüth kritisiert, dass das Papier ausführlich die Argumente des DWD zitiert und dass das beauftragte Lübecker Büro auf seiner Homepage den Wetterdienst als „Partner“ nennt. Sein Vorwurf: Das Gutachten sei einseitig. Bei einer Sitzung sei sogar der Satz eines Ministeriums-Mitarbeiters gefallen, es solle ein Ergebnis herauskommen, „das dem DWD gefällt“.
Das Ministerium weist den Vorwurf zurück: Der Auftrag sei ausgeschrieben worden. Es zähle die Expertise. Alle Gutachter nutzten Daten des Wetterdienstes – und auch Argumente aus früheren Stellungnahmen der Windparkbetreiber seien eingeflossen, sagt eine Sprecherin auf Anfrage. Allerdings zitiert das Literaturverzeichnis des Papiers, das der taz vorliegt, überproportional oft den DWD oder Fachleute, die dort arbeiten.
Auf der Homepage des DWD finden sich Einträge, die auf die negativen Seiten von Windkraft hinweisen, darunter ein Beitrag mit dem Titel: „Lohnt sich der ganze Wind?“ In einer Broschüre zum Konflikt zwischen Windkraft und Radar baut Wetterdienst-Präsident Gerhard Adrian eine Drohkulisse auf: Die Gesellschaft müsse sich „entscheiden zwischen dem Schutz der Bevölkerung und Windenergieanlagen im Umfeld unserer Wetterradare“.
Hans-Günther Lüth, Ingenieur und Windparkplaner
Der DWD ist, ebenso wie die Flugsicherung, eine Unterbehörde des Bundesverkehrsministeriums, das lange von CSU-Ministern geführt wurde. „Ohne etwas unterstellen zu wollen: Bayern ist nicht gerade bekannt dafür, Windkraft zu fördern“, sagt Lüth. Sowohl der DWD als auch die Flugsicherung erheben häufig Protest, wenn Anlagen geplant werden.
Lüth erwartet nun, dass der DWD das vom Ministerium bezahlte Gutachten bundesweit verwenden wird, um seine Argumente zu untermauern. Zwar sei es in manchen Punkten besser als der vorherige Stand: „Natürlich kann man sagen, die Hälfte sei besser als nichts“, sagt der Windmüller. „Aber eigentlich können wir als Gesellschaft es uns nicht leisten, dass wir das Potenzial von Flächen nicht ausschöpfen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene